Entwicklung und Analyse von Optionen zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger
- Projektteam:
Günter Halbritter, Rainer Bräutigam, Torsten Fleischer, Sigrid Klein-Vielhauer, Christel Kupsch, Herbert Paschen
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
TA-Projekt
- Starttermin:
1993
- Endtermin:
1998
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In den letzten Jahren sind verschiedene grundlegende Arbeiten zu den Problemen des Verkehrs und zu möglichen Lösungen für diese Probleme vorgelegt worden. Diese enthalten auch eine Fülle von Handlungsempfehlungen. Die Realisierungsbedingungen und Folgewirkungen dieser Handlungsempfehlungen werden jedoch nicht näher betrachtet. Der Schwerpunkt des TAB-Projekts liegt dagegen gerade auf der Analyse der Durchführbarkeit, der Wirksamkeit und der Folgen ausgewählter Maßnahmen zur Erreichung bestimmter verkehrspolitischer Ziele. In diesem Sinne versteht sich das TAB-Projekt als Fortführung und Konkretisierung vorliegender Untersuchungen.
Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung
Zu den zentralen Ausgangsannahmen des TAB-Projekts gehört, dass die angestrebten Entlastungen des Verkehrsnetzes und Verlagerungen von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger weder mit Einschränkungen der Mobilität noch mit nennenswerten Abstrichen bei den heute üblichen Qualitätsstandards der Reise bzw. des Transports verbunden sein sollen.
Verlagerung von Straßenverkehr auf "umweltfreundlichere Verkehrsträger" wird in dieser Studie weitgehend eingeschränkt auf Verlagerung von Straßenverkehr "auf die Schiene". Der Binnenschiffahrtsverkehr wird nicht behandelt, er könnte Gegenstand einer Anschlussstudie sein. Auch der Flugverkehr wird nicht behandelt; er findet lediglich bei einem Vergleich der Emissionen verschiedener Verkehrsträger im Personenfernverkehr marginale Berücksichtigung.
Die angestrebten Entlastungen des Verkehrsnetzes und die Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger können nicht durch Einzelmaßnahmen erreicht werden, sondern nur durch - möglichst abgestimmte - Maßnahmenbündel, die hier als Optionen bezeichnet werden. Diese wurden im Rahmen der Studie entwickelt und auf ihre Durchführbarkeit, Wirksamkeit und Folgen untersucht. Im Detail behandelt wurden drei Optionen:
- Einsatz von IuK-Techniken zur Verbesserung der Verkehrsinformation und zur Verkehrslenkung auf der Grundlage der vorliegenden ordnungsrechtlichen Regelungen (kurz: "Verbesserung der Verkehrsinformation")
- Einsatz von IuK-Techniken zum Verkehrsmanagement im Personen- und Güterstraßenverkehr zusammen mit dem Einsatz verschiedener preislicher Maßnahmen (kurz: "Preisliche Maßnahmen im Straßenverkehr")
- Attraktivitätssteigerung im ÖPNV
Die Optionen sind nicht als sich gegenseitig ausschließende Alternativen zu interpretieren. Ihr Sinn besteht darin, durch Schwerpunktlegung auf sehr unterschiedliche Typen von Instrumenten bzw. Maßnahmen die Wirksamkeit der betrachteten Maßnahmenbündel im Hinblick auf die Ziele der Verkehrsentlastung und Verkehrsverlagerung und die mit dem Einsatz der Maßnahmen potentiell verbundenen Umsetzungsprobleme und Folgen besonders deutlich darstellen zu können. Konkrete verkehrspolitische Strategien dürften eher auf eine Verknüpfung von Elementen aller drei Optionen - und darüber hinaus möglicherweise weiterer Maßnahmen - hinauslaufen.
Ausgewählte Ergebnisse
Option "Einsatz von IuK-Techniken zur Verbesserung der Verkehrsinformation und zur Verkehrslenkung auf der Grundlage der vorliegenden ordnungsrechtlichen Regelungen"
Etwa seit Beginn der 90er Jahre ist zu beobachten, dass die Telematik auch im Verkehrswesen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Inzwischen werden der Telematik von der Politik wichtige Lösungsbeiträge in Bezug auf die Verkehrsprobleme zugeschrieben.
