Postdienste und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien

Postdienste und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien

sprungmarken_marker_1988

Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Auch wenn die ehemals staatliche Deutsche Post seit den 1990er Jahren schrittweise privatisiert wurde und seit 2008 auch im Briefgeschäft mit anderen Postunternehmen im Wettbewerb steht, hat der Bund weiterhin eine Gewährleistungspflicht für flächendeckend angemessene und ausreichende Postdienstleistungen. Das sieht der 1994 im Zuge der Postreform II neu eingefügte Artikel 87 f des Grundgesetzes vor. Konkretisiert wird dieser Postuniversaldienst im Postgesetz (PostG) und der Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV). Das PostG schreibt dabei auch vor, dass die Festlegungen für die Universaldienstleistungen der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung nachfragegerecht anzupassen sind. Diese haben sich zweifelsohne in den letzten Jahren und Jahrzehnten geändert. Insbesondere das Internet hat ganz neue Kommunikationsmöglichkeiten erschlossen, die von großen Teilen der Bevölkerung intensiv genutzt werden und die Menge und Art der Briefkommunikation stark beeinflussen.

Vor diesen Hintergrund hat der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages auf Initiative des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) mit der TA-Untersuchung »Postdienste und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien« beauftragt. Zwei Fragen standen dabei im Mittelpunkt:

  1. Welche Bestandteile des Briefmarktes können elektronisch substituiert werden?
  2. Welche Handlungserfordernisse und Handlungsoptionen ergeben sich daraus für die Politik in Bezug auf den staatlich garantierten Postuniversaldienst?

Zentraler Untersuchungsbereich: Der Briefmarkt

Der Postbereich wird üblicherweise in lizenzpflichtige und nicht lizenzpflichtige Postdienstleistungen unterteilt. Lizenzpflichtig ist die Beförderung von Briefen, nicht lizenzpflichtig die Beförderung von Paketen sowie Kurier- und Expressdienstleistungen (der sogenannt KEP-Markt).

Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stand der Strukturwandel des Briefmarktes, da dieser durch elektronische Kommunikationsdienste am ehesten bedroht erscheint, während der Paketmarkt durch den sich ausbreitenden elektronischen Handel erhebliche Zuwächse aufweist.

Die Briefinfrastruktur ist ökonomisch als Netzwerkinfrastruktur zu beschreiben. Wie bei allen Netzinfrastrukturen steigt der Nutzen mit der Zahl der angeschlossenen Teilnehmer. Auf Grundlage gesetzlicher Auflagen ist dieses »Netz« allgemein und flächendeckend zugänglich – alle sind angeschlossen.

Das Postnetz weist aber drei typische Asymmetrien auf: Es gibt erstens deutlich weniger Annahmestellen (Poststellen und Briefkästen) als Zustellpunkte (die Menge aller Privat- und Geschäftsadressen). Zweitens empfangen Privatpersonen zwar das Gros aller Postsendungen, versenden aber selbst nur wenige Briefe. Drittens wird die Postdienstleistung allein vom Briefversender bezahlt, während der Empfänger ökonomisch nicht am Briefgeschäft beteiligt ist.

Was aber sind überhaupt Briefe, und wie ist demgemäß der Briefmarkt abzugrenzen? Bei gesetzlichen Definitionen wird abgehoben auf den Mitteilungscharakter eines Briefs, die Körperlichkeit, die Schriftlichkeit und die Adressierung. Diese Legaldefinition trifft jedoch nur unvollkommen die tatsächliche Vielfalt der Briefnutzungsformen und die mit der Briefzustellung verbundenen Dienstleistungen.

Briefe werden z.B. auch als Transportbehälter für Gegenstände geringen Umfangs und Gewichts – etwa Geldscheine, Schecks, Kreditkarten, Bücher, Karten, Noten, CDs, Tonbänder – genutzt. Um eine schriftliche Mitteilung handelt es sich beim »Transportbrief« nicht mehr. Die Postunternehmen selbst grenzen bei der Tarifgestaltung »Brief«, »Päckchen« und »Paket« entsprechend nur formal nach Gewicht und Größe ab.

