Erste WHO-Empfehlung für einen Malariaimpfstoff

Mehr als ein Meilenstein bei der Bekämpfung einer der häufigsten Infektionskrankheiten der Welt?
Poster advertising trials of the RTS,S vaccineBlythwood/WikiCommons (CC BY 3.0)

Katrin Gerlinger, Alma Kolleck | 5. April 2022

Im Oktober 2021 empfahl die WHO erstmalig einen Malariaimpfstoff für Kleinkinder – eine von vielen sehnsüchtig erwartete Nachricht. Ein Impfstoff wird dringend gebraucht, weil sich derzeit jährlich 240 Mio. Menschen mit Malaria infizieren und mehr als 600.000 daran sterben. Betroffen ist vor allem Subsahara-Afrika, wo 80 % der Opfer Kinder unter 5 Jahren sind. Die WHO-Empfehlung ist das letzte notwendige Votum, um einen neuen Impfstoff ins Portfolio internationaler Gesundheitsinitiativen aufnehmen zu können. Sie gilt deshalb als Meilenstein der Malariabekämpfung. Doch hat dieser Malariaimpfstoff das Zeug, ein Gamechanger zu werden?

Der Frage nach den besonderen Herausforderungen bei der Malariaimpfstoffentwicklung ist das TAB bereits vor einigen Jahren in einem Projekt zu medizinischen Innovationen gegen vernachlässigte Krankheiten nachgegangen. Malaria wird durch Plasmodien verursacht – Parasiten, die von in (sub)tropischen Zonen verbreiteten Mückenarten übertragen werden. Infektionen lösen beim Menschen nach 7 bis 14 Tagen vor allem Fieber- und Erschöpfungsschübe aus. Bei Personen mit eingeschränktem Immunsystem können sie innerhalb weniger Tage tödlich sein. Die Entwicklung eines Malariaimpfstoffs ist schwierig. Denn Plasmodien sind viel komplexere Organismen als Viren oder Bakterien. Sie haben eine hohe antigene Variabilität (vielfältige Oberflächenstrukturen) und durchlaufen verschiedene Entwicklungsstadien. Im Laufe der Zeit haben sich unterschiedliche Stammformen und Resistenzen gebildet, sodass man eher nicht davon ausgeht, dass ein einziger Impfstoff eine hohe Schutzwirkung gegen alle Varianten des Erregers erreicht.

Drei Jahrzehnte Impfstoffentwicklung

Der jetzt empfohlene Impfstoff MosquirixTM ist ein sogenannter Peptid-Impfstoff.  Er enthält drei antigene Bestandteile, die bereits in den 1980er Jahren aus Erregerstämmen extrahiert wurden, sowie einen Wirkverstärker. Die antigenen Bestandteile können seit den 1990er Jahren gentechnisch hergestellt werden. 1992 begann die klinische Prüfung des Impfstoffs, zunächst an wenigen Freiwilligen, dann an größeren Personengruppen und in Zielpopulationen in endemischen Gebieten. Die einzelnen Prüfungsphasen dauerten Jahre, u.a. weil Studienkapazitäten vor Ort ausgebaut und erhebliche Finanzierungsquellen gefunden werden mussten.

2009 begann die zulassungsrelevante Phase-III-Studie in 7 afrikanischen Ländern, an der 15.500 Babys und Kleinkinder teilnahmen. Die Hälfte wurde in den ersten 3 Monaten dreimal geimpft. Wegen der sich abzeichnenden begrenzten Wirksamkeit wurde eine Teilgruppe zwei Jahre später geboostert. Das Erkrankungsgeschehen wurde jahrelang überwacht. 2015 konnte man bei den Vierfachgeimpften 36% weniger Malariaerkrankungen als in der Kontrollgruppe vermelden. Bei den geimpften Kindern gab es jedoch einige Fälle von Meningitis und der besonders gefährlichen zerebralen Malaria[s8]  (Infektion des Zentralnervensystems), bei denen ein Zusammenhang mit der Impfung nicht ausgeschlossen werden konnte. Und es gab schwache Hinweise auf eine erhöhte Mortalität bei geimpften Mädchen in der Nachbeobachtungsphase. Mit diesen Ergebnissen hat der Hersteller bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA die Zulassungsprüfung beantragt. Die EMA bewertete trotz der Sicherheitsbedenken die 36%ige Wirksamkeit als ausreichend und empfahl 2015 den Einsatz in Risikogebieten bei weiterer Überwachung während der Anwendung. Die WHO schloss sich dieser Empfehlung nicht an. Sie forderte weitere Pilotprojekte mit insgesamt 1 Mio. Teilnehmenden und machte ihr Votum von den Ergebnissen abhängig. Es vergingen weitere 6 Jahre, bis diese vorgelegt werden konnten. Sie entkräfteten einerseits die Sicherheitsbedenken. Andererseits zeigten sie, dass die Impfwirksamkeit unter Anwendungsbedingungen geringer ist. Die viermalige Impfung senkte die Anzahl schwerer Malariaerkrankungen um 30%  und malariabezogener Hospitalisierungen um 21%. Anhand dieser Resultate empfahl die WHO schließlich, den Impfstoff für Kinder ab fünf Monaten in malariaendemischen Gebieten Afrikas einzusetzen – nach fast drei Jahrzehnten Entwicklung zweifellos ein Meilenstein.

Damit erhielt der Instrumentenkasten der Malariabekämpfung, in dem sich bereits Insektizide zur Mückenbekämpfung, Bettnetze zum Schutz vor nächtlichen Mückenstichen, (Schnell-)Tests sowie Medikamente zur Malariabehandlung befanden, ein weiteres Element. Das scheint auch dringend nötig, denn mit dem bis dato verfügbaren Instrumentenset gelang es nicht, Malaria in Subsahara-Afrika substanziell und dauerhaft zurückzudrängen. Dass der jetzt empfohlene Impfstoff mit seinem aufwendigen Impfregime und seiner begrenzten Wirksamkeit der entscheidende Gamechanger im Kampf gegen Malaria in Subsahara-Afrika wird, kann allerdings bezweifelt werden.

Die Suche nach wirksamen Instrumenten zur Malariabekämpfung geht weiter

Unterschiedliche Forscherteams arbeiten an weiteren Impfkonzepten und hoffen auf eine bessere Wirksamkeit. Nachdem es 2020 gelang, unterschiedliche Coronaimpfstoffe innerhalb eines Jahres vollständig zu prüfen und zuzulassen, stellt sich u.a. die Frage, wie sich die Entwicklungszeit auch bei Malariaimpfstoffen signifikant verkürzen lässt.

Auch technologisch gänzlich neuartige Ansätze werden in Erwägung gezogen, darunter der Einsatz sogenannter Gene-Drives. Die Idee ist, z.B. ein Unfruchtbarkeitsgen in plasmodienübertragende Mückenpopulationen einzubringen, das sich dort ausbreiten und in Folge die Population zerstören soll. Befürworter hoffen, damit die Übertragungskette unterbrechen zu können. Die technischen Möglichkeiten und Grenzen von Gene Drives auch im Kontext von Malaria werden derzeit vom TAB untersucht. Zudem werden die Chancen und Herausforderungen sowohl bei der Impfstoffentwicklung als auch bei der Gene-Drive-Technologie Thema einer TAB-Diskussionsveranstaltung sein, die anlässlich des Weltmalariatags am 25. April stattfindet.

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