Zukunftspotenziale und Strategien von traditionellen Industrien in Deutschland: Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung
- Projektteam:
Oliver Som, Steffen Kinkel, Eva Kirner, Daniela Buschak, Rainer Frietsch, Angela Jäger, Peter Neuhäusler, Michael Nusser, Sven Wydra
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
Innovationsreport
- Starttermin:
2009
- Endtermin:
2010
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Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Nichtforschungsintensive Industrien und Betriebe haben in der wirtschafts- und innovationspolitischen Debatte bislang eine vergleichsweise untergeordnete Rolle gespielt. Durch die starke Fokussierung der politischen Diskussion auf forschungsintensive Bereiche wurde den Potenzialen der nichtforschungsintensiven Branchen und Betriebe für den Wirtschaftsstandort Deutschland in der Vergangenheit meist keine besondere Bedeutung zugesprochen. Ausgehend von wachstumstheoretischen Überlegungen wurde intensive Forschung und Entwicklung (FuE) üblicherweise mit höherem Wirtschaftswachstum und höherer internationaler Wettbewerbsfähigkeit assoziiert.
Der vorliegende Bericht stellt nichtforschungsintensive Sektoren und Betriebe in den Mittelpunkt und beschäftigt sich mit der Frage, welche direkten und vor allem auch indirekten Beiträge diese Bereiche zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands leisten und welche Zukunftspotenziale daraus resultieren. Es wird untersucht, welche Wettbewerbs- und Innovationsstrategien forschungsschwache Unternehmen verfolgen und inwiefern aktuelle wirtschaftliche Entwicklungen einen Veränderungsdruck erzeugen, der sich in Zukunft auf die Marktposition und auf die Überlebensfähigkeit forschungsschwacher Unternehmen auswirken könnte. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, welche Entwicklungen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit und damit hinsichtlich Beschäftigungsmöglichkeiten in nicht forschungsintensiven Industrien absehbar sind. Schließlich wird geklärt, welche Auswirkungen auf die Qualifikationsanforderungen dieser Beschäftigten aufgrund aktueller Entwicklungen absehbar sind.
Die Untersuchung der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung von nichtforschungsintensiven Industrien erfolgt anhand amtlicher statistischer Daten auf nationaler und internationaler Ebene. Die Analysen auf betrieblicher Ebene basieren auf einer telefonischen Befragung von mehr als 200 nichtforschungsintensiven Betrieben und 88 besonders forschungsintensiven Betrieben des deutschen verarbeitenden Gewerbes. Ergänzende Auswertungen erfolgen anhand von Daten aus der Erhebung »Modernsierung der Produktion 2009« des Fraunhofer ISI. Die Daten umfassen Informationen zu Themen wie dem Marktumfeld, der Wettbewerbsstrategie, den spezifischen Innovationsmustern, der Kompetenzausstattung, der Aufnahme- und Umsetzungsfähigkeit externer Informationen, dem Schutz und der Bedeutung unterschiedlicher Formen von Wissen oder den zukünftigen Chancen und Risiken dieser Betriebe.
Ergebnisse
Die Ergebnisse des Berichts basieren auf umfangreichen, empirischen Daten sowohl auf Branchen- als auch auf Betriebsebene. Zu konstatieren ist, dass nichtforschungsintensive Branchen keineswegs gleichbedeutend mit der Gruppe nichtforschungsintensiver Betriebe sind. Die Branchen- bzw. Betriebsebene stellen zwei getrennte Betrachtungsebenen dar. Fast 60% der befragten nichtforschungsintensiven Betriebe agieren in forschungsintensiven Branchen. Umgekehrt findet sich fast ein Fünftel der besonders forschungsintensiven Betriebe in nichtforschungsintensiven Sektoren.
Gesamtwirtschaftlicher Stellenwert und Wertschöpfungsbeitrag nichtforschungsintensiver Industrien in Deutschland
Der gesamtwirtschaftliche Wertschöpfungsanteil des verarbeitenden Gewerbes insgesamt und der nichtforschungsintensiven Industriesektoren im Besonderen hat seit 1970 im Zuge des Strukturwandels kontinuierlich abgenommen. Dennoch tragen nichtforschungsintensive Industriesektoren (definiert als Teilsektoren mit weniger als 2,5 % Anteil der privatwirtschaftlichen FuE-Ausgaben am Branchenumsatz) mit aktuell rund 40 % noch immer einen wesentlichen Anteil zur Wertschöpfung im deutschen verarbeitenden Gewerbe bei. Dieser Anteil ist in anderen Industrieländern (EU-14, Japan, USA) sogar noch deutlich höher, da in Deutschland der Sektor der sogenannten »gehobenen Gebrauchstechnologie« (bspw. Maschinenbau, Automobilbau) im Vergleich zu anderen Ländern eine besonders große Rolle spielt. Bemerkenswert ist, dass Analysen verfügbarer OECD-Daten zwischen 1975 bis 2006 keine nennenswerten Veränderungen der durchschnittlichen FuE-Intensität von Industriesektoren über die Zeit hinweg erkennen lassen. Nichtforschungsintensive Sektoren sind somit über mehrere Jahrzehnte strukturell stabil und können offensichtlich auch ohne bedeutsame Steigerungen ihrer FuE-Intensität erfolgreich am Markt bestehen.
