TAB-Arbeitsbericht-ab127Andres Kilger/SMB

Öffentliche elektronische Petitionen und bürgerschaftliche Teilhabe

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Aus Sicht der Bürger erfüllen Petitionen zwei wesentliche Funktionen: Sie sind ein Mittel des individuellen Rechts- und Interessenschutzes sowie eine Möglichkeit der Teilhabe am politischen Leben. Auch wenn die Institutionen und Verfahren des Rechtsschutzes und der politischen Teilhabe üblicherweise nur wenig miteinander zu tun haben, gehen sie im Petitionswesen eine besondere Verbindung ein. Denn die individuelle Beschwerde über eine tatsächliche oder vermeintliche Fehlentscheidung einer Behörde gegenüber einem Bürger bringt dieser gegebenenfalls nicht nur in der Absicht vor, dass ihm persönlich durch den Petitionsausschuss geholfen werde. Er oder sie erwartet vielmehr auch, dass geprüft wird, ob sich aus dem Einzelfall nicht Hinweise ergeben, die für eine generelle Korrektur einer Behördenpraxis, einer Verordnung oder gar eines Gesetzes sprechen. Und selbst wenn der Petent diese politische Absicht nicht verfolgen sollte, wird sich der Petitionsausschuss in der Bearbeitung der Bürgereingaben diese Frage nach den allgemeineren politischen Konsequenzen eines Einzelfalls immer stellen. Dies macht den eminent politischen Charakter der Arbeit des Petitionsausschusses über den einer »Nothilfestelle« hinaus aus. Diese spezifische Ausformung des Petitionswesens beim Deutschen Bundestag ist eines seiner Erfolgsrezepte, die sich in der positiven Wahrnehmung des Petitionsrechts durch die Bürger ausdrückt: etwa 20.000 Eingaben gehen jedes Jahr beim Petitionsausschuss ein, zwischen 500.000 und 1 Mio. Bürger beteiligen sich jährlich an diesen Petitionen mit ihren Unterschriften.

Dieser Erfolg beruht nicht zuletzt auf einer ständigen Modernisierung des Petitionswesens, das sich immer wieder neuen gesellschaftlichen Bedingungen angepasst hatte. So wurden fast in letzter Minute vor der Auflösung des Deutschen Bundestages wegen der vorgezogenen Neuwahl im Sommer 2005 drei Reformmaßnahmen beschlossen:

  1. Die Einreichung von Petitionen auch über das Internet zu ermöglichen – sogenannte Online- oder E-Mail-Petitionen.
  2. Petitionen im Internet zu veröffentlichen – sogenannte »Öffentliche Petitionen«. Dies wurde im Modellversuch zunächst bis Herbst 2007 befristet.
  3. Ausschusssitzungen mit Petenten öffentlich durchzuführen, wenn Petitionen von mehr als 50.000 Bürgern unterstützt wurden.
     

Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Ausgangspunkt und erster Untersuchungsschwerpunkt des Projekts E-Petitionen war die Begleitung des Modellversuchs »Öffentliche Petitionen« des Deutschen Bundestages. Durch den Modellversuch wurden fünf Neuerungen in das Petitionsverfahren eingeführt:

  • Petitionen können an den Bundestag elektronisch übermittelt werden.
  • Petitionen können – nach Prüfung – im Internet veröffentlicht werden.
  • In einem Zeitraum von 6 Wochen nach Veröffentlichung der Petition im Internet können im elektronischen Petitionssystem des Bundestages Unterschriften zur Unterstützung der Petitionen gesammelt werden.
  • Im selben 6-Wochen-Zeitraum kann über die Petition im Internet in einem Online-forum diskutiert werden.
  • Nach Abschluss des Petitionsverfahrens wird der Beschluss des Petitionsausschusses mit Begründung im Internet veröffentlicht.

Diese Neuerungen innerhalb des Modellversuchs stellen einen bedeutenden Modernisierungsschritt dar. Denn der Deutsche Bundestag hatte bisher – weder im Internet noch als Bundestagsdrucksache oder in anderer Form – die Petitionstexte und die Beschlussfassung mit Begründung zur jeweiligen Petition veröffentlicht. Die Tür zur »Öffentlichen Petition« wurde durch den Modellversuch zwar geöffnet, aber bisher nur einen Spalt weit. Gegenwärtig werden etwa 2 % aller Petitionen auf diese Weise veröffentlicht.