Es gibt eine Reihe von Briefvarianten, die zusätzliche Dienstleistungen über die reine Zustellung hinaus beinhalten. So das Einschreiben, Wert- oder Nachnahmesendungen und die förmliche Zustellung. Außerdem können Briefzusteller im Auftrag etwa von Banken Personen identifizieren (Postidentverfahren).

Schließlich befördern üblicherweise Briefzusteller über den Brief hinaus Bücher, Zeitungen, Zeitschriften und Kataloge sowie adressierte wie unadressierte Werbepost, in bestimmten Fällen sogar Pakete.

Diese genauere Bestimmung der Dienstleistungen, die im Briefmarkt erbracht werden, ist nicht allein eine akademische Übung, sondern ist für die Beurteilung der Möglichkeiten der Substitution von Briefen und der Dienstleistungen, die Briefzusteller erbringen, durch elektronische Kommunikationsmedien entscheidend.

E-Substitution

Die elektronische Substitution hängt wesentlich von den Möglichkeiten ab, die die vernetzte Dateninfrastruktur und elektronische Kommunikationsdienste bieten. Das Internet ist in der Gesellschaft zwar weit verbreitet, aber nicht ubiquitär: Mehr als 20 % der Bevölkerung nutzen es nicht. Bei den 80 %, die das Internet nutzen, ist der Austausch textlicher Mitteilungen via E-Mail – nach der Nutzung von Suchmaschinen – die zweithäufigste Anwendung. Was den Schutz gegen Verfälschung von Inhalten und die Gewährleistung von Vertraulichkeit und Nachvollziehbarkeit der Übermittlung elektronischer Nachrichten angeht, stehen solche Dienste zwar zur Verfügung, sind aber oft umständlich zu bedienen oder mit Kosten verbunden und finden daher bisher wenig Zuspruch bei den Kunden.

Sogenannte Hybridbriefe böten einen nahtlosen Übergang zwischen der physischen Briefwelt und den digitalen Kommunikationsdiensten. Mitteilungen könnten beispielsweise elektronisch versandt, dann durch Postdienstleister ausgedruckt und physisch zugestellt werden. Auf Wunsch von Briefempfängern könnte Briefe auch gescannt und dann elektronisch übermittelt werden, so dass sie nicht nur an der Hausadresse, sondern überall empfangen werden könnten. Solche Hybriddienste stehen in Deutschland zwar zur Verfügung, werden aber in erster Linie von großen Briefversendern für ihre Geschäftspost genutzt.

Ob der Brief durch elektronische Kommunikationsdienste ersetzt werden kann, hängt also von einer Reihe technischer und anderer Faktoren ab:

  • Digitalisierbarkeit: Ist das per Brief zu Versendende digitalisierbar?
  • Form- und Sicherheitserfordernisse: Genügen die zur Verfügung stehenden elektronischen Versandformen gesetzlichen oder professionellen Nutzungsanforderungen (Schriftformerfordernis, Vertraulichkeit, Nachvollziehbarkeit, Aufbewahrungspflichten)?
  • Erreichbarkeit: Sind die technischen und organisatorischen Grundvoraussetzungen für eine allgemeine Erreichbarkeit von Haushalten und Personen gegeben, und sind diese willens und in der Lage, elektronische Versandformen zu nutzen?
  • Mediale Wirkung: Ist die vom Sender beabsichtigte mediale Wirkung auch beim elektronischen Brief gewährleistet?
  • Schnelligkeit: Ist die Schnelligkeit der Zustellung beim elektronischen Versand überhaupt eine wichtige Anforderung?
  • Anschlussfähigkeit: Welche Bedeutung hat die Weiternutzung erhaltener (digitaler) Sendungen in Ordnungssystemen und Arbeitsprozessen?
  • Soziale und Umweltaspekte: Welche Bedeutung haben ökologische und soziale Aspekte bei der Entscheidung über Versendungsformen?

Nicht alle physischen Briefe lassen sich ersetzen, und da, wo eine Substitution möglich ist, hängen Ausmaß und Tempo von einer Reihe sozialer und technischer Faktoren ab. Die Medienwissenschaften weisen auf die Wechselbeziehungen von alten und neuen Medien hin. So postuliert das Riepl'sche Gesetz, dass neue Medien die alten nicht vollständig ersetzen, sondern komplementäre Kommunikationsformen herausbilden. Die Nutzung neuer Medien kann sogar zu einer Zunahme und Ausdifferenzierung alter Medien führen: So haben Radio und Fernsehen zu neuen Presseerzeugnissen, die Programmzeitschriften, geführt. Und die Nutzung des Internets für Zwecke des Bestellens und Kaufens hat zu einem zusätzlichen Aufkommen an brieflicher Kommunikation und Paketversand geführt.