Marktumfeld und Wettbewerbsstrategien
Das Marktumfeld nichtforschungsintensiver Betriebe ist schwieriger als das von besonders forschungsintensiven Betrieben, da sie deutlich häufiger in weitgehend gesättigten, stagnierenden oder sogar schrumpfenden Märkten aktiv sind. Ihre Produkte sind im Allgemeinen leichter substituierbar als die Produkte forschungsintensiver Betriebe, vermutlich auch aufgrund ihrer tendenziell geringeren Produktkomplexität. Um trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen nichtforschungsintensive Betriebe im Verdrängungswettbewerb bestehen und ihre Kunden durch bessere Leistung als die Konkurrenz überzeugen. Dies erreichen sie vorrangig durch eine sehr hohe Qualitätsorientierung, Anpassung der Produkte an spezielle Kundenwünsche sowie kurze Lieferzeiten, die auch durch die häufig bestehende, räumliche Nähe zu den Kunden begünstigt werden. Der Preis spielt als Wettbewerbsfaktor eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Damit besetzen nichtforschungsintensive Betriebe häufig eine Marktnische, die an einem Hochlohnstandort wie Deutschland durchaus attraktiv sein kann: Die Produktion hochwertiger Qualität und Lieferung kundenspezifischer Produkte geringer Forschungsintensität zu zumindest teilweise auch gehobenen Preisen. Beispiele für solche erfolgreichen Nischen mit Wachstumspotenzial sind technische und funktionale Textilien, nachhaltige und hochwertige Lebensmittel oder leichte und verschleißarme Metall- und Kunststoffteile.
Durch die Fokussierung auf regionale Märkte sind nichtforschungsintensive Sektoren stark inländisch orientiert. Sie beziehen ihre Vorprodukte hauptsächlich aus dem Inland und sind dadurch weniger importabhängig. Diese starke Binnenorientierung kann auch dazu führen, dass nichtforschungsintensive Betriebe von kurz- und mittelfristigen, global induzierten Nachfrageschwankungen nicht direkt in dem Maße abhängig sind wie stark exportorientierte Betriebe. Obwohl nichtforschungsintensive Industrien in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Sektoren die höchsten Steigerungsraten beim Auslandsumsatz verzeichnen konnten, haben sie nach wie vor geringere direkte Exportquoten als forschungsintensive Sektoren.
Zu den wichtigen Kunden nichtforschungsintensiver Zulieferbetriebe gehören auch inländische Unternehmen aus den in Deutschland traditionell exportstarken Branchen des Maschinen- und Automobilbaus. Folglich leisten nichtforschungsintensive Betriebe durch die Versorgung mit hochwertigen und international wettbewerbsfähigen Vorprodukten einen wichtigen, indirekten Beitrag zur Exportstärke Deutschlands.
Beschäftigung und Qualifikation
Nichtforschungsintensive Sektoren beschäftigen in Deutschland heute rund 50 % der in der Industrie Erwerbstätigen bzw. 11 % aller Arbeitnehmer in Deutschland. Da diese Sektoren im Vergleich zu forschungsintensiven Branchen im Mittel arbeitsintensiver sind, lösen zusätzliche Nachfrageeffekte auch einen höheren direkten Beschäftigungseffekt aus. Diese Branchen tragen aber nicht nur durch direkte, sondern insbesondere auch durch indirekte Effekte wesentlich zur Beschäftigung in Deutschland bei. Durch ihre Verflechtungsbeziehungen sind sie mit vorgelagerten Zulieferern verbunden, sodass im Fall steigender Nachfrage auch dort zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Diese indirekten Beschäftigungseffekte zeigen sich in erheblichem Maße auch in Dienstleistungssektoren. Nichtforschungsintensive Sektoren leisten dadurch einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung der Einnahmen der sozialen Sicherungssysteme. Zusätzliche Nachfrageimpulse induzieren direkte und indirekte positive Effekte auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die über den entsprechenden Effekten forschungsintensiver Sektoren liegen.
