Auswirkungen des Einsatzes transgenen Saatguts auf die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen in Entwicklungsländern
- Projektteam:
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
- Analyseansatz:
TA-Projekt
- Starttermin:
2006
- Endtermin:
2008
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Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Ziel des vom Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit angeregten TAB-Projekts »Auswirkungen des Einsatzes transgenen Saatguts auf die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen in Entwicklungsländern« war es, die allgemeine Informations- und Debattenlage zu dieser Fragestellung aufzuarbeiten sowie möglichst konkret zu erfassen, wie sich der Einsatz transgenen Saatguts in den vergangenen zwölf Jahren tatsächlich entwickelt hat, welche Folgen identifizierbar sind und was daraus für die zukünftige Ausgestaltung der deutschen (bzw. auch europäischen) Entwicklungspolitik abgeleitet werden kann. Inhaltlicher Schwerpunkt des Berichts sind vier Fallstudien zu Ländern mit ausgedehntem (Brasilien, China) und solchen mit bislang begrenztem Einsatz (Chile, Costa Rica) von gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP). Die Ergebnisse dieser Länderstudien wurden mit Blick auf zentrale Frage- bzw. Zielstellungen vergleichend diskutiert: zum Bereich Forschung und Entwicklung, zur Frage der bisherigen ökonomischen Resultate des Anbaus transgener Pflanzen, zu sonstigen sozioökonomischen Effekten und Fragen der Teilhabe sowie zur Erfassung, Bewertung und Regulierung von Risiken.
Ergebnisse
Im Jahr 2007 wurden transgene Pflanzen in insgesamt 23 Ländern auf rund 114 Mio. ha angebaut, was ca. 5 % der weltweiten Anbaufläche entspricht. Diese Flächen konzentrieren sich sehr stark auf fünf Länder in Nord- und Südamerika, in denen allein 88 % der Anbauflächen liegen (USA: 57,7 Mio. ha; Argentinien: 19,1 Mio. ha; Brasilien 15,0 Mio. ha; Kanada: 7,0 Mio. ha; Paraguay: 2,6 Mio. ha), auf Indien (6,2 Mio. ha), China (3,8 Mio. ha) sowie Südafrika (1,5 Mio. ha). Auch nach zwölf Jahren Anbau repräsentieren lediglich zwei gentechnisch übertragene Eigenschaften, nämlich Herbizidresistenz (»HR«) und Bacillus-thuringiensis-Insektenresistenz (»Bt«), jeweils allein oder kombiniert 99,9 % der angebauten GVP und das in nur vier Pflanzenarten (51,3 % Soja, 30,8 % Mais, 13,1 % Baumwolle, 4,8 % Raps). Ein kommerzieller Anbau findet nahezu ausschließlich in den sog. Schwellenländern statt und beschränkt sich ganz überwiegend auf zwei sogenannte Cash Crops: HR-Soja in Südamerika (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) sowie Bt-Baumwolle in Indien und China. Hinzu kommen HR- u./o. Bt-Maisflächen v.a. in Südafrika, in Argentinien und auf den Philippinen. Ein Anbau für die Ernährungssicherung oder für lokale Märkte spielt insgesamt kaum eine Rolle.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser als Futtermittel und zur Textilherstellung verarbeiteten und exportierten pflanzlichen Produkte ist teilweise groß. Baumwolle ist z.B. in China das wertmäßig wichtigste landwirtschaftliche Produkt überhaupt und wird zu ca. 70 % aus transgenen Sorten gewonnen. In Brasilien ist das zentrale landwirtschaftliche Produkt Soja, das einen Anteil von ca. 10 % am Gesamtexport des Landes hat und 2007 zu etwa zwei Dritteln mithilfe transgener Sorten produziert wurde.