Trotzdem ist es offensichtlich und durch Studien belegt, dass die Nutzung elektronischer Kommunikationsmedien den Versand von Briefen beeinflusst. Die Wirkung ist je nach Briefsegment unterschiedlich. Unterm Strich wird aber eine negative Gesamtbilanz erwartet bzw. ist schon heute beobachtbar. Welche Gefahren sich daraus für die Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, den Festlegungen des Postuniversaldienstes entsprechenden Briefinfrastruktur ergeben, ist im Einzelnen zu prüfen.

Ergebnisse

Entwicklung des Briefaufkommens

Betrachtet man das weltweite (innerstaatliche) Briefaufkommen im langfristigen Vergleich, dann zeigen sich erhebliche nationale und regionale Differenzen, aber auch übergreifende Entwicklungen. Das weltweite (innerstaatliche) Briefaufkommen erreichte im Jahr 2001 mit 434 Mrd. Briefen den bisherigen Höchstwert. Zehn Jahre später war das Briefaufkommen um 70 Mrd. bzw. 16 % auf 364 Mrd. gesunken.

Anzahl inländisch verschickter Briefe weltweit 1980–2011


Anzahl inländisch verschickter Briefe weltweit 1980–2011

Länder oder Regionen, die einen Briefzuwachs verzeichnen können, sind die große Ausnahme. Selbst in den sich entwickelnden Ländern des Südens ist kein nennenswerter Zuwachs des Briefaufkommens zu erkennen. Das gibt Anlass zu der Hypothese, dass der Brief in den derzeitigen Schwellen- und sich entwickelnden Ländern nie die Bedeutung erlangen wird, die er in den Industrieländern einmal hatte, da diese Länder ihre wachsenden Kommunikationsbedürfnisse gleich elektronisch befriedigen werden. Eine solche bestimmte Angebote auslassende bzw. überspringende Entwicklung wird in den Wirtschaftswissenschaften als »leapfrogging« bezeichnet.

Die USA sind – absolut gesehen – immer noch das Land mit dem weltweit größten Briefaufkommen. Nach einem Spitzenwert von 213 Mrd. Briefen im Jahr 2006 ist das Briefaufkommen auf 160 Mrd. Briefe im Jahr 2012 deutlich zurückgegangen. In den Ländern der EU15 war von 1980 bis 2006 ein kontinuierlicher Briefmengenanstieg und danach bis 2011 ein deutlicher Abfall zu beobachten.

In Deutschland kann man von etwa 69 Mrd. lizenz- und nicht lizenzpflichtigen Postsendungen ausgehen (teilweise geschätzte Zahlen für 2010/2011), wobei Werbesendungen mit 56,7 % mehr als die Hälfte ausmachen, gefolgt von Briefen mit 23,9 %, Zeitungen und Zeitschriften mit 15,9 % und Paketen mit 3,5 %.

Im lizenzpflichtigen Briefbereich war bis 2007 ein fast konstanter Zuwachs festzustellen. Seit 2007 gehen die Briefumsätze kontinuierlich zurück. Die Briefmengen haben sich – nach einem deutlichen Einbruch 2009 – allerdings entgegen dem internationalen Trend wieder stabilisiert. Für die positive Entwicklung bis 2007 spielten Zuwächse bei der adressierten Direktwerbung eine Rolle, die durch den zunehmenden Wettbewerb und damit zusammenhängende Preissenkungen der Deutschen Post für Geschäftskunden begünstigt wurden.

