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Lastfolgefähigkeit deutscher Kernkraftwerke

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Ziel der Untersuchung

Wie flexibel können Kernkraftwerke (KKW) betrieben werden und ist ihr Betrieb kompatibel mit einem hohen Anteil fluktuierender Einspeisung durch erneuerbare Energien (EE)? Um diese Fragen wurde seit 2010 in Politik, Wissenschaft und der Öffentlichkeit eine kontroverse Debatte geführt. Anlass war das Energiekonzept der damaligen Bundesregierung, das eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke vorsah.

Vor diesem Hintergrund wurde das TAB im Juni 2010 beauftragt, eine Untersuchung dieses Fragenkomplexes durchzuführen mit dem Ziel, den Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse und der aktuellen Debatte aufzuarbeiten und prägnant zusammenzufassen. Die Katastrophe in Fukushima im Frühjahr 2011 und die darauf folgenden Umwälzungen des deutschen Energiesystems haben die Priorität dieser Untersuchung erheblich geschmälert und den ursprünglichen Zeitplan obsolet werden lassen.

Obwohl die Thematik durch diese Entwicklung an politischer und energiewirtschaftlicher Brisanz verloren hat, sind die Ergebnisse immer noch interessant und relevant genug, um eine Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt zu motivieren. Zum einen sind die hier vorgelegten Analysen zu der Thematik, welche Anforderungen ein dynamischer Ausbau fluktuierender EE-Erzeugung an den konventionellen Kraftwerkspark stellt, immer noch hochrelevant. Zum anderen stellen sich die hier untersuchten Fragen in anderen Ländern (z.B. Frankreich, England) mit hoher Dringlichkeit. Es könnte daher fruchtbar sein, die gewonnenen Erkenntnisse in den internationalen energiepolitischen Diskurs einzubringen.

Ergebnisse

Kernkraftwerke werden ganz überwiegend im Dauerbetrieb bei Volllast zur Deckung der sogenannten Grundlast eingesetzt. Die Einspeisung aus Photovoltaik und Windkraft ist dagegen starken tages- und jahreszeitlichen Schwankungen ausgesetzt. Ein hoher Anteil fluktuierender erneuerbarer Stromeinspeisung stellt an den verbleibenden konventionellen Kraftwerkspark bestimmte Anforderungen, die für eine stabile und zuverlässige Versorgung erfüllt werden müssen.

Die Betriebsweise, die diesen Anforderungen gerecht wird – der sogenannte Lastfolgebetrieb - hat über die technisch-betrieblichen Fragen hinaus auch bedeutende ökonomische Aspekte. Zusätzlich ist die Frage von grundlegender Bedeutung, ob der ständige Wechsel der Betriebszustände (Temperatur- und Druckwechsel in Kühlkreisläufen, häufige Betätigung von Steuereinrichtungen u. Ä.) erhöhten Stress bzw. Verschleiß von Komponenten verursachen und somit letztlich Implikationen für die Sicherheit des Reaktorbetriebs mit sich bringen könnte.

Aus den Betriebshandbüchern der KKW ergibt sich, dass diese hinsichtlich der Geschwindigkeit, mit der Leistungsänderungen vorgenommen werden können, eine durchaus beachtliche Flexibilität aufweisen. Allerdings wird diese Flexibilität durch verschiedene andere Kraftwerkseigenschaften eingeschränkt. Unter anderem hängt sie vom Zustand der Brennstäbe und vom Lastbereich ab, in dem das Kraftwerk betrieben wird. Darüber hinaus sind Anfahrzeiten von großer Bedeutung, die benötigt werden, um einen Reaktor vom ausgeschalteten Zustand bzw. dem Betrieb bei sehr niedriger Leistung wieder hochzufahren. Ein weiterer Faktor ist die Anzahl der Zyklen, die mit den Anlagen gefahren werden können. Jeder Lastzyklus belastet das Material und führt bei häufiger Wiederholung zu Materialermüdungserscheinungen.

Um einschätzen zu können, ob der Weiterbetrieb von KKW mit dem geplanten Ausbau der Stromerzeugung aus EE vereinbar ist, wurde eine modellgestützte Analyse des zukünftigen Erzeugungssystems durchgeführt. In einem Szenario mit »bedingt flexiblem Betrieb« der KKW (entspricht in etwa einer Betriebsstrategie, mit der in einigen deutschen KKW bereits Erfahrungen gesammelt worden sind) wird ein erhebliches Konfliktpotenzial zwischen hoher EE-Durchdringung und einem Weiterbetrieb von KKW deutlich. Dies hat nicht nur eine technisch-betriebliche Komponente, sondern auch erhebliche ökonomische Implikationen. Das gegenwärtige Marktdesign erzwingt bei hoher EE-Durchdringung einen Betrieb der KKW in Stunden mit negativen Preisen, da für die KKW kurzfristige Lastabsenkungen nicht möglich sind, was zu drastischen Gewinneinbußen der KKW-Betreiber führt.

Fragen zu den Implikationen, die ein verstärkter Lastfolgebetrieb für die kerntechnische Sicherheit haben könnte, wurden in der Form von Thesen aufbereitet. Es war nicht beabsichtigt, abschließende Bewertungen zu diesen Thesen abzugeben, da es sich hierbei um hochkomplexe Fachfragen handelt, die im Rahmen des Projekts nicht vertieft behandelt werden konnten.

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