Forschung und Entwicklung: Kapazitäts- und Zugangsprobleme
Eine erfolgreiche nationale Eigenentwicklung transgener Sorten ist nur bei erheblicher wirtschaftlicher Potenz und umfassenden Forschungskapazitäten realistisch – unter den Beispielländern ist dies nur in China der Fall. Hinzu kommen hier als begünstigender Faktor die besonders großen Steuerungsmöglichkeiten des autoritären Staates. In den anderen Ländern werden Forschung und Entwicklung zum Teil stark von internationalen Firmen dominiert (Brasilien), oder der Umfang der Aktivitäten und Kapazitäten erscheint begrenzt (Costa Rica und Chile). Wichtige Hemmnisse und Schranken sind die Patentierung vieler Verfahren und Produkte (dazu noch in der Hand weniger großer Unternehmen) sowie die zum Teil unklare Regulierungslage, welche die Erfolgsaussichten eines FuE-Engagements schwer kalkulierbar macht.
Insbesondere in kleinen oder armen Ländern sind die wissenschaftlichen und infrastrukturellen Kapazitäten für eine eigenständige landwirtschaftliche Forschung im Allgemeinen und zu gentechnologischer Entwicklung im Speziellen unzureichend. Daher muss in den betreffenden Ländern geklärt werden, welche Art der Kooperation (mit privaten Firmen, internationalen Institutionen/Organisationen, öffentlicher FuE in Industrieländern) bei der Suche nach bestmöglichen Lösungen für landesspezifische Problemstellungen besonders erfolgversprechend und wünschenswert ist. Eine Beteiligung von Kleinbauernvertretern und anderen sozialen Gruppen bei der Formulierung von Forschungsbedarf und der Suche nach neuen (technologischen) landwirtschaftlichen Strategien ist bislang meist gering oder kaum entwickelt.
Bisherige Ökonomische Resultate: Schwache Datenlage
Eine abschließende Bewertung der betriebs- und volkswirtschaftlichen Höhe und Verteilung der Gewinne, die durch den Anbau transgener Pflanzen in Entwicklungs- und Schwellenländern erzielt worden sind, ist aufgrund unzureichender Daten derzeit nicht möglich. Studien, die beanspruchen dies leisten zu können, sind wissenschaftlich nicht untermauert und basieren auf nichtbelastbaren Hochrechnungen. Auch die Fallstudien zu China und Brasilien konnten hier keine Abhilfe schaffen: Die bisher publizierten Untersuchungen zu den ökonomischen Ergebnissen des Bt-Baumwollanbaus in China basieren auf Daten aus wenigen Jahren von wenigen Hundert ha (bei einer Gesamtanbaufläche von 5,5 Mio. ha) und zeigen enorme Schwankungen; und zu Brasilien existieren überhaupt keine Veröffentlichungen zu Anbauergebnissen, sondern lediglich Schätzungen. Unumstritten ist, dass insbesondere in China und Indien, aber auch auf den Philippinen und in Südafrika die transgenen Sorten überwiegend von kleinen und mittleren Betrieben angebaut werden. Diese Beobachtung lässt aber keine Schlüsse auf Anbauergebnisse oder über Gewinnhöhe und ‑verteilung zu.
Seriöse wissenschaftliche Übersichtsstudien verweisen auf das grundsätzliche Problem, dass der tatsächliche bzw. mögliche Nutzen und Gewinn aus der Verwendung transgenen Saatguts in vielfacher Weise durch regionale und betriebliche Faktoren beeinflusst wird, u.a. durch die vorhandene bzw. vorher verwendete Anbautechnik, die Schädlingsintensität, den stark schwankenden Saatgutpreis, die Konkurrenzsorten u.v.a.m. Es ist zwar möglich, durch Einzelfallbetrachtungen unter umfassender Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen sowie im Vergleich mit sorten- und anbautechnischen Alternativen quantitativ zu ermitteln, wie sich der Anbau einer bestimmten (transgenen) Pflanzensorte unter bestimmten Bedingungen in einem definierten Zeitraum entwickelt hat und welche ökonomischen (und ökologischen) Implikationen dabei aufgetreten sind. Der Einfluss einzelner Faktoren, z.B. des gentechnisch übertragenen Merkmals, auf die einzelnen Effekte und den Gesamtertrag wird aber in den meisten Fällen nicht exakt zu bestimmen sein. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass methodisch verbesserte ökonomische Untersuchungen die fundamentalen Kontroversen über die Potenziale der Grünen Gentechnik substanziell entschärfen können.
