agora, partizipation, deliberation

Partizipative Verfahren der Technikfolgen-Abschätzung und parlamentarische Politikberatung. Neue Formen der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

  • Projektteam:

    Leonhard Hennen (Projektleitung), Thomas Petermann, Constanze Scherz

  • Themenfeld:

    Digitale Gesellschaft und Wirtschaft

  • Themeninitiative:

    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

  • Analyseansatz:

    Monitoring

  • Starttermin:

    2002

  • Endtermin:

    2004

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Öffentliche Kontroversen und Konflikte um wissenschaftlich-technische Fragen sind ebenso wie das Verhältnis von Wissenschaft und Politik schon seit langem Gegenstand wissenschaftlicher wie auch politischer Diskussionen. In jüngster Zeit lässt sich auch ein verstärktes Bemühen um eine (Neu-)Bestim­mung des Dreieckes Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit feststellen. Hintergrund sind neben aktuellen Kontroversen, z.B. um ethische Fragen der Biomedizin (Gendiagnostik, Fortpflanzungsmedizin, therapeutisches Klonen), auch Fragen zur gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaft.

Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Im Rahmen des vom Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung initiierten Monitorings »Technikakzeptanz und Kontroversen über Technik« hat das TAB versucht, die aktuelle Diskussion um eine Neubestimmung der gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaft sowie Erfahrungen mit neuen Formen der Kooperation von Experten, Bürgern und politischen Entscheidungsträgern, die als Ansätze einer Neubestimmung der Rollen von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit angesehen werden können, aufzuarbeiten. Das Ziel bestand dabei vor allem darin, die Bedeutung dieser Diskussion für die Politikberatung in technologiepolitischen Fragen – insbesondere im Rahmen von parlamentarischen Prozessen der Technikfolgen-Abschätzung – herauszuarbeiten.

Ergebnisse

Mit öffentlichen Technikkontroversen, in denen nicht nur kritisch nach den ökologischen und sozialen Folgen neuer technischer Entwicklungen gefragt, sondern auch die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft sowie die Legitimität etablierter Verfahren der politischen Entscheidungsfindung in Frage gestellt wird, verändern sich die Randbedingungen politischer Entscheidungsfindung. Mit der wachsenden Bedeutung wissenschaftlicher Expertise für nahezu jede alltagspraktische und politische Entscheidung tritt die immanente Unsicherheit und Uneindeutigkeit wissenschaftlichen Wissens vor allem bei der Bewertung von Risiken und Folgen technischer Innovationen klar zu Tage. Als Reaktion lassen sich Ansätze zur stärkeren Anbindung der allgemeinen Öffentlichkeit an politische Entscheidungsprozesse feststellen, deren Ziel eine verbesserte Responsivität von Politik gegenüber den in Technikkontroversen artikulierten (vielfältigen und widerstreitenden) gesellschaftlichen Ansprüchen ist. Am Beispiel der Enquète-Kommissionen des Deutschen Bundestages sowie der Etablierung parlamentarischer TA-Einrichtungen in Europa lässt sich zeigen, dass das Parlament sowohl verstärkt auf wissenschaftliche Politikberatung zugreift, als auch Ansätze entwickelt, die Öffentlichkeit stärker in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Partizipative Verfahren der Technikfolgen-Abschätzung

Vor allem in der Technikfolgen-Abschätzung hat die Einsicht, dass eine umfassende Bewertung neuer Technologien auf die Einbeziehung der Wertorientierung und Interessen gesellschaftlicher Gruppen angewiesen ist, zur Erprobung einer Vielzahl partizipativer Formen der Technikbewertung geführt, bei denen Experten, Laien und politische Entscheidungsträger in unterschiedlicher Weise kooperieren. Dabei lässt sich die Vielfalt der erprobten Verfahren zu zwei Typen zusammenfassen:

Stakeholder-Verfahren sind Dialogverfahren mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen, die in verschiedenen Phasen eines TA-Prozesses zum Einsatz kommen können, so bei der Klärung von Untersuchungsschwerpunkten, der Entwicklung politischer Optionen zur Problemlösung oder der Diskussion und Bewertung vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu den Risiken und Chancen der Nutzung einer bestimmten Technologie. Bei konkreten Anlässen, z.B. Planungsverfahren eines Großprojektes, wird über »Runde Tische« versucht, eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung zu finden, indem durch Verhandlung mögliche Kompromisse und Kompensationen ausgelotet werden. Bei der Behandlung von allgemeinen Fragen der Technikbewertung ohne lokalen Bezug, z.B. die Chancen und Risiken der Gentechnik, steht die argumentative Auseinandersetzung im Vordergrund. Ziel ist es dort, Probleme der politischen Entscheidungsfindung, die sich aus widersprüchlichen wissenschaftlichen Daten oder aus Problemen ihrer normativen Bewertung ergeben, im Dialog, wenn nicht zu lösen, so doch zumindest Ursachen und Struktur des Dissenses aufzuklären und die normativen und kognitiven Grundlagen der Entscheidungsfindung zu verbessern.