Die "Konjunktur" der Verkehrstelematik hat zwei Hauptursachen. Zum einen wurden und werden durch die rasante Entwicklung bei den modernen IuK-Techniken völlig neue Anwendungen und Dienste ermöglicht. Zum anderen werden von ihr Beiträge zur - zumindest vorläufigen - Lösung der sich aufgrund der prognostizierten Zunahme der Verkehrsmenge ergebenden Probleme erwartet. Der Einsatz von Telematik im Verkehr soll nicht nur zur Optimierung der Verkehrsträger jeweils als Einzelsysteme unter verkehrlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch zur Reduzierung ihrer Umweltwirkungen und zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen. Er soll die Verkehrsträger zudem zu einem integrierten, effizienten Gesamtverkehrssystem vernetzen. Neue VerkehrsmanagementKonzepte sollen insbesondere die spezifischen Stärken der verschiedenen Verkehrsträger in bestimmten Regionen und Situationen fördern bzw. nutzen. Hierzu sollen Verkehrstelematik-Techniken und -Dienste einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Erwartungen an die Wirkungen der - neuen - Verkehrstelematik sind hoch gesteckt. Die Hersteller und Forschungseinrichtungen, die sich der Entwicklung dieser neuen Techniken widmen, sehen hierin nicht nur einen Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme, sondern auch ein erhebliches industriepolitisches Potential zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Der deutschen Industrie wird durchaus die Chance eingeräumt, auf diesem Gebiet führend zu sein.
Was könnte Verkehrstelematik leisten?
Einige Telematik-Dienste können zu einer effizienteren Verkehrsgestaltung und zu einer Reduktion der verkehrsbedingten Umweltbelastungen beitragen. Sie können nicht nur für eine einfachere und kostengünstigere Umsetzung verkehrspolitischer Instrumente und Strategien genutzt werden, aufgrund ihrer neuen technischen Potentiale werden durch sie auch bislang nicht realisierbare Strategien möglich. Telematik macht andere Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung keineswegs entbehrlich, könnte diese aber unterstützen und gegebenenfalls in ihrer Wirksamkeit verstärken. Sie wird nur im Verbund mit entsprechenden technischen, organisatorischen, marktwirtschaftlichen und ordnungsrechtlichen Maßnahmen einen langfristigen Lösungsansatz für die Verkehrsprobleme - vor allem in den Ballungsgebieten - darstellen können. Festzustellen ist jedoch bislang eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen an die Verkehrstelematik und der Bereitschaft, ihre Potentiale aktiv handelnd zu erschließen.
Die durch die neuen IuK-Techniken gebotenen technischen Möglichkeiten würden es gestatten, neue Verkehrsmanagementstrategien zu realisieren, die auch neue Instrumente zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger umsetzbar machen. Es könnten umfassende technische Hilfsmittel für eine Steuerung des Verkehrs nach ökonomischen und/oder ökologischen Gesichtspunkten zur Verfügung stehen. Telematik könnte die Anwendung von Lenkungsinstrumenten, mit denen ordnungsrechtliche und preisliche Maßnahmen zur aktiven Beeinflussung des Verkehrsgeschehens umgesetzt werden, ermöglichen bzw. erleichtern. Für den Fall restriktiver Eingriffe im Bereich des motorisierten Individualverkehrs müssten im öffentlichen Verkehr tatsächliche Alternativen in zufriedenstellender Qualität und Quantität zur Verfügung gestellt werden.
Die Umsetzungsmöglichkeiten von Verkehrsmanagementstrategien sind eng mit deren beabsichtigter Lenkungsintensität gekoppelt. Während allein informationsorientierte Strategien als weitgehend politisch durchsetzbar anzusehen sind, ist die Durchsetzbarkeit von Systemen mit Eingriffsabsichten zu Lenkungszwecken als erheblich schwieriger einzuschätzen. Untersuchungen, die zur Einschätzung gelangen, dass sich die vorfindbaren Interessenstrukturen und die institutionellen Bedingungen des kooperativen Föderalismus zusammen mit den stark zersplitterten Zuständigkeiten in der Bundesrepublik mindernd auf die Problemlösungskapazität von Verkehrstelematik-Systemen auswirken, verkennen jedoch die dem Bundesgesetzgeber im Rahmen der "ausschließlichen" und der "konkurrierenden" Gesetzgebung sowie mit dem Erlass von "Rahmenvorschriften" gegebenen Möglichkeiten.