Sozioökonomische Aspekte und Fragen der Teilhabe
Weitere sozioökonomische Folgen einer verbreiteten Nutzung transgener Sorten sind auf zwei Ebenen zu beobachten: dem Saatgutmarkt (einschließlich der Ausgestaltung der Schutzsysteme für geistiges Eigentum) sowie den agrarstrukturellen Gegebenheiten wie Betriebsgrößen und Eigentumsverhältnissen. Angesichts der teils monopolartigen Machtstellung der großen Biotechsaatgutunternehmen im Bereich transgener Sorten, die zum Teil auf wenig entwickelte, dezentrale Saatgutmärkte trifft, ergeben sich drängende Fragen zu den Möglichkeiten einer Steuerung der weiteren Entwicklung.
Kritiker der Verbreitung der HR-Soja in Brasilien gehen beispielsweise davon aus, dass ein möglicher ökonomischer Vorteil nicht den landwirtschaftlichen Familienbetrieben und traditionellen Erzeugergemeinschaften zugute komme. Diese seien vielmehr im Zuge der immer stärkeren Weltmarktorientierung der brasilianischen Landwirtschaft, die von der Verbreitung der HR-Soja weiter befeuert werde, zunehmend der Gefahr der Marginalisierung ausgesetzt. Nutznießer in der Landwirtschaft seien Großbauern und Genossenschaften, eindeutige Verlierer seien die Anbieter explizit gentechnikfreier Ware, darunter die ökologisch anbauenden Landwirte, deren Markt durch das Risiko der Kontamination mit transgener Soja gefährdet werde. Darüber hinaus ist im brasilianischen Sojaanbau ein negativer Einfluss durch die Dominanz der HR-Soja von Monsanto auf die Zahl der kleinen und mittleren Saatgutproduzenten und deren Sortenangebot erkennbar.
Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe stellen sich in praktisch allen Teilbereichen der Entwicklung und Nutzung transgenen Saatguts: bei der Frage nach der Zielsetzung und der Ausgestaltung der FuE-Agenda der Länder, der Suche und Einigung über ein Nachhaltigkeitskonzept, der Verteilung der ökonomischen Vorteile und auch bei der Frage nach dem Umgang mit möglichen Risiken. Insbesondere die Fallstudien zu Brasilien und Costa Rica machen deutlich, dass die heftigen Kontroversen in diesen Ländern ganz zentral um die Themen Teilhabe und Sozialverträglichkeit kreisen und nicht vorrangig um »technisch-naturwissenschaftliche« Fragen von »biologischer Sicherheit«. Doch nicht nur im Bereich der Forschung, sondern auch bei der Risikoregulierung stellt eine Beteiligung von Interessengruppen außerhalb von Industrie und Wissenschaft nach wie vor eher ein Desiderat dar, das aber auch in der EU nach wie vor stark umstritten ist.
Risiken – Bewertung und Regulierung
Eine Bewertung der möglichen Risiken ebenso wie von tatsächlich beobachteten negativen Effekten der Nutzung transgener Sorten ist entscheidend abhängig vom gewählten Vergleichsmaßstab sowie den betrachteten Wirkungsebenen. Deshalb erscheinen sowohl eine unrelativierte (also ohne Vergleich mit der bisherigen bzw. sonstigen landwirtschaftlichen Praxis) als auch eine zu stark fokussierte Risikoanalyse (auf naturwissenschaftlich oder agrarökonomisch unzweifelhaft bewiesene Effekte) unangemessen.
Bei einer Betrachtung von Bt-Sorten als eine mögliche Option des Pflanzenschutzes – aber nicht als unbegrenzt nutzbare Lösung der Schädlingsproblematik –, die seriös gegen andere Optionen abgewogen werden muss, relativieren sich viele der in der Debatte angeführten besonderen Risiken (Wirkung auf Nichtzielorganismen, sonstige Ökotoxizität, Resistenzproblematik). Gleichzeitig ist zu fordern, dass als Vergleichsmaßstab für Bt-Sorten nicht nur die konventionelle Praxis, sondern andere innovative, wissensbasierte Optionen z.B. aus dem Bereich des integrierten Pflanzenschutzes und des ökologischen Landbaus herangezogen werden sollten.