Der lizenzpflichtige deutsche Briefmarkt wird durch Geschäfts- und Werbepost geprägt: 90 % der adressierten Briefe werden von Geschäftskunden (inkl. öffentlicher Bereich) verschickt (Zahlen für 2010). Wenige, sehr versandintensive Unternehmen generieren einen Großteil dieser Briefmengen. Der Anteil der von Privatpersonen verschickten Sendungen ist gering und hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen. Im Jahr 2001 stammten noch 16 % aller Briefsendungen von Privatpersonen unabhängig davon, an wen diese Briefe adressiert wurden, 2008 waren es noch 14 %, 2010 – je nach Quelle – nur noch 10 bzw. 7 %. Empfänger von Briefen sind hingegen ganz überwiegend Privatpersonen (69 %).

Modellrechnung für die Briefmengenentwicklung in Deutschland bis 2020

Für die Modellrechnung der Briefmengenentwicklung in Deutschland von 2010 bis 2020 wurde der Briefmarkt in fünf Segmente unterteilt. Die Anteile dieser Briefsegmente am gesamten Sendungsaufkommen im Jahr 2010 sind wie folgt:

  • 7,2 % private Briefpost an beliebige Adressaten,
  • 14,0 % geschäftliche Briefsendungen an Unternehmen,
  • 32,6 % geschäftliche Briefsendungen an private Kunden,
  • 35,5 % adressierte Werbesendungen (»inhaltsgleiche Sendungen«) sowie
  • 10,7 % Pressesendungen (abonnierte Zeitungen und Zeitschriften sowie Mitglieder- und Werbezeitschriften).

Annahmen zum Status Quo des segmentierten Briefmarktes 2010

Annahmen zum Status Quo des segmentierten Briefmarktes 2010

Die Modellrechnung für die Jahre 2010 bis 2020 ergab für keines der untersuchten Briefsegmente eine positive Mengenentwicklung. Die geringsten Verluste werden im Bereich der Werbesendungen erwartet, die größten für geschäftliche Briefpost an Unternehmen.

Die erwartete jährliche Veränderungsrate zwischen 2010 und 2020 für die gesamte nationale Briefpost liegt zwischen -1,4 und -3,4 %. Das bedeutet in der Minimalvariante eine weniger dramatische Mengenreduktion um insgesamt 13 % über zehn Jahre, in der Maximalvariante eine beachtliche Reduktion um 29 %. In absoluten Zahlen (bei 17,4 Mrd. Sendungen im Jahr 2010) wären dies etwa 2,3 bzw. 5,0 Mrd. Sendungen weniger im Jahr 2020.

Tab. 1 WIK-Modellrechnung: Mengenveränderungen der nationalen Briefpost 2010–2020

  Mengenveränderung ­2010 bis 2020 in % durchschnittliche Änderungsrate ­pro Jahr in %
  maximal minimal maximal minimal
private Briefpost -33,8 -16,6 -4,0 -1,8
geschäftliche Briefpost an Unternehmen -39,2 -21,7 -4,8 -2,4
geschäftliche Briefpost an Privatpersonen -32,9 -17,2 -3,9 -1,9
Werbesendungen -20,4 -4,1 -2,3 -0,4
Pressesendungen (Fremdzustellung) -28,1 -18,3 -3,2 -2,0
Gesamt -28,9 -13,3 -3,4 -1,4

Quelle: WIK-Consult 2012, S. 71 ff.

Bedeutung postalischer Kommunikation für Privatpersonen – Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung

Im Jahr 2012 wurden in Deutschland täglich durchschnittlich 3,2 Mio. Briefe von Privatpersonen verschickt, eine nicht völlig zu vernachlässigende Größenordnung. Gleichwohl gilt, dass Privatpersonen als umsatzgenerierende Kunden für Postunternehmen fast marginal sind. Dafür sind sie als Empfänger von Briefen umso wichtiger. Privathaushalte erhalten fast 70 % aller Briefe – hauptsächlich geschäftliche und behördliche Brief- und Werbesendungen. Das Verhalten und die Einstellungen von Privatpersonen als Sender und Empfänger zu kennen, ist deshalb für die Postunternehmen und die Postpolitik wichtig.