Lassen sich die Wirkungen eines verbreiteten Telematik-Einsatzes schon prognostizieren?
Für eine umfassende Bewertung der unterschiedlichen Telematik-Anwendungen im Verkehr fehlen noch wesentliche Kenntnisse über Wirkungen, Kosten und organisatorische Hemmnisse, denn die Forschung auf diesem Gebiet war bislang stark technik- und nur wenig wirkungsorientiert. Insbesondere fehlen Aussagen zu den Umweltwirkungen und zu Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit sowie zur Wirtschaftlichkeit bzw. Marktfähigkeit der untersuchten Systeme. Der gegenwärtige Kenntnisstand liefert zwar Indizien für Prognosen über mögliche Wirkungsrichtungen des Einsatzes von Telematik-Systemen und -Diensten, für die meisten Verkehrstelematik-Dienste liegen jedoch noch keine abgesicherten, umfassenden Erkenntnisse über ihr quantitatives Wirkungspotential vor. Wirkungs- und Folgenuntersuchungen wurden im Rahmen von Feldversuchen - wenn überhaupt - in der Regel nur unter isolierten Bedingungen und nichtrepräsentativ mit kleinen Fallzahlen durchgeführt. Untersuchungen zu Wirkungen des Einsatzes dieser Systeme bei netzweiter Anwendung und bei plausiblen Durchdringungsgraden fehlen bislang.
Trotz erheblicher Einschränkungen bezüglich der Repräsentativität der gewonnenen Daten gestatten die zusammengestellten Erfahrungen mit dem Einsatz von IuK-Techniken erste Aussagen zur technischen Einsatzbereitschaft dieser Systeme, zu ihrer Wirksamkeit im Hinblick auf die Entlastung des Verkehrsnetzes und die Verlagerung von Straßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger sowie zu geeigneten Organisationsformen des Einsatzes der neuen Techniken.
Eine Abschätzung zur Verlagerung von Fahrten des motorisierten Individualverkehrs auf den öffentlichen Verkehr aufgrund des Einsatzes von Telematikdiensten, die im Rahmen von Szenarienuntersuchungen im Projekt STORM durchgeführt wurde, ergab sehr geringe Verlagerungswerte von unter 2 %. Vergleichbare Analysen, die im Rahmen anderer Forschungsprojekte durchgeführt wurden, kommen zu Werten in ähnlicher Höhe. Auch dort wurden Verlagerungswerte von wenigen Prozent ermittelt. Es ist zu vermuten, dass auch bei Berücksichtigung von Synergieeffekten infolge der Umsetzung weiterer Maßnahmen eine ausschließlich auf verbesserte Informationsbereitstellung gegründete Strategie keinen Verlagerungswert erreichen kann, der angesichts der anhaltend hohen Zuwachsraten des motorisierten Individualverkehrs für einen umweltverträglicheren Verkehr ausreichend ist.
Bedeutender als die Verlagerung von Straßenverkehr auf öffentliche Verkehrsträger ist der Beitrag von Telematikdiensten zur Verflüssigung des Verkehrs und damit zur Entlastung des Straßennetzes. Dies drückt sich z.B. in den im Rahmen der Pilotprojekte empirisch erhobenen oder durch Simulationsrechnungen ermittelten deutlichen Reisezeitgewinnen - sowohl für mit individuellen dynamischen Zielführungssystemen ausgerüstete Fahrzeuge als auch für nicht ausgestattete Fahrzeuge - aus. Die Nutzung von individuellen dynamischen Zielführungssystemen führt zu einer Durchsatzsteigerung im Straßennetz. Der Telematik-Einsatz führt hier primär zu einer Kappung von Spitzenbelastungen, vor allem durch zeitliche und räumliche Verlagerung von Fahrten. Auswirkungen auf die Fahrleistungen lassen sich derzeit nur schwer quantifizieren.