Dies gilt in ähnlicher Weise für hochqualifizierte Arbeitskräfte bzw. Beschäftigte mit einer akademischen Ausbildung. Nichtforschungsintensive Sektoren beschäftigen im Vergleich zu forschungsintensiven Branchen zwar einen deutlich geringeren Anteil an Akademikern, sie sind allerdings indirekt für die Schaffung von wissensintensiven Arbeitsplätzen in ihren Zuliefersektoren verantwortlich. Dieser indirekte Effekt auf Akademikerarbeitsplätze, der von nichtforschungsintensiven Sektoren ausgeht, ist höher als der indirekte Effekt der durch forschungsintensive Sektoren ausgelöst wird. Er kommt dadurch zustande, dass sie in hohem Maße Maschinen, andere Investitionsgüter und wissensintensive Dienstleistungen nachfragen, deren Herstellung bei den entsprechenden Zulieferern viele hochqualifizierte Beschäftigte erfordert.
Weiterhin lässt sich feststellen, dass nichtforschungsintensive Betriebe ein bedeutendes Arbeitsplatzpotenzial für an- und ungelernte Arbeitskräfte bieten. Sie beschäftigen mit einem Drittel fast doppelt so viele geringqualifiziert Beschäftigte wie besonders forschungsintensive Betriebe. Dabei greifen sie nicht häufiger als andere Unternehmen auf Leiharbeiter zurück. Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, da zu vermuten wäre, dass nichtforschungsintensive Betriebe die flexible Auslastung ihrer Produktion verstärkt durch den Einsatz von gering qualifizierten Leiharbeitnehmern realisieren. Damit sind sie noch immer ein wesentlicher Anbieter von Arbeitsplätzen mit Normalarbeitsverhältnissen für jene Arbeitskräfte, für die es im Zuge der zunehmenden Wissensintensivierung der Arbeit immer schwieriger wird, Beschäftigung in Deutschland zu finden.
Innovation, Wissen und Absorptionsfähigkeit
Auch wenn nichtforschungsintensive Sektoren definitionsgemäß geringe Ausgaben für FuE aufweisen, stoßen sie in ihren Zulieferbranchen dennoch indirekt zusätzliche FuE-Aktivitäten in forschungsintensiveren Zulieferbranchen an. Somit tragen nichtforschungsintensive Branchen durch ihre FuE-Ausstrahleffekte indirekt zur Stärkung des FuE-Standorts Deutschland bei.
Ein etwas anderes Bild zeigt sich bei der erweiterten Betrachtung der Innovationsaufwendungen. Neben reinen FuE-Ausgaben setzen sich Innovationsaufwendungen auch aus Sachinvestitionen, Weiterbildungsinvestitionen, Ausgaben für Patentierung und Lizenzen sowie Marketingaufwendungen für Innovationen zusammen. Nichtforschungsintensive Branchen weisen in diesen Feldern zum Teil durchaus beträchtliche Innovationsaufwendungen auf. Die Analysen auf Betriebsebene haben dies bestätigt: Investitionen in Maschinen und Anlagen (Prozessinnovationen) und Vertrieb (Erschließung neuer Märkte) spielen für nichtforschungsintensive Betriebe eine wichtige Rolle. Diese Investitionen werden getätigt, um entweder die Position im bestehenden Markt auszubauen oder ganz neue Absatzmärkte zu erschließen.
Innovation spielt somit auch für nichtforschungsintensive Betriebe eine wichtige Rolle. Interessant ist hierbei, dass die wichtigsten Innovationsziele nichtforschungsintensiver Betriebe häufiger als bei forschungsintensiven Betrieben in den Bereichen Prozessinnovation und Dienstleistungsinnovation liegen. Die relativ hohe Priorisierung von Prozessinnovationen trägt dazu bei, dass sich nichtforschungsintensive Betriebe bei der Nutzung innovativer Prozesstechnologie weitgehend auf Augenhöhe mit forschungsintensiven Betrieben befinden. Sie sind sehr gut in der Lage, innovative Prozesstechnologien in ihrem Betrieb erfolgreich einzusetzen.