Bei der wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs wurden u.a. die folgenden Untersuchungsaspekte verfolgt:

  • die Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit des Softwaresystems,
  • dessen technische und verfahrensmäßige Einbettung in das (informationstechnische) Umfeld des Deutschen Bundestages sowie
  • die Nutzung und Bewertung des Systems durch Öffentlichkeit, Petenten, Bundestagsverwaltung und Politik.

Die Untersuchungsfelder dieses Projekts gingen über den Modellversuch des Deutschen Bundestages hinaus. Um das Petitionswesen des Bundestages in Beziehung zu ähnlichen Aktivitäten anderer Institutionen zu setzen, wurden auch Eingabemöglichkeiten an andere staatliche und nichtstaatliche Eingabe-, Beschwerde- und Schlichtungsstellen in Deutschland analysiert. Internationale Entwicklungen im Petitionswesen wurden ebenfalls in den Blick genommen. Von besonderem Interesse war dabei, in welcher Wechselbeziehung die unterschiedlichen politischen Systeme und Kulturen zu den Ausprägungen der Institutionen des Petitions- und Ombudswesens stehen und wie sich vor diesem Hintergrund spezifische auf das Petitionswesen bezogene Reformansätze herausgebildet haben.

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf den durch das Internet ermöglichten partizipativen und diskursiven Elementen im Petitionsverfahren, die in manchen E–Petitionssystemen angeboten und in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit auf ein breites Interesse stoßen.

Das TA-Projekt leistete so einen doppelten Beitrag: Einerseits wurden für ein wichtiges E–Demokratieprojekt des Deutschen Bundestages – des Modellversuchs »Öffentliche Petitionen« – konkrete Empfehlungen zu seiner Fortführung und für die Gestaltung eines zukünftigen Systems erarbeitet; andererseits lieferten die Untersuchungsergebnisse zur Einführung und Nutzung von E–Petitionssystemen im In- und Ausland einen Beitrag zur Diskussion um die Internetnutzung in der Politik im Allgemeinen und durch Parlamente im Besonderen.

 

Ergebnisse

Evaluation des Modellversuchs »Öffentliche Petitionen«

Der Modellversuch »Öffentliche Petitionen« wurde insgesamt positiv bewertet. Diese positive Bewertung ergibt sich insbesondere aus den Befragungen von Petenten, Politikern und Verwaltungsmitarbeitern des Bundestages, die eine hohe Akzeptanz zum Ausdruck brachten und die prinzipielle Zielsetzung und Konzeption des Modellversuchs als wegweisend auch für andere »E–Demokratie-Vorhaben« ansahen.

Insgesamt wurden im Laufe des Modellversuchs pro Jahr einige Hundert öffentliche Petitionen zugelassen, einige Tausend Diskussionsbeiträge übermittelt sowie einige Hunderttausend Unterschriften gesammelt.

Gleichwohl gab es auch eine Reihe von Problembereichen, von denen drei benannt werden sollen:

  1. Die Software entsprach nicht mehr den Anforderungen an Funktionalität, Benutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit. Irritierend war auch, dass die Webadresse eine schottische war, da die Software von einer schottischen Universität betrieben wurde. Der Petitionsausschuss hat deshalb aus guten Gründen eine eigene Software-entwicklung veranlasst, deren erste Version seit Oktober 2008 im Einsatz ist.
  2. Das schottische Softwaresystem »Öffentliche Petitionen« war eine reine Insellösung, Datenaustausch geschweige denn eine Integration in die IT-Umgebung des Bundestages gab es nicht, was zu Ineffizienzen im Arbeitsablauf führte.
  3. Schließlich wurde mit den elektronischen Diskussionsforen ein ganz neues Element im Petitionsverfahren eingeführt. Für alle Beteiligten ist noch nicht befriedigend geklärt, welche Ziele mit diesem Diskussionsforum im Einzelnen verfolgt werden und wie die Ergebnisse der jeweiligen Diskussion in das Petitionsverfahren einfließen können.
 

E–Petitionen im Ausland

Fallstudien zu elektronischen Petitionssystemen im Ausland wurden beim schottischen Regionalparlament (dem Vorbild des deutschen Systems), beim britischen Premierminister, bei der Exekutive in Südkorea, beim Regionalparlament in Queensland (Australien) sowie bei norwegischen Kommunen durchgeführt. Außerdem wurden auch private Betreiber von Petitionsplattformen im Internet in die Untersuchungen einbezogen.