Wo sind politische Handlungsnotwendigkeiten in Bezug auf die Verkehrstelematik zu erkennen?
Wird die Entwicklung und Markteinführung von Telematiktechniken und -Diensten im Wesentlichen Privaten überlassen, wird sich deren Auslegung primär an den wirtschaftlichen Interessen der Privaten orientieren. Diese in Übereinstimmung mit den verkehrspolitischen Zielen von Bundesregierung, Ländern oder Kommunen zu bringen, kann zu z. T. beträchtlichen Reibungen zwischen den Beteiligten führen. Ohne politische Begleitung werden privatwirtschaftlich entwickelte und betriebene Dienste eher zu Optimierungen innerhalb der einzelnen Verkehrsträger führen. Dabei ist zu erwarten, dass die reinen kraftfahrzeug- bzw. straßenverkehrsbezogenen Telematiksysteme früher auf den Markt kommen als die ÖPNV-integrierenden oder Sicherheitsaspekte voranstellenden Anwendungen. Eine Effizienzsteigerung ausschließlich im System Straßenverkehr würde zu einer wachsenden Attraktivität des Individualverkehrs bzw. des Straßengüterverkehrs führen. Bund, Länder und Gemeinden werden darum in Zukunft verstärkt gefordert sein, die Entwicklung und Einführung von Telematikanwendungen zur Attraktivitätssteigerung und Effizienzverbesserung im Öffentlichen Verkehr zu unterstützen, nicht zuletzt auch deshalb, um die Wettbewerbsfähigkeit der in der Hauptsache in ihrem Eigentum befindlichen Verkehrsunternehmen zu sichern und damit einen Beitrag zu ihrer Wirtschaftlichkeit und zu den Leistungsangeboten umweltfreundlicherer Verkehrsträger zu leisten. Neben der Gestaltung der Rahmenbedingungen kommt in diesem Zusammenhang der Förderung von Forschung und Entwicklung wie auch der direkten Finanzierung von entprechenden Investitionsvorhaben eine hohe Bedeutung zu.
Einen Schwerpunkt des Entwicklungsinteresses der Industrie bildet der Einsatz individueller Zielführungssysteme für den motorisierten Straßenverkehr. Mit der Einführung solcher Systeme ist eine Reihe von Problemen verbunden. Die politisch angestrebte möglichst weitgehende Dienstleistungsfreiheit privatwirtschaftlicher Telematikdienste im Bereich individueller Zielführungssysteme kann die verkehrspolitischen Konzeptionen der Gebietskörperschaften erheblich tangieren. Der erwartete Einsatz derartiger Systeme auch in Ballungsräumen ließ Befürchtungen laut werden, dass durch die Leitempfehlungen Verkehr nicht nur auf dem Vorrangstraßennetz geführt, sondern auch durch verkehrsberuhigte Wohngebiete geleitet wird. Dies würde die verkehrspolitischen Ziele vieler Kommunen in erheblichem Umfang berühren bzw. konterkarieren. Vertragliche Vereinbarungen zum öffentlich-privaten Interessenausgleich werden daher als notwendig angesehen, um nicht nur die Nutzung öffentlicher Infrastruktur, sondern auch generell die Einsatzmodalitäten dynamischer Zielführungssysteme in Ballungsräumen zu regeln.
Telematik kann zur Verknüpfung und Vernetzung der Verkehrssysteme beitragen. Diese Intermodalität wird zwar in vielen Telematikkonzepten in den Mittelpunkt gestellt, erfährt in der Umsetzung aber bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit. Fehlende Organisationssstrukturen für intermodale Verkehre erschweren eine diesbezügliche Ausrichtung von Telematik-Anwendungen und Telematik-Diensten. Da klare Vorstellungen über zu schaffende Telematik-Systeme für die Integration der verkehrsträgerspezifischen Einzellösungen zu Lösungen für das Gesamtsystem Verkehr fehlen, besteht die Gefahr, dass die Entwicklung und Anwendung der neuen Techniken nicht im notwendigen Umfang verkehrsträgerübergreifend gestaltet wird. Um dies zu verhindern, ist als erster Schritt die Organisation eines verkehrsträgerübergreifenden Datenmanagements zu realisieren.
