Geschichte der TA im Deutschen Bundestag

Die Idee einer kontinuierlichen Technikfolgenabschätzung zur Unterstützung des Parlaments und seiner Gremien reicht in die 1970er Jahre zurück. Dieses Jahrzehnt war eine Zeit intensiver und konfliktreicher Auseinandersetzungen um Chancen und Risiken der wissenschaftlich-technischen Entwicklung. Angesichts zahlreicher problematischer Folgen für Gesellschaft und Umwelt wuchs zunehmend die Einsicht in die Notwendigkeit einer frühzeitigen Abschätzung und Bewertung der Entwicklung und des Einsatzes von Technik. Eine Antwort auf diese Herausforderung waren Konzepte der Technikfolgenabschätzung. Auch im Deutschen Bundestag wurde über die Chancen und Risiken sowie die Möglichkeiten der Gestaltung von Technik intensiv debattiert. In das Zentrum dieser Diskussion rückte bald die Frage, ob und wie TA im Deutschen Bundestag zur Unterstützung der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse eingesetzt werden könnte. Das 1972 im US-amerikanischen Kongress eingerichtete Office of Technology Assessment wurde hierbei oft als vorbildhaft angesehen.

Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert 2010 anlässlich des Jubiläums 20 Jahren TAB. DBT/Achim Melde
»Die wichtige Frage, was in unserer Gesellschaft erlaubt ist, hängt auch eng zusammen mit der Frage nach Chancen und Risiken neuer technischer Entwicklungen.« Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert 2010 anlässlich 20 Jahren TAB.

Inhaltsübersicht

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Die »Institutionalisierungsdebatte«

Die Institutionalisierungsdebatte begann 1973 mit einem Antrag der damaligen Opposition, der Fraktion der CDU/CSU, ein »Amt zur Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag« einzurichten (Drs. 7/468). Diesem Vorschlag folgte in den nächsten Jahren eine Vielzahl weiterer Vorschläge aus der Mitte der Fraktionen. Ein wichtiger Meilenstein war die Enquete-Kommission »Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung«, die in der 10. Legislaturperiode durch gemeinsamen Beschluss aller Fraktionen vom 14. März 1985 eingesetzt wurde (Drs. 10/2937). Nachdem diese Kommission 1986 einen Vorschlag »Zur Institutionalisierung einer Beratungskapazität für Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim Deutschen Bundestag« vorgelegt hatte, schloss sie zum Ende der Legislaturperiode ihre Tätigkeit mit einem Zwischenbericht ab, der Vorschläge zur Organisation von TA beim Deutschen Bundestag enthielt (Drs. 10/5844). Entschieden wurde danach noch nicht.

Der 11. Deutsche Bundestag setzte wiederum eine Enquete-Kommission zur Technikfolgen-Abschätzung ein. Ihr Auftrag war unter anderem, die Kritik am vorliegenden Institutionalisierungsmodell aufzunehmen und einen neuen Organisationsvorschlag zu machen. Die Enquete-Kommission stellte in ihrem Abschlussbericht (Drs. 11/4606) drei unterschiedliche Modelle zur Diskussion und zur Entscheidung:

Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP sahen die Umbenennung des Ausschusses für Forschung und Technologie in Ausschuss für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung vor, welcher die Initiierung und politische Steuerung von TA übernehmen sollte. Mit der Durchführung von TA-Studien wäre eine Institution außerhalb des Parlaments zu beauftragen, die »diese Aufgabe in hoher Selbstständigkeit und eigener Verantwortung« wahrnehmen sollte.

Die Fraktion der SPD schlug vor, einen Ausschuss für parlamentarische Technikberatung und eine bundestagsinterne wissenschaftliche Einheit (etwa 15 Mitarbeiter) einzurichten. Ausschuss und wissenschaftliche Einheit sollten durch ein vom Deutschen Bundestag berufenes Kuratorium unterstützt werden.

Die Fraktion der Grünen votierte für die Gründung einer TA-Stiftung, deren Leitung aus Abgeordneten und nichtparlamentarischen Expertinnen und Experten zusammengesetzt sein und von der Mitgliederversammlung gewählt werden sollte. Der Stiftung sollte ein Institut zugeordnet werden, welches TA-Studien zu begleiten und parlamentsorientiert aufzuarbeiten hätte. Zusätzlich würde dem Präsidium des Deutschen Bundestages eine dauerhafte wissenschaftliche Einheit angegliedert, die – neben anderen Aufgaben – TA-Studien an die Stiftung vergeben sollte.