Eine Risikobewertung von HR-Sorten erscheint noch komplexer, weil von ihrem Einsatz vielfältige und indirekte Effekte auf die Anbautechnik (Reduzierung der Bodenbearbeitung, Treibstoffeinsparung) und die Landnutzung (Fruchtfolgen, Flächenausdehnung) ausgehen. Diese müssten im Rahmen einer umfassenden Risikoabschätzung und -bewertung zusätzlich zu den »unmittelbaren« Wirkungen der verwendeten und der eingesparten Herbizide auf Mensch und Umwelt betrachtet und gegen diese abgewogen werden.
Mit Blick auf die biologische Vielfalt als übergeordnetes ökologisches Schutzgut gelten zwei Wirkungsketten transgener Sorten als besonders relevant: zum einen die Beeinflussung der Landsortenvielfalt (und sonstiger Agrobiodiversität) als Folge veränderter Anbautechnik und von Entwicklungen in den Saatgutmärkten und zum anderen der mögliche Einfluss einer Auskreuzung in natürliche bzw. konventionelle Bestände, insbesondere in den sog. Zentren der Vielfalt. Auch wenn das Wissen hierzu immer noch sehr begrenzt ist, besteht weitgehender Konsens darüber, dass eine unkontrollierte Transgenverbreitung unterbunden werden sollte, wofür die Maßnahmen in vielen Ländern nicht ausreichend sind.
Im Bereich der Risikoregulierung gelten in vielen Ländern die Regelungsstrategien und Regelwerke nach wie vor als mangelhaft, oder sie fehlen ganz. China und Brasilien haben seit Langem umfassende Vorschriften zum Umgang mit GVO, in Costa Rica und Chile sind entsprechende Gesetzentwürfe noch im parlamentarischen Verfahren. Wie effizient und umfassend die Umsetzung und Kontrolle der Vorschriften in China erfolgen, kann nicht verlässlich eingeschätzt werden, die Ressourcen wären zweifellos vorhanden. Das Beispiel Brasilien zeigt jedoch, dass auch eine entwickelte Gesetzgebung wenig nützt, wenn die politischen und ökonomischen Machtverhältnisse einer Anwendung entgegenstehen.
Handlungsperspektiven
Zwei Aufgaben beim Umgang mit dem Einsatz transgenen Saatguts im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sind perspektivisch von besonderer Bedeutung: die (kontinuierliche) Aufgabe einer Förderung von Kapazitäten und Rahmenbedingungen im Bereich Biosicherheit und Regulierung sowie die Beantwortung der zentralen Frage, wie ein mögliches zukünftiges Potenzial transgener Züchtungsansätze für Entwicklungs- und Schwellenländer besser als bisher eruiert und genutzt werden könnte.
Förderung von Kapazitäten und Rahmenbedingungen im Bereich Biosicherheit und Regulierung
Wie die Projektergebnisse zeigen, sind nach »strengen« deutschen bzw. europäischen Maßstäben die wissenschaftlichen und politischen/regulativen Voraussetzungen in den meisten Entwicklungsländern immer noch nicht und selbst in weit entwickelten Schwellenländern nicht umfassend gegeben. Dies rechtfertigt die bisherige Konzentration der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auf das »capacity building« im Bereich der biologischen Sicherheit im Sinne bzw. zur Umsetzung des Cartagena-Protokolls. Eine solche Unterstützung erscheint angesichts dessen, dass GVP in wachsendem Umfang angebaut werden und kontinuierlich, z.T. auf unkontrollierten Wegen in immer mehr Länder vordringen, sinnvoll und notwendig.