Im Kontext von Produktinnovationen ist bemerkenswert, dass diese auch bei fast der Hälfte der nichtforschungsintensiven Betriebe die Hauptrolle spielen, damit aber seltener das vorrangige Innovationsziel sind, im Vergleich zu forschungsintensiven Betrieben. Weiterhin gibt über ein Drittel der nichtforschungsintensiven Betriebe an, seinen Marktanteil vorrangig durch neue Produkte steigern zu wollen. Dies zeigt, dass in diesen Betrieben trotz geringer direkter Investitionen in FuE durchaus eine erfolgreiche Neuproduktentwicklung erfolgen kann. Zudem setzen über 60 % der nichtforschungsintensiven Betriebe auf eine »First-Mover«- bzw. Vorreiter-Strategie zum Schutz ihres wettbewerbsrelevanten Wissens. Im Vergleich zu besonders forschungsintensiven Betrieben ist dieser Anteil zwar geringer, jedoch scheint die Mehrheit in der Lage zu sein, die Bedürfnisse des Marktes frühzeitig zu erkennen und marktgerechte, technische oder prozessuale Neuerungen anzubieten.
Nichtforschungsintensive Betriebe sind folglich keinesfalls von technologischen oder nachfrageseitigen Entwicklungen abgeschnitten. Die Analysen der »Absorptionsfähigkeit« von Betrieben belegen dies eindrucksvoll. Die Fähigkeit, Anregungen und Erkenntnisse aus der Außenwelt wahrzunehmen, zu bewerten, im Betrieb umzusetzen und zur Verbesserung der Wettbewerbsposition anzuwenden ist keineswegs, wie in der Theorie vielfach angenommen, vorrangig an die Forschungs- und Entwicklungsintensität der Betriebe gekoppelt. Dies gilt sowohl für die technologische als auch für die kundenbezogene Absorptionsfähigkeit. Wenn technologische Entwicklungen eine hohe Relevanz für die eigene Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Betriebs haben, sind nichtforschungsintensive Betriebe durchaus dazu in der Lage, eine ähnliche oder sogar überlegene technologische Absorptionsfähigkeit wie besonders forschungsintensive Betriebe aufzubauen.
Fazit und Ausblick
Die Ergebnisse unterstreichen die nach wie vor hohe Bedeutung nichtforschungsintensiver Sektoren für die inländische industrielle Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland. Bislang jedoch haben nichtforschungsintensive Sektoren und Betriebe in der Wirtschafts- und Innovationspolitik eine vergleichsweise untergeordnete Rolle gespielt. Dies wurde damit begründet, dass Bereiche mit intensiver Forschung und Entwicklung deutlich höhere Wachstumsraten aufweisen und laut wachstumstheoretischer Argumentation am besten in der Lage sein sollten, zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Landes beizutragen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse dieses Innovationsreports zu den direkten und vor allem auch indirekten Beiträgen der nichtforschungsintensiven Bereiche zur Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland gilt es, diese Position zu überdenken.
Maßnahmen und Programme der Innovations- und Technologiepolitik, die sich lediglich auf Hochtechnologiesektoren beschränkten, würden demnach wesentliche Eckpfeiler des deutschen Wirtschaftssystems ausblenden. Vor diesem Hintergrund stellen nichtforschungsintensive Betriebe in Deutschland gleichermaßen eine Chance wie Herausforderung für den Einsatz und die Konzeption politischer Steuerungsinstrumente dar.
Wirtschaftspolitisch bietet die starke Binnenorientierung nichtforschungsintensiver Industriebereiche die Chance, im Fall konjunkturfördernder Maßnahmen höhere inländische Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte zu erzielen als bei einer Stimulierung forschungsintensiver Sektoren. Zusätzliche Nachfrageimpulse könnten durch die hohe Arbeitsintensität dieser Sektoren höhere direkte Arbeitsplatzeffekte auslösen, die aufgrund der vorrangig inländisch orientierten Unternehmens- und Standortstrukturen auch vorrangig in Deutschland entstehen dürften. Zudem könnten durch die intensiven Verflechtungsbeziehungen mit vorgelagerten, oft forschungsintensiven Zulieferern und Ausrüstern auch indirekt wesentliche Arbeitsplatzeffekte generiert werden, die aufgrund der starken Inlandsorientierung beim Vorleistungsbezug ebenfalls vorrangig in Deutschland entstehen würden.
