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Bilanz der Sommerzeit

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Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Die sogenannte »Sommerzeit«, also das Vorstellen der Uhrzeit um eine Stunde während der Sommermonate, wurde in den Jahren nach der Ölkrise 1973 in vielen europäischen Ländern eingeführt. Eine bessere Ausnutzung des Tageslichts sollte letztlich zu Energieeinsparungen führen. Um den Binnenmarkt nicht zu beeinträchtigen, wurden die Termine für Beginn und Ende der Sommerzeitperiode in der Europäischen Gemeinschaft vereinheitlicht. Die derzeit gültige Richtlinie 2000/84/EG zur Regelung der Sommerzeit schreibt die Anwendung der Sommerzeit für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich und auf unbegrenzte Dauer vor.

Über den Nutzen der Sommerzeit im Verhältnis zu möglichen negativen Auswirkungen gibt es seit ihrer Einführung gegensätzliche Positionen, und von verschiedener Seite wird eine Änderung der Sommerzeitregelung gefordert. Die EU-Kommission gelangte zuletzt im Jahr 2007 zu dem Fazit, dass – abgesehen von der Begünstigung von Freizeitaktivitäten und der Erzielung geringfügiger Energieeinsparungen – die Auswirkungen der Sommerzeit kaum ins Gewicht fallen würden.

Die Rahmenbedingungen, unter denen die Auswirkungen der Sommerzeit zu betrachten sind, haben sich seit 2007 jedoch möglicherweise geändert. Unter diesem Eindruck wurden für den TAB-Arbeitsbericht Nr. 165 »Bilanz der Sommerzeit« die bis heute vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen zur Sommerzeit gesichtet und in der Gesamtschau dargestellt. Die zentrale Fragestellung der Untersuchung lautete, ob gegenüber der Einschätzung der EU-Kommission von 2007 eine substanzielle Neubewertung der Auswirkungen der Sommerzeit angezeigt ist.

Ergebnisse

Effekte der Sommerzeit auf den Energieverbrauch

In Bezug auf den Energieverbrauch bestätigen auch neuere Untersuchungen, dass sich bestenfalls nur sehr geringfügige Energieeinsparungen realisieren lassen. Bezieht man die Ergebnisse aller bisher erschienenen Studien auf den nationalen Stromverbrauch der jeweiligen Länder, so ergibt sich beim Effekt auf den Stromverbrauch eine Bandbreite von -0,9 bis 1 %. Auch im Bereich Raumwärme wird mehrheitlich von sehr geringen Effekten im Bereich von -0,2 bis 0,2 % ausgegangen. Im Bereich Klimatisierung liegt die Spanne in einer Größenordnung von -0,2 bis 9 %.

Allerdings gibt es hierzu bis dato vergleichsweise wenige wissenschaftliche Studien. Auch wurden die Untersuchungen in unterschiedlichen Ländern durchgeführt. Weil die Auswirkungen auf den Energieverbrauch in Ausprägung und Höhe stark vom geografischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmen abhängen, lassen sich in anderen Ländern erzielte Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragen.

Das TAB hat zusätzlich eine Befragung bei rund 700 Unternehmen und Verbänden aus der deutschen Energiewirtschaft durchführen lassen, um die hier vorliegenden Erfahrungen mit der Sommerzeit zu erfassen. Auch diese Befragung förderte keine Hinweise zutage, dass sich die Sommerzeit substanziell auf den Energieverbrauch auswirken würde.

Schließlich wurden in Modellsimulationen zum Stromverbrauch deutscher Haushalte für Beleuchtungszwecke Verbrauchsminderungen von weniger als 0,8 % bezogen auf den Jahresstromverbrauch ermittelt (Rückgang von 0,2 % beim nationalen Stromverbrauch).

Effekte der Sommerzeit auf die Wirtschaft

In Bezug auf die Auswirkungen der Sommerzeit auf die Wirtschaft finden sich in der Literatur praktisch keine belastbaren Informationen oder quantitative Daten. Die wenigen vorhandenen Quellen beruhen größtenteils auf subjektiven Einschätzungen und Erfahrungen. Danach zu urteilen verursachen die Zeitumstellungen in einzelnen Branchen zwar einen kurzfristigen Anpassungsbedarf (u. a. in der Landwirtschaft oder im Schienenverkehr), allerdings hat sich dies allem Anschein nach zu einer unproblematischen Routineaufgabe entwickelt.

Aufgrund der lückenhaften Quellenlage hat das TAB über 140 deutsche Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Berufsvertretungen mit der Bitte um eine Einschätzung zur Sommerzeit angeschrieben. Die Erhebung hatte eine äußert geringe Rücklaufquote. Über mögliche Gründe für die geringe Resonanz kann zwar nur spekuliert werden; es darf aber wohl davon ausgegangen werden, dass bei größeren Schwierigkeiten durch die Anwendung der Sommerzeit in einzelnen Branchen es auch stärkere Aktivitäten seitens der Interessenvertreter dieser Branchen gegeben hätte.