Drei Aspekte des Themenbereichs biologische Sicherheit und Regulierung dürften von besonderer zukünftiger Bedeutung für Entwicklungsländer sein (bzw. bleiben) und sind daher Aufgabenfelder für eine intensive Zusammenarbeit:
- Verbesserung von Risikobewertung und Risikokommunikation: Mit Blick auf den Import und den Anbau von transgenem Saatgut, das in einem anderen Land entwickelt, als sicher bewertet und erstmalig zugelassen worden ist, wäre die Weiterentwicklung von Kriterien und Verfahren der Entscheidungsfindung hilfreich, welche Elemente bereits durchgeführter Sicherheitsbewertungen übernommen werden können und welche landes- bzw. regionenspezifisch neu zu untersuchen sind. Dabei erscheint eine Einbeziehung besonders betroffener gesellschaftlicher Gruppen sinnvoll und notwendig. Hinzu müsste eine umfassende und umsichtige Risikokommunikation kommen.
- Konkretisierung und Substanziierung des Wissens über die Bedrohung der Biodiversität durch die Nutzung transgener Sorten: Obwohl die biologische Vielfalt das übergeordnete ökologische Schutzgut darstellt, ist das Wissen hierzu in vielerlei Hinsicht rudimentär. Die Beeinflussung der Landsortenvielfalt (und sonstiger Agrobiodiversität) als Folge veränderter Anbautechnik und von Entwicklungen in den Saatgutmärkten sowie mögliche Folgen des Anbaus von GVP in den Zentren der Vielfalt (über die Auskreuzung der transgenen Eigenschaften in verwandte Wildsorten bzw. -arten) bilden nach wie vor wichtige Untersuchungsthemen, bei denen der Nutzung bäuerlichen Wissens ein hoher Stellenwert zukommen sollte.
- Etablierung von funktionierenden Systemen der Koexistenz, des Herkunftsnachweises und der Kennzeichnung: Ganz unabhängig von der Nutzung transgener Sorten gilt »identity preservation« (IP) als eine zentrale An- und Herausforderung einer immer stärker internationalisierten und industrialisierten Lebensmittelproduktion, die im Zuge der »Supermarktisierung« gerade in den urbanen Zentren der Entwicklungsländer immer intensiver wird. Deutschland und die anderen EU-Länder haben bei Verfahren der Kennzeichnung und des Herkunftsnachweises umfassendes Know-how anzubieten und sind außerdem als Import- und Exportländer in der Pflicht. Nachdem die globale Einigung auf verpflichtende Standards im Rahmen des Cartagena-Protokolls wohl auf absehbare Zeit schwierig bleiben wird, stellen bilaterale bzw. freiwillige Systeme und Vereinbarungen eine wichtige Option dar.
Über diese konkreten Aufgaben im Themenbereich biologische Sicherheit und Regulierung hinaus wäre es für viele Länder eine wichtige Zukunftsaufgabe, eine bessere Fundierung und Rahmung der Risikobewertung durch eine grundsätzliche Verständigung über die Ziele, Strategien und Wege einer nachhaltigen Landwirtschaft zu erreichen.
Grüne Gentechnik als landwirtschaftliche Zukunftsoption?
Die im Frühjahr 2008 aufgeflammte Debatte über die Zukunft der weltweiten Landwirtschaft bzw. über Ziele, Wege und Prioritäten der zukünftigen Nutzung der natürlichen Ressourcen insgesamt hat auch die Frage nach den Potenzialen der (Grünen) Gentechnik neu auf die Tagesordnung gesetzt. Einiges spricht dafür, dass es für eine Bewertung des zukünftigen Problemlösungspotenzials gentechnischer Züchtungsansätze nicht ausreicht, vorhandene Entwicklungen zu betrachten, weil die kommerziell verfügbaren und zumindest auch die in fortgeschrittener Entwicklung befindlichen transgenen Pflanzensorten nur einen beschränkten Ausschnitt repräsentieren. Die Erforschung gentechnischer Züchtungsansätze erfolgt zwar dezentral auch in öffentlich finanzierten Einrichtungen sowie in kleineren Firmen, die eigentliche Entwicklung von GVP hingegen erfolgt ganz überwiegend durch wenige große Saatgutunternehmen, von denen viele der bedeutendsten auch wichtige Agrochemikalienproduzenten sind. Es ist naheliegend, dass die auf dem Markt verfügbaren GVP diejenigen repräsentieren, die am besten in das Portfolio dieser Firmen passen. Eine Fortschreibung der bisherigen Entwicklung lässt eine mindestens gleichbleibende, vermutlich sogar noch wachsende Dominanz dieser wenigen, großen Biotechsaatgutfirmen erwarten, die natürlich ein vorrangiges Interesse an erfolgreichen, gewinnbringenden Sorten haben, deren transgene Eigenschaften möglichst lange bei möglichst vielen Anwendern ihre Funktion erfüllen. Einer Diversifizierung sind unter den Bedingungen des Weltagrarmarktes relativ enge ökonomische Grenzen gesetzt, sodass eine spezielle Sortenentwicklung z.B. für arme Entwicklungsländer oder Regionen von den Firmen aus eigenem Antrieb realistischerweise nicht erwartet werden kann.