Welche forschungspolitischen Schlussfolgerungen wurden gezogen?
Eine verstärkte nationale Koordination von Forschungsprojekten scheint erforderlich.
- Die Rolle der Kommunen bei der Erarbeitung von Konzepten für den Einsatz von Verkehrstelematik-Anwendungen ist zu stärken, damit dort die Interessen der Kommunen angemessen berücksichtigt werden. Insbesondere sind Wege zu finden, die Potentiale und Chancen sowie die spezifischen Probleme des Einsatzes von Verkehrstelematik im Bereich kleinerer Kommunen zu untersuchen und diesen die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen in diesem Bereich zu artikulieren.
- Eine Schwerpunktverlagerung der Forschungsarbeiten zu Telematik-Systemen weg von der technischen Herangehensweise und hin zu Untersuchungen von Anforderungen aus Sicht der Verkehrsteilnehmer (Zeit- und Kostenersparnis, Komfort, Sicherheit, Nutzerfreundlichkeit der Geräte, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Dienste, Planungssicherheit, Qualität, Glaubwürdigkeit und Befolgung von Informationen und Empfehlungen), zur Gestaltung von konkreten Techniken im Hinblick auf Interaktionssicherheit und Systemsicherheit sowie zu möglichen Auswirkungen ihrer verbreiteten Nutzung auf die Verkehrssicherheit.
- Die Analyse von Telematik-Anwendungen im Zusammenwirken von verkehrspolitischen Zielvorstellungen, technischen Lösungen, strukturellen Rahmenbedingungen und organisatorischer Umsetzung. Diesbezügliche Untersuchungen sollten eine umfassende Abschätzung der späteren Folgen des Einsatzes von Telematik-Systemen beinhalten, nicht nur für Verkehrsabläufe und Verkehrsteilnehmer, sondern auch hinsichtlich des Umfeldes, wie z.B. Umweltbelastung oder städtische Lebensqualität. Zur längerfristigen Sicherung positiver Effekte der untersuchten Konzepte wäre eine Analyse der Felder Mobilitätsentwicklung (Verkehrsleistung und Strukturen), Verkehrsfluss, Verkehrssicherheit, Verlagerungs- bzw. Verdrängungseffekte, Umweltbelastung, Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung (regional wie bundesweit), Standort- bzw. Wohnortqualität (Urbanität) sowie Stadt- bzw. Regionalstruktur von Interesse.
- Eine umfassendere Analyse und Bewertung des Einsatzes von Telematik-Techniken und -Diensten, um Akzeptanzprobleme und Diffusionshemmnisse frühzeitig erkennen und Problemlösungspotentiale qualifizieren zu können. Eine weiterführende Technikfolgen-Abschätzung sollte - unter Vorgabe verkehrspolitischer Rahmenbedingungen - konkrete Hinweise bzw. Richtlinien zur künftigen Gestaltung neuer Techniken und deren Nutzung herleiten.
Option "Einsatz von IuK-Techniken zum Verkehrsmanagement im Personen- und Güterstraßenverkehr zusammen mit dem Einsatz verschiedener preislicher Maßnahmen"
Mit den bisherigen Steuer- und Abgabemodellen standen nur relativ allgemein und pauschal einsetzbare preispolitische Instrumente zur Verfügung. Moderne IuK-Techniken bieten neue Möglichkeiten, preisliche Maßnahmen gezielt zur Verkehrslenkung einzusetzen. Dagegen werden jedoch erhebliche Einwände, insbesondere in Bezug auf die soziale Unausgewogenheit dieser Maßnahmen, erhoben. Um die Wirksamkeit dieser Maßnahmen und ihre Folgen für Privathaushalte sowie Unternehmen und Selbständige besser beurteilen zu können, wurden durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag des TAB Modellrechnungen für den Straßenpersonenverkehr und den Straßengüterverkehr durchgeführt.
