Konzepte der Elektromobilität und deren Bedeutung für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt
- Projektteam:
Anja Peters (Projektleitung), Claus Doll, Patrick Plötz, Andreas Sauer, Wolfgang Schade, Axel Thielmann, Martin Wietschel, Christopf Zanker
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Verschiedene Ausschüsse
- Analyseansatz:
Innovationsreport
- Starttermin:
2010
- Endtermin:
2012
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Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Die Elektromobilität gilt als ein wesentliches Element für eine zukunftsfähige Gestaltung des Personen- und Güterverkehrs. Energie- und klimapolitische Ziele, den Verbrauch fossiler Energieträger zu reduzieren, sowie Bemühungen, lokale Schadstoff- und Lärmemissionen zu senken, treiben die Entwicklung und Verbreitung der Elektromobilität weltweit voran. Neben Auswirkungen der Elektromobilität in ökologischer und sozialer Hinsicht spielen aber auch wirtschaftliche Gesichtspunkte eine wichtige Rolle; für die deutsche Wirtschaft gilt es, die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie zu erhalten und somit Arbeitsplätze und Wirtschaftsleistung auch zukünftig zu sichern. Die Elektromobilität wurde dementsprechend im Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität (NEP) zu einem wesentlichen Element einer zukunftsfähigen Mobilität erklärt. Bis 2020 wird ein Bestand von 1 Mio. Elektrofahrzeugen in Deutschland angestrebt, wobei dies sowohl vollständig elektrisch betriebene Batteriefahrzeuge (BEV) umfasst als auch sogenannte Plug-in-Hybride bzw. solche mit Range Extender (PHEV), die neben einem Verbrennungsmotor über einen Elektromotor mit extern ladbarer Batterie verfügen.
Vor diesem Hintergrund stellt der vorliegende Innovationsreport die ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte und Auswirkungen einer Verbreitung der Elektromobilität in den nächsten ein bis zwei Dekaden dar und identifiziert auf dieser Basis mögliche Handlungserfordernisse und -optionen, um den verschiedenen Zielsetzungen einer nachhaltigen Verbreitung der Elektromobilität gerecht werden zu können.
Ergebnisse
Was sind die technologischen Herausforderungen?
Für eine erfolgreiche, umfassende Markteinführung von Elektrofahrzeugen muss noch eine Reihe von technischen Herausforderungen gelöst werden. Da die Gesamtkosten sowie die Reichweite von Elektrofahrzeugen maßgeblich durch die Batterie bestimmt werden, kommt dieser eine Schlüsselrolle bei der technologischen Entwicklung zu. Reichweiten konventioneller Pkw erscheinen erst mit Post-Lithium-Ionen-Batterien erreichbar, mit deren Markteinführung erst deutlich nach 2020 gerechnet wird.
Daher gelten PHEV mittelfristig als vielversprechende Alternative zu BEV, da sie den Einsatzbereich heutiger Pkw nahezu vollständig abdecken können. Die Batterien von PHEV können kleiner und damit kostengünstiger ausgelegt werden als in BEV. Um eine breite Markteinführung zu ermöglichen, ist jedoch eine Senkung der Batteriekosten auf unter 300 Euro/kWh notwendig.
Weitere technische Herausforderungen und Voraussetzungen für den Markterfolg sind die Weiterentwicklung von Elektromotoren und Leistungselektronik sowie die Entwicklung von Ladesystemen mit höheren Ladungsgeschwindigkeiten.
Kann sich Elektromobilität am Markt durchsetzen?
Unter den aktuellen Rahmenbedingungen und ohne deutliche Kauf- oder andere Anreize scheint das Ziel, bis 2020 1 Mio. Elektrofahrzeuge in Deutschland auf die Straßen zu bringen, nur schwer erreichbar zu sein. Wichtige Rahmenbedingungen sind allerdings unsicher. Beispielsweise können ein stark steigender Ölpreis oder deutlich reduzierte Batterie- und Fahrzeugkosten zu dynamischen Marktentwicklungen führen. Das Ziel von mindestens 6 Mio. Elektrofahrzeugen bis 2030 erscheint dagegen eher realisierbar, da zu erwarten ist, dass sich die Bedingungen für die Elektromobilität künftig weiter verbessern. Mögliche Entwicklungen der Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren sollten daher kontinuierlich beobachtet und Maßnahmen so ausgestaltet werden, dass flexibel auf Änderungen reagiert werden kann.