Im Rahmen der TAB-Studie wurde im Frühjahr 2012 eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zur Bedeutung postalischer Kommunikation aus Sicht privater Nutzer in Deutschland durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse der Befragung sind:

  • Nichtbriefversender: Bemerkenswert ist die mit 40 % sehr hohe Zahl derjenigen, die praktisch keine oder kaum noch Briefe verschicken. Unter den jungen (bis 19 Jahre) und alten (70 Jahre und älter) Personen ist der Anteil der Nichtbriefversender mit 63 % bzw. 52 % besonders hoch.
  • Internetnutzer als Briefversender: Personen, die das Internet nutzen, versenden mehr Briefe als diejenigen ohne Internetnutzung. Erklärt werden kann dies damit, dass sich durch die Internetnutzung die Transaktions- und Kommunikationsaktivitäten ausweiten, man denke etwa an den Onlinehandel. Dazu kommt, dass Internetnutzer häufiger eher gehobenen Bildungs- und Einkommensschichten zugehören, die generell mehr Briefe versenden.
  • Substitutionsprozesse: Während Briefe an Privatpersonen heute schon überwiegend elektronisch versandt werden (bei 65 % der Befragten), also eine deutliche Substitution des physischen Briefes stattgefunden hat, dominiert beim Versand von Briefen an Unternehmen oder Behörden noch der herkömmliche Brief (60 bzw. 84 %).
  • Wenig Zustimmung für elektronische Zustellung: Befragt nach dem bevorzugten Empfang von Unternehmenspost, gaben 78 % an, die postalische Zustellung zu bevorzugen.
  • Vertrauliche und sichere elektronische Post: Eine eindeutige Identifikation von Absender und Empfänger, Vertraulichkeit und eine sichere und dauerhafte Dokumentablage wird fast von jedem der Befragten als besonders wichtig angesehen. Allerdings können sich 65 % nicht vorstellen, »sichere« Kommunikationssysteme wie De-Mail oder den E-Postbrief zu nutzen. Die vorhandenen Angebote entsprechen offensichtlich nicht dem, was tatsächlich nachgefragt wird, oder die artikulierte Wertschätzung von Sicherheit führt nicht bruchlos zu entsprechenden Verhaltensänderungen.
  • Universaldienstmerkmale: Unter den abgefragten Merkmalen eines Postuniversaldienstes sticht die Hauszustellung von Briefen mit einer hohen Zustimmungsrate besonders hervor (74 % »sehr wichtig«). Die Zustellung an sechs Tagen wird im Vergleich dazu deutlich weniger präferiert (25 % »sehr wichtig«).

Handlungsoptionen für eine Anpassung des Universaldienstes an geringere Briefmengen

Die oben genannte Prognose für Deutschland geht von einem Rückgang der Briefmengen in den nächsten zehn Jahren zwischen 13 % und 29 % aus. Die im Wettbewerb stehenden Postunternehmen im Briefmarkt können auf diese Entwicklung mit der Anpassung von Geschäftsmodellen rechtzeitig reagieren. Gefragt ist aber auch – wegen der wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Bedeutung des Sektors und der Gewährleistungsverantwortung des Bundes für den Postbereich – die Politik.

Für die Politik ergibt sich eine Reihe abgestufter Möglichkeiten, den Postuniversaldienst und seine Finanzierung an reduzierte Briefmengen im Rahmen der Vorgaben der derzeit gültigen EU-Richtlinie anzupassen. Ein nationaler Gestaltungsspielraum eröffnet sich etwa bei den Anforderungen an die Zahl stationärer Einrichtungen (Poststellen, Briefkästen) oder an die Brieflaufzeiten. Die EU-Postrichtlinie eröffnet einen Spielraum für Anpassungen und Absenkungen. Die EU-Richtlinie würde auch eine Reduzierung der Zustelltage von derzeit sechs auf fünf Tage erlauben, so wie es bereits in 18 europäischen Ländern der Fall ist. Die EU-Richtlinie ließe ebenfalls eine entfernungsabhängige Staffelung der Porti zu.

Wollte man aber die vollständige, landesweite Flächenabdeckung bei der Zustellung von Briefen und die Hauszustellung in Frage stellen oder die Anzahl der Zustelltage auf weniger als fünf Tage absenken, wäre eine Änderung der EU-Postrichtlinie erforderlich, was deutlich aufwendiger und mit einem langwierigen politischen Prozess verbunden wäre.