Bei all diesen Systemen können Petitionen im Internet veröffentlicht und dazu über das Internet Unterschriften gesammelt werden. Aber nicht überall können Petitionen auch elektronisch eingereicht werden, wie z.B. in Queensland, wo jede Petition einen Abgeordneten als „Paten“ benötigt. Die Veröffentlichung einer Petition im Internet ist also nicht unbedingt mit der elektronischen Einreichung gleichzusetzen. In Schottland werden beispielsweise auch Petitionen, die per Post eingereicht wurden, im Internet veröffentlicht. Von den untersuchten E–Petitionssystemen verfügt nur ein Teil über ein Diskussionsmodul (das schottische und das der norwegischen Kommunen). Die Systeme in Queensland und beim britischen Premier bieten eine solche Möglichkeit nicht an. Durch die vergleichenden Fallstudien wurde deutlich, dass die jeweiligen politischen Systeme und Kulturen die Ausprägung der elektronischen Komponenten im Petitionswesen beeinflussen.

Doch welche besonderen Merkmale weisen die ausländischen E-Petitionssysteme darüber hinaus auf und welche Anregungen für die Ausgestaltung des Systems des Deutschen Bundestages könnten sie eventuell geben?

  • Einige Petitionssysteme geben den Petenten mehr Freiheit in der zeitlichen Gestaltung des Verfahrensablaufs. Es stellt sich die Frage, warum der Petent nicht selbst darüber bestimmen soll, wann seine Petition veröffentlicht wird und wie lange die Mitzeichnungs- und Diskussionsfrist laufen soll.
  • Das E-Petitionssystem des britischen Premiers geht in außergewöhnlicher Weise mit Petitionen um, die aus formalen Gründen für das Petitionsverfahren abgelehnt wurden. Diese werden in der Rubrik »nicht zugelassene Petitionen« ebenfalls im Internet veröffentlicht und die Begründung für die Zurückweisung ergänzt. Damit soll prospektiv dem Verdacht begegnet werden, dass sich die Administration durch die formale Ablehnung einer Petition unliebsamen Themen oder zusätzlicher Arbeit entledigen wolle.
  • Das schottische Petitionssystem steht für ein Höchstmaß an Transparenz und Zugänglichkeit. Dies kommt z.B. darin zum Ausdruck, dass alle Petitionen, unabhängig davon, ob sie elektronisch oder auf Papier eingereicht wurden, im Internet veröffentlicht werden; und dass alle wesentlichen Dokumente des gesamten Petitionsverfahrens ebenfalls im Internet abrufbar sind.
 

Übergreifende Ergebnisse

Unter Berücksichtigung sowohl der beim Bundestag als auch der im Ausland durchgeführten Untersuchungen, kann das Folgende besonders hervorgehoben werden:

  • Durch die Einführung von elektronischen Petitionssystemen bei den Parlamenten konnte bisher kein Anstieg des Petitionsaufkommens insgesamt festgestellt werden.
  • Die herkömmlichen Formen der Einreichung werden weiterhin in beträchtlichem Umfang genutzt. Teilweise sind die traditionellen Unterschriftensammlungen erfolgreicher als die über das Internet.
  • Die soziale Zusammensetzung der Nutzer elektronischer Petitionssysteme unterscheidet sich nur geringfügig von der sozialen Zusammensetzung der herkömmlichen Petenten. Diese sind im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung überwiegend männlich, besser gebildet und gehören eher älteren Altersgruppen an. Eine Öffnung zu anderen Bevölkerungsgruppen über elektronische Petitionssysteme ist bisher nur in Ansätzen gelungen.
  • Ein schwerwiegender Missbrauch der elektronischen Petitionssysteme konnte bisher nicht festgestellt werden. Gleichwohl ist die Aufgabe der Moderation nicht zu unterschätzen und bedarf entsprechender Personalressourcen.
  • Im Kontext einer Diskussion um eine stärkere bürgerschaftliche Teilhabe an parlamentarischen Prozessen unter Nutzung des Internets erscheinen elektronische Petitionssysteme besonders geeignet und erfolgreich zu sein. Dies liegt insbesondere daran, dass das Bürgerengagement auf ein etabliertes Petitionsverfahren trifft, das ohnehin auf die Bearbeitung von Eingaben vorbereitet ist.
     