Internationale Politikmaßnahmen
In den letzten fünf Jahren haben zahlreiche Regierungen weltweit damit begonnen, staatliche Förderprogramme auf den Weg zu bringen, um die Verbreitung der Elektromobilität in den kommenden Jahren vorzubereiten. Die meisten Staaten fokussieren dabei auf Marktvorbereitungsmaßnahmen und setzen Anreize durch finanzielle Zuschüsse beim Kauf eines Elektrofahrzeugs, gewähren Steuererleichterungen, z.B. auf Basis der CO2-Emissionen, oder wollen Infrastrukturen durch Förderung von privaten und öffentlichen Ladesäulen für Elektrofahrzeuge ausbauen. Nur wenige Länder - wie die USA, China und Südkorea - haben das Potenzial, Leitanbieter und Leitmarkt für Elektromobilität zu werden, und setzen neben Marktvorbereitungsmaßnahmen konkret auf eine Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) und Produktion der Schlüsselkomponenten für Elektrofahrzeuge. In Deutschland werden die Notwendigkeit und Ausgestaltung marktvorbereitender Maßnahmen, insbesondere von Kaufanreizen und eines Ausbaus der Infrastruktur, kontrovers diskutiert, und der Fokus der Förderung liegt auf FuE-Kooperationen zwischen Wissenschaft und Industrie.
Sind Elektrofahrzeuge umweltfreundlich?
Bei der Bewertung der ökologischen Auswirkungen von Elektrofahrzeugen ist zwischen Treibhausgasen (THG) und lokalen Luftschadstoffen zu unterscheiden.
Eine deutlich positive THG-Bilanz über den Lebenszyklus von Elektrofahrzeugen im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugen kann schon bei relativ geringen Jahresfahrleistungen erreicht werden, vorausgesetzt, dass erneuerbare Energiequellen verwendet werden. Hinsichtlich der Luftschadstoffemissionen der Elektromobilität sind die Ergebnisse dagegen uneindeutig. In Deutschland fällt die Umweltbilanz beim Betrieb von Elektrofahrzeugen durchaus günstiger als die konventioneller Pkw aus, insbesondere wenn für die Fahrzeugnutzung Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung gestellt wird. Unter Berücksichtigung der Luftschadstoffemissionen im Kontext der Gewinnung von Rohstoffen in den jeweiligen Herkunftsländern für die Herstellung von Batterien weisen Elektrofahrzeuge jedoch keine eindeutigen Vorteile auf. Bei einer breiten Förderung von Elektrofahrzeugen sind zudem Reboundeffekte, d.h. ein Anstieg des motorisierten Individualverkehrs insgesamt, nicht auszuschließen. Um diese zu vermeiden, erscheint der Einsatz von Elektrofahrzeugen in gewerblichen Flotten und im Carsharing, Taxibetrieb sowie insbesondere in umfassenden, multimodalen Mobilitätsangeboten, welche verschiedene Verkehrsmittel miteinander verknüpfen, sinnvoll.
Lärmreduktion versus Sicherheit
Während die mit Elektromobilität erzielbare Lärmreduktion bei Geschwindigkeiten über 40 km/h und hohem Güterverkehrsanteil vernachlässigbar wird, kann ein vermehrter Einsatz von Elektrofahrzeugen im unteren Geschwindigkeitsbereich (z.B. in Wohngebieten sowie für Serviceleistungen in Abend- und Nachtstunden) einen wesentlichen Beitrag leisten.
Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage nach einer Erhöhung der Unfallhäufigkeit mit anderen Verkehrsteilnehmern aufgrund reduzierter Warnsignale, welche ein sich näherndes Fahrzeug ankündigen. Die aktuelle diesbezügliche Datenbasis ist jedoch begrenzt und lässt keine Aussage zu, inwieweit Elektrofahrzeuge ohne weitere Sicherheitsmaßnahmen eine höhere Unfallgefahr mit sich bringen. Grundsätzlich erscheint die Entwicklung neuer Sicherheitstechnologien auch in Hinblick auf eine künftige Lärmreduktion aller Pkw unabdingbar. Die Einführung permanenter künstlicher Geräusche sollte, wenn überhaupt, nur als Übergangslösung in Betracht gezogen werden. Besser geeignet wäre die sensorisch gesteuerte, temporäre Erzeugung von (Warn-)Geräuschen für Fußgänger und Radfahrer.