Viele Befürworter der Grünen Gentechnik sehen neben der Firmeninteressen- und Patentschutzproblematik weitere wichtige Gründe für die geringe Zahl entwicklungsländerspezifischer Sorten in der – nach ihrer Ansicht übertrieben strengen – Regulierung sowie den Kampagnen der Gegner. Doch unabhängig davon, welche Faktoren dominieren – fest steht: Die Entwicklung einer marktfähigen transgenen Sorte ist langwierig, aufwendig und teuer und kann daher von öffentlichen Institutionen, auf jeden Fall in kleineren Ländern, oder von kleineren Firmen nicht geleistet werden. Insgesamt herrscht auch 25 Jahre nach Entwicklung der ersten transgenen Pflanze und nach zwölf Jahren des großflächigeren Einsatzes von transgenem Saatgut eine große Unsicherheit,
- ob in der Gentechnik ungewecktes Potenzial für eine nachhaltige Landwirtschaft – in Industrie- wie in Entwicklungsländern – steckt,
- ob dieses angesichts v.a. der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen überhaupt geweckt werden könnte bzw.
- ob nicht andere Optionen ökonomisch, ökologisch und sozial erfolgversprechender und daher vorzuziehen sind.
Wie bei anderen Technologieanwendungen auch, sind Fragen wie diese oftmals nicht eindeutig und abschließend zu beantworten. Zudem finden Entwicklung und Anwendung transgener Sorten im Kontext eines so komplexen, multifaktoriellen Wirkungsgefüges statt, dass eine kausalitätsorientierte Folgenanalyse nur wenig erklärenden Wert haben kann. Die Komplexität der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aus- bzw. Wechselwirkungen hat zur Folge, dass eine technologiefixierte Bewertung (»Chancen und Risiken der Grünen Gentechnik«) angesichts der großen Interessen- und Zielkonflikte verschiedener gesellschaftlicher Gruppen realistischerweise nicht der Schlüssel zu einer übergreifenden Verständigung sein kann.
Dies spricht stark für eine Hinwendung zu einer ernsthaft problem(lösungs)orientierten Herangehensweise bei der Suche nach zukunftsfähigen Agrartechnologien und Bewirtschaftungsweisen. Mit Blick auf transgene Pflanzen bedeutet dies, im Rahmen einer Prüfung gentechnische Optionen ohne Vorabfestlegung zu prüfen. So wäre mit Bezug auf die Herausforderungen des Klimawandels und Probleme der Wasserverfügbarkeit oder sonstige Stressfaktoren zunächst einmal nach den vorhandenen und absehbaren landwirtschaftlichen Herausforderungen insgesamt zu fragen und erst dann nach Wegen einer möglichen bzw. nötigen Anpassung der Anbaumethoden. Dabei wird man in Teilfragen zum Beitrag der Pflanzenzucht gelangen, und erst dann lassen sich sinnvoll Optionen der Grünen Gentechnik prüfen. Analoges gilt für das Problem der Mikronährstoffdefizite und vieles andere mehr. Selbstverständlich entbindet dies nicht von einer Berücksichtigung technikspezifischer Dimensionen (z.B. der höheren Anforderungen an Maßnahmen zur Gewährleistung der biologischen Sicherheit) – dies muss Teil des Abwägungsprozesses sein.
Publikationen
Sauter, A.
2008. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137966
Sauter, A.
2008. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103717