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die vom TAB untersuchten Optionen bzw. einzelne Elemente der Optionen keinesfalls den Charakter verkehrspolitischer Handlungsempfehlungen haben. So dienen die zur Option "Einsatz von IuK-Techniken zum Verkehrsmanagement im Personen- und Güterstraßenverkehr zusammen mit dem Einsatz verschiedener preislicher Maßnahmen" auf der Basis verschiedener "Preisszenarien" durchgeführten Modellrechnungen dazu, die betroffenen Gruppen einzugrenzen und den Grad der Betroffenheit von den ausgewählten Maßnahmen sowie die Reaktionsmöglichkeiten auf diese Maßnahmen abzuschätzen. Dabei ist die Abhängigkeit der Ergebnisse von einer Vielzahl von Annahmen (bzw. von deren Eintreten) zu beachten. Erst wenn die Ergebnisse solcher Analysen vorliegen, kann - und muss - auf politischer Ebene über die Zumutbarkeit und die politische Durchsetzbarkeit der Maßnahmen bzw. Maßnahmenbündel diskutiert werden.
Was kann man durch preisliche Maßnahmen erreichen?
In den "Preisszenarien", die diesem Teil der Untersuchung zugrunde gelegt wurden, wurden vor allem die Instrumente der Straßenbenutzungsgebühren und der Mineralölsteuer berücksichtigt. Ein wesentliches Merkmal der Preisszenarien ist der Ankündigungseffekt, der langfristige Verhaltensanpassungen an die veränderten Gegebenheiten ermöglichen soll. Die Szenarienmaßnahmen sind in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren umzusetzen. Die für die Wirkungen der Maßnahmen in den Preisszenarien unterstellten Anpassungsreaktionen der privaten Haushalte bestehen dabei einmal in fahrzeugbezogenen Reaktionen, wie dem Kauf kleinerer oder sparsamerer Fahrzeuge, sowie in verkehrsbezogenen Reaktionen, wie der Verlagerung von Pkw-Fahrten auf andere Verkehrsmittel, Vermeidung von Fahrten, veränderte Zielwahl und bessere Fahrzeugauslastung.
Je nach Szenario sind Fahrleistungsreduktionen des motorisierten Individualverkehrs zwischen 8,8 % und 25,6 % zu erwarten. Durch die bessere Auslastung der Fahrzeuge liegen die Verminderungen der Verkehrsleistung jedoch nur zwischen 5,7 % und 17,1 %. Die errechneten Fahrleistungsreduktionen müssen nicht mit Mobilitätseinbußen verbunden sein. Besonders bemerkenswert ist die zu erwartende erhebliche Verminderung des Kraftstoffverbrauchs um 36,5 % bis 59,3 % und die damit verbundene Reduktion der CO2-Emissionen. Die ausgeprägtesten Verminderungen werden dabei bei einer drastischen Mineralölsteuererhöhung abgeschätzt. Bei Unternehmen und Selbständigen sind die Auswirkungen der zusätzlichen Kostenbelastungen erheblich geringer als bei privaten Haushalten.
Tab. 1: Übersicht über die in den "Preisszenarien" getroffenen Annahmen
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Ist 1994 |
Maßnahmen zu Szenarien |
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1 |
2 |
3 |
Mineralölsteuer DM/l |
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Vergaserkraftstoff |
0,98 |
2,00 |
2,00 |
4,00 |
Dieselkraftstoff |
0,62 |
2,18 |
2,18 |
4,36 |
Tankstellenpreis |
|
|
|
|
Vergaserkraftstoff |
1,55 |
2,72 |
2,72 |
5,01 |
Dieselkraftstoff |
1,15 |
2,94 |
2,94 |
5,45 |
Autobahnbenutzung |
|
|
|
|
Pkw DM/km |
- |
0,20 |
- |
- |
Lkw DM/km |
- |
0,80 |
0,80 |
- |
Vignette DM/Jahr |
|
|
|
|
Lkw |
2.200,00 |
- |
- |
- |
Pkw |
- |
- |
300,00 |
- |
Parkraumbewirtschaftung DM/Std. |
- |
- |
- |
4,00 |
Ballungsraumzufahrt DM |
- |
5,00 |
5,00 |
- |
Wie würden im Falle der Umsetzung der untersuchten Preisszenarien die Belastungen der Haushalte ausfallen?