Volkswirtschaftliche Potenziale
Auf die Batterie, insbesondere die Produktion der Batteriezellen im Vergleich zum Batteriesystem, entfällt der größte Teil der Wertschöpfung bei Elektrofahrzeugen. Die Batteriezellenproduktion wird derzeit von asiatischen Industrie- und Schwellenländern dominiert; deutsche Firmen spielen hier international kaum eine Rolle. Mittel- bis langfristig besteht aber für Deutschland durchaus die Chance, diesen Markt über eine bereits sehr gut aufgestellte Chemie- und Materialforschung zu erschließen. Investitionen in die nächsten Batteriegenerationen erscheinen dabei erfolgversprechender als in die heute verwendete Lithium-Ionen-Technologie.
Bei der Produktion des Batteriesystems aus einzelnen Batteriezellen kann die deutsche Industrie hingegen beachtliche Kompetenzen aufweisen, sodass in diesem Bereich schon kurzfristig relevante Marktanteile für Deutschland möglich sind. Bei der Leistungselektronik, welche nach der Batterie ein hohes Wertschöpfungspotenzial aufweist, hält Deutschland eine sehr starke Wettbewerbsposition; ebenso sind im Bereich der Elektromotoren ausgewiesene Kompetenzen vorhanden, welche erfolgreich auf die automobile Anwendung übertragen werden können.
Die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Effekte deutet darauf hin, dass eine zukünftige Verbreitung der Elektromobilität in Deutschland gesamtwirtschaftlich nicht zu Mehrkosten führt, sondern ein leicht positiver Effekt auf BIP und Beschäftigung zu erwarten ist (bis 2030 ein BIP-Zuwachs um 0,8 % und ein Beschäftigungswachstum um 0,6 %).
Rohstoffe für die Elektromobilität
Bei kritischen Rohstoffen, welche für Fahrzeugbatterien und Elektromotoren von Elektrofahrzeugen benötigt werden, wie z.B. Lithium, Kupfer, Platin, Neodym und anderen Seltenen Erden, könnten bei steigender Nachfrage aus dem Automobilsektor Verknappungen entstehen. Für Lithium und Kupfer zeigen Prognosen des weltweiten Bedarfs, der geologischen Reichweite und der Recyclingfähigkeit, dass eine globale Verknappung zwar nicht zu befürchten ist, gleichwohl aber die Preise durch die stark steigende globale Nachfrage und die Konzentration auf wenige Lieferländer bis 2030 merklich anziehen könnten. Bei einigen der Seltenen Erden sieht die Situation anders aus – hier könnte es kurz- bzw. mittelfristig zu einer Verknappung bei den Reserven kommen. Generelle quantitative Aussagen beispielsweise zu Verfügbarkeit und Preisentwicklungen können jedoch kaum getroffen werden. Wichtige Zukunftsthemen im Bereich kritischer Rohstoffe sind die Weiterentwicklung von Recyclingverfahren, »waste« und »urban mining«, die Entwicklung von Substituten und die Ausarbeitung einer Strategie zur gesicherten Versorgung der Automobilwirtschaft mit den relevanten kritischen Rohstoffen.
Aussichtsreiche Erstmärkte und Zielgruppen
Angesichts des hohen Anteils gewerblicher Konsumenten an den Pkw-Neuzu-lassungen (ca. 60 %) sowie an den bisherigen Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen (über 90 %) wird dieser Käufergruppe eine wichtige Rolle auf dem frühen Elektrofahrzeugmarkt zugesprochen. Insbesondere Flotten mit einer höheren Jahresfahrleistung, aber regelmäßigen, planbaren Touren erscheinen aussichtsreich, zumal hier ein wirtschaftlicher Einsatz von Elektrofahrzeugen möglich wäre.
Unter den privaten Käufern erscheinen Zielgruppen aussichtsreich, welche sich durch Technikaffinität, Interesse an einem besonderen Fahrzeug und nicht zuletzt an umweltschonendem Fahren auszeichnen. Käufer werden vor allem in ländlichen Gebieten, in kleineren oder mittleren Städten oder im Umland von Großstädten erwartet, da hier, auch aufgrund mangelnder oder suboptimaler Alternativen zur Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse, häufiger ein Auto genutzt wird. Jüngere und/oder umweltorientierte Zielgruppen erscheinen als Nutzer von Sharingangeboten bzw. von multimodalen Mobilitätsangeboten vielversprechend.