Aus Sicht der Arbeitsmarktpolitik sind die nichtforschungsintensiven Betriebe des verarbeitenden Gewerbes eines der letzten Segmente, die in nennenswertem Umfang vergleichsweise attraktiv entlohnte Industriearbeitsplätze für geringqualifizierte Arbeitskräfte bieten – verglichen beispielsweise mit den Niedriglohnsektoren in vielen Dienstleistungsbereichen. Auch vor diesem Hintergrund sollten der Erhalt und die Unterstützung der nichtforschungsintensiven Industriebereiche in Deutschland eine höhere politische Priorität erhalten, zumal sich – wie bereits in einem früheren TAB-Zukunftsreport zur »Zukunft der Industriearbeit« gezeigt – die bereits existenten Probleme der An- oder Ungelernten auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärfen werden.
Nicht zuletzt haben die dargestellten Befunde vielfältige Implikationen für die Innovations- und Technologiepolitik. Nichtforschungsintensive Betriebe sind keinesfalls per se von technologischen Entwicklungen außerhalb ihres Betriebs oder ihrer Branche abgekoppelt und sind ebenso wie forschungsintensive Betriebe in der Lage, technologische Entwicklungen wahrzunehmen, umzusetzen und von der Wissens- und Technologiediffusion zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu profitieren. Ausgehend von konventionellen Modellen der Wachstumstheorie läge es dennoch nahe, zur Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit nichtforschungsintensiver Betriebe verstärkt Anreize zur Aufnahme kontinuierlicher FuE-Aktivitäten und Steigerung ihrer FuE-Intensität zu setzen. Dieser Ansatz ginge davon aus, dass nichtforschungsintensive Betriebe am Standort Deutschland mittel- bis langfristig keine Perspektive besitzen, was entsprechend den hier vorgelegten Ergebnissen hinterfragt werden muss.
Ein vielversprechenderer Ansatz könnte stattdessen sein, nicht die FuE-Aktivitäten im Speziellen, sondern vielmehr die Innovationsaktivitäten nichtforschungsintensiver Betriebe im Allgemeinen zu stimulieren und somit die identifizierten Stärken dieser Betriebe zum Ausgangspunkt innovationspolitischer Maßnahmen zu machen. Dies erfordert jedoch einen erweiterten Blick auf Innovationen. Einerseits sind eigene FuE-Aufwendungen und interne FuE-Kompetenzen insbesondere für erfolgreiche Produktinnovationen sehr wichtig. Andererseits können zukünftige Wachstumspotenziale auch durch technische oder organisatorische Prozessinnovationen sowie durch produktbegleitende Dienstleistungen generiert werden. In diesen Feldern haben nichtforschungsintensive Betriebe keine messbaren Nachteile gegenüber forschungsintensiven Betrieben. Vor diesem Hintergrund sollte es ergänzendes Ziel von Innovationspolitik, Verbänden und Unternehmen sein, diese Stärke der nichtforschungsintensiven Betriebe im Bereich der technischen und nichttechnischen Prozess- und Dienstleistungsinnovationen zu sichern und auszubauen.
Zentral hierfür wäre die Unterstützung der internen Kompetenzen und Fähigkeiten nichtforschungsintensiver Betriebe insbesondere in folgenden zwei Bereichen: einerseits in der Vermarktung und Unterstützung der »Diffusion« eigener Innovationen, wozu ausreichende Innovationsaktivitäten bei kundenspezifischer Anpassungsentwicklung, Konstruktion, (Service-)Design oder Marketing von Innovationen notwendig sind; andererseits in der erfolgreichen Adoption externer Entwicklungen und Konzepte, wozu es ausreichender Innovationsaufwendungen in Form von Sachinvestitionen oder Weiterbildungsinvestitionen bedarf. Aufgabe der Technologie- und Innovationspolitik wäre es dann, zunehmend auf umfassendere Innovationsanreize zu setzen, die auch die Diffusion und Adoption von Innovationen und die dazu notwendigen Verflechtungen und Wechselwirkungen von nichtforschungsintensiven und forschungsintensiven Unternehmen und Sektoren in den Blick nehmen. Ein konkreter Ansatz könnte hier beispielsweise die frühzeitige Einbindung von nichtforschungsintensiven Unternehmen in der Rolle als Anwender in vorwettbewerblichen Verbundprojekten gemeinsam mit forschungsintensiven Akteuren sein.
Publikationen
Som, O.; Kinkel, S.; Kirner, E.; Buschak, D.; Frietsch, R.; Jäger, A.; Neuhäusler, P.; Nusser, M.; Wydra, S.
2010. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137684
Som, O.; Kinkel, S.; Kirner, E.; Buschak, D.; Frietsch, R.; Jäger, A.; Neuhäusler, P.; Nusser, M.; Wydra, S.
2010. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000133260
Im Bundestag
- Vorgang - Bericht, Gutachten, Programm im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien (DIP)