Wenn die Anpassungsreaktionen im unterstellten Umfang eintreten würden, fielen die zu erwartenden Belastungen der Privathaushalte mit einer mittleren monatlichen Mehrbelastung von etwa 50,- DM geringer aus, als es einfache Hochrechnungen zunächst vermuten ließen. Die zusätzliche Kostenbelastung des Pkw-Verkehrs durch die angenommenen preislichen Maßnahmen würde zu Mehreinnahmen von über 30 Mrd. DM jährlich führen. Dabei sind die Wirkungen auch von der Einkommenshöhe abhängig. Etwa 10 % der Haushalte mit Pkw (2 Mill. Haushalte mit rund 5 Mill. Haushaltsangehörigen) würden durch die preislichen Maßnahmen in ihrer Automobilität erheblich eingeschränkt, bei rund zwei Dritteln der Haushalte mit Pkw wären die Auswirkungen auf die finanzielle Haushaltssituation gering.
Angesichts dieser Ergebnisse könnte ein Mindeststandard an notwendigen Verkehrsleistungen für die besonders betroffenen Einkommensgruppen durch entsprechende Kompensationsmaßnahmen - die Mittel dafür dürften aus den zusätzlichen Einnahmen zur Verfügung stehen sichergestellt werden. Diese sollten allerdings vorrangig auf die Bereitstellung attraktiveren Verkehrsalternativen im öffentlichen Verkehr ausgerichtet sein. Dies käme zudem auch den Haushalten zugute, die keinen Pkw besitzen.
Welche Konsequenzen hätten die Preisszenarien für den Güterverkehr?
Die Modellrechnungen zu den Wirkungen preislicher Maßnahmen im Güterstraßenverkehr ergaben, dass auch bei recht drastischen Kostenerhöhung um etwa 50 % im Straßengüterfernverkehr und bis zu 30 % im Nahverkehr die Lkw-Fahrleistung insgesamt nur um etwa 10 % verringert wird. Im Nahverkehr beträgt die Verringerung der Fahrleistung wegen der begrenzten Ausweichmöglichkeiten nur wenige Prozent, im Fernverkehr allerdings immerhin etwa 20 %. Im Güterfernverkehr ließen sich weitere Reduktionen erreichen, wenn Angebotsverbesserungen seitens der Bahn sowie weitere flankierende Maßnahmen realisiert würden. Durch die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren, flankiert durch eine stetige Anhebung der Mineralölsteuer, ließen sich im Bereich des Güterfernverkehrs wirksame Anreize zur Entlastung des Verkehrsnetzes und zur Verlagerung von Güterstraßenverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsträger setzen, ohne dass damit eine wesentliche Erhöhung der Güterpreise verbunden wäre. Wegen der geringen Sensitivität der Produktpreise bezüglich der Veränderung von Transportpreisen sind die sektoralen Preiseffekte der untersuchten Lkw-Transportkostenerhöhungen insgesamt sehr gering, die durchschnittliche Verteuerung der Güter beträgt weniger als 1 %.
Option "Attraktivitätssteigerung im ÖPNV"
Ein gut organisierter und attraktiver ÖPNV kann viel zur Verbesserung der Verkehrssituation in Ballungsräumen beitragen. Einige Erfolgsmodelle, etwa das Verkehrskonzept der Stadt Zürich, sind das Ergebnis einer konsequenten Anwendung ordnungsrechtlicher Maßnahmen. Besondere Attraktivität erhalten die ÖPNV-Modelle, wenn sie mit neuen Organisationskonzepten zur Nutzung individueller Verkehrsmittel, z.B. Carsharing, verknüpft werden.