Partizipative Verfahren, die nicht organisierten Bürgerinnen und Bürgern eine beratende Rolle im Prozess der Technikbewertung eröffnen, sind in einigen Ländern ebenfalls fester Bestandteil der Politikberatung in wissenschaftlich-technischen Fragen. Als spezifisches Modell der Laienberatungsverfahren gilt die seit Mitte der 1980er Jahre in Dänemark praktizierte Konsensuskonferenz. Dabei berät eine Gruppe zufällig ausgewählter Bürgerinnen und Bürger, nach eingehender Befragung von Experten, über wissenschafts- und technologiepolitische Fragen und erstellt ein eigenes, an die Politik gerichtetes »Bürgergutachten«. Ziel des Verfahrens ist es, vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse und divergierende Einschätzungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen aus der Sicht „wohl informierter“ Bürger als Vertreter der allgemeinen Öffentlichkeit zu bewerten.

Ziele und Leistungen partizipativer TA

Solche neuen Formen des Dialogs zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit verstehen sich nicht als Ersatz für Entscheidungsprozesse durch Wahl legitimierter politischer Institutionen. Sie zielen vielmehr auf die den Entscheidungen vorgelagerten gesellschaftlichen und politischen Beratungsprozesse. Wie die vorliegenden Erfahrungen zeigen, kann von solchen Verfahren nicht die Lösung gesellschaftlich kontrovers diskutierter Fragen im Konsens erwartet werden. Sie können aber als zusätzliche Schnittstelle zwischen Gesellschaft und politischen Institutionen fungieren, und so dazu beitragen, Politikprozesse zu öffnen und die Responsivität staatlicher Institutionen gegenüber den in Technikkontroversen sich artikulierenden Anliegen zu verbessern. Dabei kann nicht mit einer direkten Umsetzung von Ergebnissen partizipativer Prozesse in praktische Politik gerechnet werden; auch formal bindend für die Politik können die Ergebnisse partizipativer Beratungsprozesse nicht sein. Um die Funktion als Bindeglied zwischen Politik und Öffentlichkeit und als Fokus einer breiten öffentlichen Diskussion über wissenschaftlich-technische Fragen zu erfüllen, ist allerdings ihre Sichtbarkeit in den Debatten erforderlich, die in der Regel durch die institutionelle Anbindung an bzw. erkennbare Förderung durch Legislative oder Exekutive erfolgt.

Auch impliziert das in partizipativen Verfahren inszenierte Neuarrangement des Verhältnisses von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit keinen neuen Typus von Wissenschaft in dem Sinne, dass nun auch nicht- oder außerwissenschaftliche Kriterien neben den wissenschaftlichen über die Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen entscheiden. Vielmehr geht es um eine spezifische Kooperation von Experten und Laien bei der Lösung gesellschaftlicher – nicht innerwissenschaftlicher – Fragen und Probleme.

Partizipative TA und parlamentarische Politikberatung

Partizipative Verfahren der Technikfolgen-Abschätzung spielen in einigen europäischen Ländern (Dänemark, Niederlande, Schweiz) eine prominente Rolle gerade in der Politikberatung für die nationalen Parlamente. In ihrer Funktion als Foren der Kommunikation unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen sind sie insbesondere geeignet, eine verbesserte Repräsentation von Befürchtungen, Meinungen und Einstellungen der allgemeinen Öffentlichkeit bzw. von Teilöffentlichkeiten zu bewirken. Parlamentarische Beratung und der gesellschaftliche Diskurs können so als Kommunikationsprozess verbunden werden und damit die Funktion der Parlamente als Forum gesellschaftlicher Debatten unterstützen.

Das 1990 beim Deutschen Bundestag mit dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) etablierte Modell der politikberatenden Technikfolgen-Abschätzung entspricht in seiner Praxis eher einem experten- und wissenschaftszentrierten Typus von Politikberatung. Bei der Etablierung von TA beim Deutschen Bundestag stand aber nicht allein der Gedanke einer wissenschaftlichen Unterstützung parlamentarischer Beratung Pate, sondern ebenso der Wunsch einer Stärkung des Deutschen Bundestages als Diskussionsforum für die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung bei zentralen wissenschaftlich-technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Dass eine stärkere Einbeziehung von gesellschaftlichen Gruppen und Laien in die Beratungen des Deutschen Bundestages, gerade wenn es um wissenschaftlich-technische Entwicklungen geht, die zu schwierigen Kontroversen über zentrale Werte und Ziele der Gesellschaft führen, politisch als Desiderat angesehen wird, zeigen die Experimente der in jüngster Zeit mit rechtlichen und ethischen Fragen der Biomedizin befassten Enquète-Kommissionen mit an die Bürger gerichteten Dialogangeboten. Eine stärkere Öffnung der TA-Verfahren beim Deutschen Bundestag für die Öffentlichkeit ist in letzter Zeit durch die öffentliche Präsentation von Ergebnissen der vom TAB im Auftrag des Parlaments durchgeführten Untersuchungen, aber noch nicht in Form einer Integration der Öffentlichkeit in den TA-Prozess selbst erfolgt. Das vom Deutschen Bundestag gewählte Beratungsmodell ist allerdings von der Konstruktion her für eine Integration partizipativer Verfahren offen.

Publikationen


Alle Berichte aus dem Monitoring "Technikakzeptanz und Kontroversen über Technik"