Entwicklungsoptionen

Der Deutsche Bundestag hat mit dem Modellversuch »Öffentliche Petitionen« und der Einreichung über das Internet einen entscheidenden Schritt zur Modernisierung des Petitionswesens gemacht und sich damit weltweit in der vorderen Reihe parlamentarischer E–Demokratieprojekte etabliert. Neben der Medieninnovation, also der Nutzung des Internets im Petitionswesen, erscheint aus einer institutionellen Perspektive der Schritt zur Veröffentlichung von Petitionen mindestens genauso beachtenswert, denn öffentliche Petitionen gab es bisher beim Deutschen Bundestag überhaupt nicht.

Es seien abschließend drei Entwicklungsoptionen für das Petitionswesen des Deutschen Bundestages benannt, die in einer mittel- bis langfristigen Perspektive diskutiert werden könnten:

  1. Die Medienvielfalt sollte auch im Petitionswesen erhalten, ausgebaut und eine Beschränkung auf das Internet vermieden werden. Wenn man das Spektrum der Petenten über die erwähnte einseitige soziale Zusammensetzung hinaus ausweiten will, dann lohnt es sich darüber nachzudenken, ob der bisherige ausschließlich schriftdominierte »Eingabekanal« (postalisch wie auch elektronisch) ausreichend ist. Bei allen Eingabe- und Petitionssystemen, die mündliche, d.h. persönliche oder telefonische Vorsprachen zulassen, werden diese Möglichkeiten nach den Untersuchungen des TAB ebenfalls sehr stark genutzt.
  2. Profilierung des Bundestages als umfassende Plattform für Eingaben und Petitionen. Der Petitionsausschuss des Bundestages ist die bekannteste und profilierteste Eingabestelle für Bürger, die über umfassende Kompetenzen und Untersuchungsbefugnisse verfügt. Er ist jedoch nicht die einzige Stelle, an die sich Bürger mit ihren Anregungen und Sorgen wenden können. In Politik, Wirtschaft und Medien gibt es immer mehr Institutionen, die eine potenzielle Konkurrenz zum Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages darstellen. In dieser sich entwickelnden Vielfalt der Eingabe-, Ombuds- und Petitionsstellen ist beobachtbar, dass immer mehr Eingaben an den »falschen«, nicht zuständigen Adressaten gerichtet werden und dann zurückgewiesen werden müssen. Das ist sowohl für Bürger und Petenten als auch für Petitionsadressaten ärgerlich und führt zu einem vermeidbaren Bearbeitungsaufwand.
    Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages könnte sich dahingehend profilieren, dass er eine internetgestützte Plattform anbietet – eine »Leit- und Servicestelle für Beschwerden, Eingaben und Petitionen« –, auf der er sein eigenes umfassendes Profil darstellt, gleichzeitig aber auch Bürgern hilft, die für ihr spezifisches Anliegen richtige Stelle zu finden.
  3. Weiterentwicklung von Öffentlichkeit und Transparenz im Petitionswesen des Deutschen Bundestages. Vor dem Modellversuch waren Petitionen für die Bürger prinzipiell nicht öffentlich zugänglich. Mit den öffentlichen Petitionen wurde ein Pfad zu mehr Transparenz des Petitionsgeschehens eröffnet. Allerdings werden gegenwärtig weniger als 2 % aller Petitionen im Internet veröffentlicht. Andere parlamentarische Petitionssysteme, wie z.B. das schottische und das des Europäischen Parlaments veröffentlichen alle Petitionen, wenn die Zustimmung der Petenten vorliegt oder nachdem personenbezogene Angaben anonymisiert wurden. Die im Rahmen des Projekts befragten Petenten herkömmlicher und elektronischer Petitionen haben sich mehrheitlich auch dafür ausgesprochen, dass ihre Petition in der Öffentlichkeit bekannt gemacht wird.

Mehr Transparenz und Öffentlichkeit im Petitionswesen könnte dazu beitragen, die vertrauensbildende Funktion des Petitionswesens zwischen Bürger und Politik weiter zu stärken und den politischen Einfluss des Bundestages in Petitionsangelegenheiten zu erhöhen.

 

Ausblick

Der Deutsche Bundestag hat seit Oktober 2008 ein neues, nun eigenes elektronisches Petitionssystem im Einsatz. Der Petitionsausschuss ist in diesem Zusammenhang erneut an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung mit der Bitte herangetreten, dass das TAB diese neue Phase weiterhin wissenschaftlich begleiten soll. Dies wurde im Oktober 2008 beschlossen. Das neue Projekt wird im Sommer 2009 beginnen.

Kontakt

Christopher Coenen
christopher.coenen∂kit.edu
+49 721 608-24559

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