Handlungsoptionen
Die derzeitigen Diskussionen hinsichtlich einer Förderung von Elektrofahrzeugen in den nächsten Jahren drehen sich vorrangig um einen Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur und finanzielle Kaufanreize. Ein umfangreicher Ausbau öffentlicher Ladeinfrastruktur erscheint derzeit nicht notwendig, da zu erwarten ist, dass die frühen Käufergruppen über Garagen bzw. hausnahe Stellplätze verfügen und überwiegend zu Hause oder am Arbeitsplatz laden werden. Der Ausbau einer öffentlichen Ladeinfrastruktur sollte sich daher derzeit eher auf gut zugängliche Stellen konzentrieren, um Hemmschwellen bzw. Befürchtungen bzgl. einer unzureichenden Reichweite abzubauen und gleichzeitig die Sichtbarkeit der Elektromobilität zu fördern. Dabei sollte auf möglichst kostengünstige Ladeinfrastruktursysteme fokussiert werden.
Derzeit sind die Anschaffungspreise für Elektrofahrzeuge noch deutlich höher als für vergleichbare konventionelle Fahrzeuge; daher dürften die Preise auch noch bei einer Kaufsubventionierung von einigen Tausend Euro pro Fahrzeug für viele potenzielle Käufer – selbst bei einer gewissen Mehrpreisbereitschaft – zu hoch liegen. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Anschaffungspreise entsprechend gesunken sind, könnte ein Anreiz effektiver sein, um breitere Segmente anzusprechen.
Aktuell scheint vor allem die Förderung von FuE-Aktivitäten angezeigt. Um bei zukünftigen Batterietechnologien relevante Marktanteile erreichen bzw. Batterien aus deutscher Produktion nutzen zu können, sollte eine exzellente Grundlagenforschung im Bereich Batterietechnologien in Deutschland langfristig aufgebaut und etabliert werden. Die bereits gute Position Deutschlands bei weiteren relevanten Komponenten wie Elektromotoren und Leistungselektronik sollte unbedingt gesichert werden.
Hinsichtlich nichtmonetärer Anreize wie kostenloser oder reservierter Parkplätze für Elektrofahrzeuge und der Freigabe von Busspuren sind die Praxiserfahrungen noch sehr begrenzt. Sollten sie sich als effektiv erweisen, sollte darauf geachtet werden, dass ihr Einsatz nicht zu Konflikten mit dem Umweltverbund, also dem öffentlichen Personennahverkehr sowie dem Fuß- und Radverkehr führt. Insbesondere in Hinblick auf den Einsatz von Elektrofahrzeugen in gewerblichen Flotten sowie Carsharingflotten und multimodalen Mobilitätskonzepten erscheinen nicht-monetäre Anreize und Regulierungen wie z.B. Umweltzonen und Lieferfenster für Elektrofahrzeuge und die Bereitstellung von Stellplätzen für Sharingsysteme zur Förderung geeignet.
Aufgrund der entscheidenden Bedeutung erneuerbarer Energien für die Umweltvorteile von Elektrofahrzeugen wie auch für die Nutzerakzeptanz sollte ein transparentes und vertrauenswürdiges System zur Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien sichergestellt werden. Hinsichtlich des bedeutenden Einflusses von Luftschadstoffbelastungen, THG-Emissionen und Energieverbrauch durch die Fahrzeugproduktion bzw. den Abbau von Rohstoffen sind zudem eine nachhaltige, d.h. auf sozialen und ökologischen Ausgleich bedachte Rohstoffpolitik der Industriestaaten sowie möglichst hohe Recyclingquoten zu empfehlen.
Auf lange Sicht bietet die Elektromobilität bedeutsame ökologische Vorteile wie auch wirtschaftliche Chancen. Für die Realisierung der Potenziale müssen die noch bestehenden Herausforderungen konsequent angegangen werden, indem Forschung und Entwicklung weiter vorangetrieben und geeignete politische Maßnahmen umgesetzt werden.
Kontakt
Dr. Anja Peters
anja.peters∂isi.fraunhofer.de
+49 721 6809-421
Publikationen
Peters, A.; Doll, C.; Kley, F.; Möckel, M.; Plötz, P.; Sauer, A.; Schade, W.; Thielmann, A.; Wietschel, M.; Zanker, C.
2013. edition sigma
Peters, A.; Doll, C.; Kley, F.; Plötz, P.; Sauer, A.; Schade, W.; Thielmann, A.; Wietschel, M.; Zanker, C.
2012. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137309
Peters, A.; Doll, C.; Kley, F.; Möckel, M.; Plötz, P.; Sauer, A.; Schade, W.; Thielmann, A.; Wietschel, M.; Zanker, C.
2012. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000131643
Im Bundestag
- Vorgang - Bericht, Gutachten, Programm im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien (DIP)