Screenshot: Antrag von 1973 auf ein »Amt zur Bewertung technologischer Entwicklung beim Deutschen Bundestag« (Drs. 7/468)
Der Startpunkt der TA: Antrag von 1973 auf ein »Amt zur Bewertung technologischer Entwicklung beim Deutschen Bundestag« (Drs. 7/468)
Screenshot des Vorworts von Jürgen Rüttgers, CDU,  zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission TA vom April 1989 (Drs. 11/4606)
Vorwort zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission vom April 1989 (Drs. 11/4606)

Die Einrichtung einer parlamentarischen Beratungskapazität für TA 

Am 16. November 1989 beschlossen der Deutsche Bundestag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P. den Ausschuss für Forschung und Technologie in »Ausschuss für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung« umzubenennen und eine wissenschaftliche Einrichtung zu beauftragen, für den Deutschen Bundestag Technikfolgenabschätzung durchzuführen (Drs. 11/5489). Damit waren die Weichen für die Implementierung einer ständigen Einrichtung gestellt. Mit der gefundenen institutionellen Lösung verbanden alle Fraktionen des Deutschen Bundestages – bei allen Unterschieden – die Hoffnung, eine geeignete Form für TA beim Deutschen Bundestag gefunden zu haben: eine ständige TA-Einrichtung, die unabhängig von Wahlterminen und Legislaturperioden das Parlament bei seinen Aufgaben als Gesetzgeber und Kontrollorgan der Regierung sowie bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen des wissenschaftlich-technischen Wandels unterstützen sollte.

Screenshot Drs. 11/5489 Beschluss TA-Einrichung Deutscher Bundestag vom 18. Oktober 1989
Beschlussempfehlung zur Einrichtung einer parlamentarischen TA-Kapazität (Drs. 11/5489)

Zur Begründung der Einrichtung einer dauerhaften wissenschaftlichen Beratungskapazität für den Deutschen Bundestag: 

»Die Dynamik des technischen Fortschritts ist eine der Grundvoraussetzungen für die wirtschaftliche und soziale Leistungsfähigkeit unseres Landes, für die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und für die Lösung globaler Menschheitsprobleme.

Neue Technologien können aber auch nichtbeabsichtigte und unerwünschte Folgen für Mensch und Natur haben. Der Deutsche Bundestag muss dazu beitragen, Chancen neuer Technologien zu nutzen und Risiken zu vermindern. Dazu gehört sowohl die Gestaltung der Rahmenbedingungen des technischen Fortschritts als auch die Beteiligung am sozialen Dialog. Die politische Debatte über Wissenschaft und Technik soll irrationale Haltungen abbauen sowie Orientierung und Vertrauen stärken. Zur Erfüllung seiner Aufgaben in diesem Bereich bedient sich der Deutsche Bundestag verschiedener Instrumente, wie Enquete-Kommissionen, Anhörungen, Wissenschaftlicher Dienst, die sich grundsätzlich bewährt haben. Angesichts der neuen Dimensionen des technisch Machbaren und des steigenden Tempos technologischer Veränderungen hat sich jedoch der Informationsbedarf des Parlaments erhöht. Deshalb ist eine Ergänzung des bestehenden Instrumentariums durch eine kontinuierlich nutzbare Beratungskapazität notwendig.«
Quelle: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie, Drs. 11/5489 vom 26. Oktober 1989, S.6

Institutionelle Entwicklung des TAB seit 1990

Am 29. August 1990 wurde nach einem Ausschreibungsverfahren auf Vorschlag des damaligen Ausschusses für Forschung und Technologie ein Vertrag mit dem Kernforschungszentrum Karlsruhe für eine dreijährige Erprobungsphase geschlossen und das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) gegründet. Es wird seither vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) – bis 1995 Abteilung für angewandte Systemanalyse (AFAS) – des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), ein Zusammenschluss von Forschungszentrum Karlsruhe und Universität Karlsruhe, betrieben.

Nach Ablauf der Pilotphase beschloss der Deutsche Bundestag am 4. März 1993 aufgrund eines positiven Berichtes des zuständigen Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung einvernehmlich, den Modellversuch abzuschließen und eine ständige Beratungseinrichtung »Technikfolgenabschätzung (TA) beim Deutschen Bundestag« zu etablieren (Drs. 12/4193). Für die folgenden beiden Fünfjahresperioden (bis einschließlich August 2003) wurde das damalige Forschungszentrum Karlsruhe allein mit dem Betrieb des TAB beauftragt, von September 2003 bis August 2013 kooperierte es gemäß eines Beschlusses des Forschungsausschusses mit dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe, von September 2013 bis August 2018 mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig - UFZ, dem Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung gGmbH (IZT) und der VDI/VDE Innovation und Technik GmbH (VDI/VDE-IT).

Am 6. Juni 2018 und wiederholt am 21. Juni 2023 hat der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung nach einer Ausschreibung und mehrstufigem Bewerbungsverfahren beschlossen, das Karlsruher Institut für Technologie für weitere fünf Jahre mit dem Betrieb des TAB zu beauftragen (bis 31. August 2028), wobei es in bestimmten Aufgabenfeldern weiterhin mit dem Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) und der VDI/VDE Innovation und Technik GmbH (VDI/VDE-IT) zusammenarbeitet.

Screenshot (Ausschnit) des 1. TAB-Berichts vom April 1991 zum Raumtransportsystem SÄNGER
Die Vorstudie für eine Technikfolgenabschätzung zum Raumtransportsystem Sänger war 1991 der erste TAB-Bericht
Die  Berichterstattergurppe TA mit Mitarbeiter/innen des TAB vor dem Aufsteller TAB im Foyer im Paul-Löbe-Haus TAB/steg__mann
Wissenschaftliche Politikberatung die im Bundestag ankommt. Die Berichterstattergruppe TA mit Mitarbeitenden des TAB-Team beim TAB im Foyer 2019

Dokumente und weiterführende Links

Weiterführende Informationen zu  parlamentarischer TA (Auswahl)


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