Die mangelhafte Evidenzbasis erlaubt somit letztlich keine fundierten Abschätzungen über den gesamtwirtschaftlichen Effekt der Sommerzeit – weder in positiver Hinsicht zum Beispiel auf die Freizeitwirtschaft, noch in negativer Hinsicht zum Beispiel auf den Verkehrssektor.

Effekte der Sommerzeit auf die Gesundheit

In Bezug auf mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit ist schon seit Längerem bekannt, dass die Zeitumstellungen das System der biologischen Rhythmen des Menschen aus dem Gleichgewicht bringen können. Die EU-Kommission ging 2007 noch davon aus, dass »die meisten Störungen von kurzer Dauer sind und keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen«.

Mittlerweile gibt es vermehrte wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Anpassung der biologischen Rhythmen insbesondere an die Zeitumstellung im Frühjahr nicht so einfach vollzieht. Hier liefern neue Erkenntnisse Hinweise darauf, dass der Anpassungsprozess selbst binnen vier Wochen nach der Umstellung möglicherweise nur unvollständig bzw. gar nicht gelingt. Demgegenüber scheint die Zeitumstellung im Herbst weniger problematisch.

Unklar ist jedoch, welche relevanten gesundheitlichen Auswirkungen aus den zeitumstellungsbedingten Störungen in den biologischen Rhythmen resultieren. Aufgrund der teilweise inkonsistenten Studienergebnisse können hierzu keine eindeutigen Aussagen gemacht werden. Dies gilt zum Beispiel für mögliche Effekte der Sommerzeit auf das Herzinfarktrisiko, die Leistungsfähigkeit oder die Verkehrssicherheit. Weitere Forschung ist notwendig, um die kurz- bzw. langfristigen Folgen der Sommerzeit auf die Gesundheit eingehender zu untersuchen.

Rechtliche Situation

Eine Änderung der gegenwärtigen Bestimmungen kann nur im Wege einer Änderung der Richtlinie 2000/84/EG zur Regelung der Sommerzeit im Rahmen eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens auf Unionsebene erfolgen. Ein solches könnte auf vier verschiedenen Wegen angestoßen werden:

  • Initiative der EU-Kommission: Dies erscheint eher unwahrscheinlich, da die Regelungen zur Sommerzeit im Wege der Rechtsangleichung vollständig harmonisiert und auf unbefristete Zeit festgeschrieben sind. Auch sind derzeit keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse ersichtlich, die die EU-Kommission hierzu veranlassen könnten.
  • Initiative des Europäischen Parlaments: Das Europäische Parlament kann durch sein indirektes Initiativrecht die EU-Kommission auffordern, ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren in die Wege zu leiten. Dies setzt eine einfache Mehrheit im Europäischen Parlament voraus. Die EU-Kommission muss dieser Aufforderung nicht entsprechen, sie kann solche Initiativen aufgrund ihres Initiativmonopols auch mit einer ablehnenden Stellungnahme begegnen.
  • Initiative des Europäischen Rates: Auch der Europäische Rat kann die EU-Kommission zum Tätigwerden auffordern. Dies setzt eine einfache Mehrheit der Mitglieder des Rates voraus. Auch in diesem Fall wäre die EU-Kommission nicht verpflichtet, einen Rechtsetzungsakt einzuleiten.
  • Europäische Bürgerinitiative: Schließlich steht auch den Unionsbürgern ein indirektes Initiativrecht zu. Eine erfolgreiche Bürgerinitiative setzt mindestens 1 Mio. Unterstützer aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten voraus. Doch auch wenn dieses Quorum zustande kommt, wäre die EU-Kommission nur verpflichtet, ihre rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen zu der Initiative sowie ihr weiteres Vorgehen bzw. den Verzicht auf ein weiteres Vorgehen und die Gründe hierfür darzulegen.

Resümee

Im Ergebnis verdeutlicht der Bericht, dass die Frage, ob die »Uhrenumstellung« beibehalten oder abgeschafft werden soll, letztlich Gegenstand entsprechender politischer und gesellschaftlicher Debatten sein muss und nur in geringem Maße auf wissenschaftliche Fakten zurückgreifen kann. Zu welchen Ergebnissen diese Debatten aber auch immer führen würden: Eine Änderung der aktuellen Bestimmungen kann nur im Wege einer Revidierung der einschlägigen EU-Richtlinie im Rahmen eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens auf Unionsebene erfolgen. Ob ein Rechtsetzungsverfahren zur Änderung der gegenwärtigen Bestimmungen eingeleitet wird, liegt im Ermessen der EU-Kommission.

Publikationen


Im Bundestag