Dass auch eine überzeugende Angebotspolitik im Bereich des ÖPNV erfolgreich sein kann, zeigt die Fallstudie zum "Karlsruher Modell". Dessen Erfolg war das Ergebnis einer Vielzahl abgestimmter Maßnahmen, wie der Verbund aller öffentlichen Verkehrsmittel im Einzugsbereich von Karlsruhe, die Abstimmung der Fahrpläne der einzelnen Verkehrsträger im Rahmen eines koordinierten Taktverkehrs, eine einheitliche, übersichtliche und attraktive Tarifstruktur, der Einsatz moderner Fahrzeuge und die umfassende Information der Bevölkerung über den Verkehrsverbund. Auch führt die Beteiligung der Gebietskörperschaften an dem Betriebskostendefizit dazu, dass das öffentliche Verkehrssystem in die örtlichen Planungs- und Finanzierungsüberlegungen einbezogen wird. Unabhängig von der Einführung des "Karlsruher Modells", jedoch in etwa gleichzeitig damit ergriffene Maßnahmen, wie z.B. die Beschränkung und Verteuerung des Parkraums, haben sicherlich flankierend zum erzielten Effekt beigetragen. Auch bezüglich seiner Kostendeckung ist das "Karlsruher Modell" als Erfolg anzusehen, da mit über 80 % ein für den ÖPNV überdurchschnittlicher Kostendeckungsgrad für die Betriebskosten erreicht wurde.
Was kann ein attraktiv gestalteter öffentlicher Personennahverkehr bewirken?
Anhand eines beispielhaft ausgewählten Nahverkehrskorridors wurden die verkehrlichen Effekte bestimmt. Die Anzahl der dort mit dem ÖPNV zurückgelegten Wege stieg - bei geringfügiger Zunahme der Gesamtzahl der Wege - um etwa 50 %, während die Zahl der Pkw-Fahrten leicht abgenommen hat. Die auf den ÖPNV verlagerte PkW-Fahrleistung betrug knapp 10 %. Überraschend war die große Nachfrage an Wochenenden, ein Hinweis auf die mögliche Rolle des ÖPNV als attraktives Transportmittel auch für den immer bedeutender werdenden Freizeitbereich. Es hat sich auch bestätigt, dass ein Teil der Verlagerung zum ÖPNV auf Kosten des Fußgänger- und des Fahrradverkehrs geht. Zudem induzieren attraktive Nahverkehrskonzepte Neuverkehr.
Die erreichte Verlagerung von Straßenverkehr auf den ÖPNV hat zu beträchtlichen Emissionsminderungen sowie zur Verbesserung der Immissionssituation im betrachteten Korridor geführt. Ein weiterer bedeutender Umweltvorteil besteht darin, dass die Stadtbahn eine achsenorientierte Siedlungsentwicklung unterstützt, die mit geringerem Landverbrauch und erheblich geringeren Zerschneidungseffekten von Landschaften verbunden ist als die durch den motorisierten Individualverkehr begünstigte disperse Siedlungsentwicklung.
Welche politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen wären zu verbessern, um attraktive ÖPNV-Modelle langfristig zu sichern?
- Berücksichtigung der Anforderungen einer ÖPNV-gerechten Erschließung in der verbindlichen Bauleitplanung durch entsprechende Novellierung des Baugesetzbuches (BauGB)
- Verpflichtung zur Beachtung der geltenden Nahverkehrspläne in der verbindlichen Bauleitplanung durch entsprechende Novellierung des BauGB
- stärkere Berücksichtigung des motorisierten Individualverkehrs in den Nahverkehrsplänen bzw. Schaffung eines Gesamtverkehrsplans als institutionalisiertes Instrument
- Erhöhung der Bindungswirkung des Nahverkehrsplans in Richtung auf die Gesamtplanung
- einheitliche Regelungen für die Erstellung von Nahverkehrsplänen für Regionen mit Verkehrsverbünden, die über die Grenzen eines Bundeslandes hinausgehen
- Verbesserung der Kontrolle hinsichtlich Konsistenz und Zielkonfliktfreiheit der verschiedenen Planungen auf den höheren Planungsebenen
Kontakt
Torsten Fleischer
+49 721 608-24571
torsten fleischer∂kit edu
Publikationen
Halbritter, G.; Bräutigam, R.; Fleischer, T.; Klein-Vielhauer, S.; Kupsch, C.; Paschen, H.
1998. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000102320
Halbritter, G.; Bräutigam, R.; Fleischer, T.; Klein-Vielhauer, S.; Kupsch, C.; Paschen, H.
1998. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137915