Es lohnt sich allerdings schon jetzt, über den Rahmen der derzeitigen europäischen und nationalen Universaldienstregulierung hinaus zu denken. Diese Diskussion sollte auf die Eröffnung neuer Perspektiven für den Postuniversaldienst unter Berücksichtigung der Potenziale elektronischer Kommunikationsmedien fokussieren. In der Fachdiskussion findet man diesbezüglich zwei interessante Vorschläge:

  • zum einen die Erweiterung des Postuniversaldienstes um den sicheren E-Brief und
  • zum anderen einen einheitlichen Universaldienst für Post und Telekommunikation.

Während die bisherigen Regelungen in erster Linie auf die Versender ausgerichtet waren, stehen beim Vorschlag der Erweiterung des Postuniversaldienstes um den sicheren E-Brief die Bedürfnisse der Endkunden stärker im Vordergrund. Im Mittelpunkt eines solchen neu zu konzipierenden Universaldienstes könnte die Gewährleistung der Wahlfreiheit zwischen herkömmlichem und elektronischem Brief stehen. Dabei müsste garantiert werden, dass sowohl der Versender als auch der Empfänger das Mitteilungsmedium frei wählen können. Die bereits vorhandenen Dienste für Hybridpost demonstrieren, dass dies möglich ist. Würde diese Wahlfreiheit garantiert, bestünde auch keine Gefahr des Ausschlusses bestimmter Bevölkerungsgruppen aus der Briefkommunikation, weil sie z.B. über keinen Internetzugang verfügen.

Ein so konzipierter erweiterter Postuniversaldienst müsste die Anforderungen an die Qualität, die Zuverlässigkeit, die Verfügbarkeit, die Flächendeckung, die Erschwinglichkeit, die Datensicherheit und den Datenschutz ähnlich den Anforderungen an den herkömmlichen Briefdienst festlegen. Das Brief- und Postgeheimnis wäre auf den E-Brief auszudehnen, und der E-Brief sollte das Schriftformerfordernis erfüllen.

Beim zweiten Vorschlag – für einen einheitlichen Universaldienst für Post und Telekommunikation – werden zwei Basisverbindungen für die gesamte Palette der Distanzinteraktion vorausgesetzt:

  • physische Verbindungen für Sendungen aller Art von überall her überall hin und
  • digitale Verbindungen für Signale von überall her überall hin.

Damit wird im Übrigen die Auffassung verworfen, man könne auf die Zustellung körperlicher Sendungen ganz verzichten und bräuchte nur noch einen Kommunikationsdienst für »Signale«.

Der Vorschlag für den einheitlichen Universaldienst nimmt Bezug auf eine allgemeine Diskussion, die Regulierung im Medienbereich möglichst technologieneutral auszugestalten. Dies ist vom Prinzip her ein sinnvolles Konzept, um die Regulierung von einem ständigen Zwang zur Anpassung an sich immer schneller vollziehende, technische Innovationszyklen zu befreien. Eine praxistaugliche Umsetzung einer technologieneutralen Regulierung ist schwierig, setzt sie doch einen mehr oder weniger radikalen Bruch mit dem bisherigen Regulierungsregime voraus. Zu überlegen wäre, ob in regionalen Modellversuchen Varianten flexibler Zustellarrangements – mit physischen Verbindungen für Sendungen und digitalen Verbindungen für Signale – unter einem einheitlichen Universaldienstregime erprobt und evaluiert werden sollten.

Insgesamt ergibt sich eine breite Palette von Handlungsoptionen, wie auf die Mengenreduktion im Briefsektor und eine damit drohende Aushöhlung des Universaldienstes reagiert werden könnte. Handlungserfordernisse bestehen gegenwärtig in erster Linie bei den Unternehmen, die ihre Geschäftsstrategien anpassen müssen. Die Politik verfügt auf nationaler Ebene im Rahmen der europäischen Universaldienstvorgaben über einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Da nicht mit kurzfristigen Briefmengeneinbrüchen, sondern eher mit mittelfristigen Mengenabsenkungen zu rechnen ist, bleibt Zeit, notwendige Anpassungen gründlich vorzubereiten und unter Einbezug von Wissenschaft und Öffentlichkeit mit den Beteiligten breit zu diskutieren.

Kontakt

Ulrich Riehm
riehm∂tab-beim-bundestag.de
+49 30 28491-0

Publikationen


Im Bundestag