Grüne Gentechnik - Transgene Pflanzen der 2. und 3. Generation
- Projektteam:
Arnold Sauter (Projektleitung);
Bärbel Hüsing - Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
TA-Projekt
- Starttermin:
2003
- Endtermin:
2005
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Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Das vom Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung angestoßene TA-Projekt sollte diesen Zielen und Visionen nachgehen und eine Bestandsaufnahme des Entwicklungsstandes und der Potenziale solcher »nutzungsveränderter« Pflanzen erarbeiten. Dabei erfolgte unter dem Blickwinkel der Neuartigkeit eine gezielte Konzentration auf neue Bewertungsfragen, und mit der Orientierung auf den »gesellschaftlichen Nutzen« wurde der Fokus weder einseitig auf die Risikodimension noch auf partikulare ökonomische Interessen ausgerichtet, sondern der gesellschaftliche Gesamtzusammenhang betont.
Ergebnisse
Die Begriffe 2. und 3. Generation gentechnisch veränderter Pflanzen (GVP) sind nicht allgemein verbindlich definiert. Im TAB-Projekt wurden unter »2. Generation« diejenigen transgenen Pflanzen in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien bis kurz vor der Zulassung, also die sog. »Pipeline«, verstanden sowie unter »3. Generation« diejenigen in früheren FuE-Stadien. Bei den nutzungsveränderten Pflanzen wurden drei Hauptgruppen bzw. -anwendungsfelder unterschieden, die den Schwerpunkt des Berichts ausmachen:
- gentechnisch veränderte Pflanzen zur Herstellung funktioneller, d.h. gesundheitsfördernder Lebensmittel,
- solche zur Produktion von Pharmazeutika, auch Plant Made Pharmaceuticals oder »PMP« genannt, und
- GVP zur Produktion sonstiger industriell zu nutzender Stoffe, auch als »PMI« bzw. Plant Made Industrials bezeichnet.
Strategien und Beispiele gentechnischer Entwicklungssätze
Es werden zwei Strategien unterschieden, um durch gentechnische Eingriffe Pflanzen mit neuen Nutzungsmöglichkeiten zu generieren. Zum einen sollen durch Modifikationen der Inhaltsstoffzusammensetzungen
- z.B. die Kohlenhydrat- und Fettsäurezusammensetzung gesundheitlich oder aber für die Nutzung in der chemischen Industrie optimiert,
- das Allergiepotenzial verringert,
- die Verdaubarkeit von Futtermitteln verbessert,
- deren Gehalt an essenziellen Aminosäuren erhöht oder
- die Holzstruktur von Bäumen für die Papierproduktion optimiert werden.
In einem zweiten Ansatz werden durch gentechnische Eingriffe gänzlich neue Inhaltsstoffe geschaffen, die z.B.
- als »Biokunststoffe«,
- als industrielle Enzyme (für die Lebensmittel-, Textil- oder Papierherstellung)
- oder als Arzneimittel für die Human- und Tiermedizin
verwendet werden können. Die aufwendigen Recherchen des TAB-Berichts zum Stand von Forschung und Entwicklung zeigten allerdings, dass nur wenige nutzungsveränderte GVP in fortgeschrittenen Stadien identifiziert werden können.
Anwendungsfeld Functional Food
Betrachtet man den existierenden Markt für funktionelle Lebensmittel insgesamt sowie die spezifischen Anforderungen bei ihrer Entwicklung, so zeigt sich, dass gentechnische Ansätze aller Voraussicht nach auf absehbare Zeit von sehr begrenzter Bedeutung bleiben werden, weil sie im Moment nur für ganz wenige Teilaspekte Lösungsmöglichkeiten bieten können. Gleichzeitig sind sie sehr forschungs- und damit kostenintensiv, und das in einem zwar attraktiven und dynamischen, aber insgesamt doch begrenzten Marktsegment der Lebensmittelindustrie.
Die weiter vorangeschrittenen Forschungsansätze sind praktisch ausschließlich auf die Produktion von Einzelstoffen, wie langkettige Fettsäuren, Fructane, Carotinoide, ausgerichtet und konkurrieren dabei mit etablierten Verfahren, z.B. der chemischen Synthese oder der Produktion mit Hilfe von Bakterien oder anderen Einzellern und natürlich auch der Gewinnung aus konventionellen Pflanzen. Mit Blick auf das Verbraucherverhalten der vergangenen Jahre muss bezweifelt werden, dass mit solchen einzelstoffbezogenen Ansätzen eine umfangreiche Akzeptanz erreicht werden kann, zumindest solange wie die gentechnischen Produkte lediglich eine Konkurrenz zu konventionellen Angeboten bieten können. Gerade aus Sicht der Lebensmittelindustrie erscheinen daher konventionelle technologische Optionen auf absehbare Zeit als vielseitiger, schneller und vor allem billiger.
Anweldungsfeld plant made pharmaceuticals (PMP)
Hier kommt der TAB-Bericht zu der Gesamteinschätzung, dass die mögliche Nutzung von transgenen Pflanzen zur Produktion von neuartigen Medikamenten zwar nicht so vorteilhaft sein dürfte, wie häufig postuliert bzw. angenommen wird, aber trotzdem relativ konkret und zeitlich näher als bei vielen anderen GVP erscheint. So konnten 15 PMP in klinischen Prüfungen identifiziert werden, davon drei in der fortgeschrittenen Phase II. Zwei dieser Medikamente haben bereits den sog. Orphan-Drug-Status zur Behandlung seltener Erkrankungen erhalten. Daneben findet sich eine Reihe von veterinärmedizinischen Entwicklungen in fortgeschrittenen Stadien, die möglicherweise später auch in der Humanmedizin genutzt werden können. Die große Menge allerdings repräsentiert auch hier die 3. Generation, d.h. die meisten auffindbaren Beispiele stammen aus der vorklinischen Forschung, darunter besonders viele Antikörper, die eine zunehmend wichtige Rolle in der Medizin spielen.
Die Analyse der möglichen Vorteilhaftigkeit einer Produktion von gentechnischen Medikamenten in Pflanzen gegenüber der Produktion mit anderen Systemen (Bakterien, tierische Zellen, transgene Tiere) erbrachte keine prinzipiellen komparativen Vorteile, sondern betonte, dass wie so oft der Einzelfall betrachtet werden muss. Der insgesamt steigende Bedarf an gentechnisch hergestellten Arzneimitteln dürfte allerdings eine recht konkrete Perspektive auch für die Nutzung transgener Pflanzen bieten, unter der Voraussetzung, dass sichere Produktionssysteme und eine entsprechende Risikoregulierung entwickelt werden.
Anweldungsfeld plant made industrials (PMI)
Das heterogene Feld der PMI erscheint überraschend wenig entwickelt, die Perspektiven daher recht undeutlich – egal, ob »Öl-Design«, »Stärke-Design«, Produktion von Enzymen oder auch von »Biokunststoffen«. Die Gründe für den insgesamt geringen Entwicklungsstand sind je nach Entwicklungsziel und Pflanzenart fallspezifisch unterschiedlich, doch wurden aus der Gesamtschau verschiedener Einzelfälle Einschätzungen abgeleitet, die von übergreifender Bedeutung für das Gesamtfeld sind. So hat sich immer wieder gezeigt, dass im Zuge der Inhaltsstoffmaximierung unerwünschte Nebeneffekte – wie z.B. Wachstumsstörungen – auftreten, die dann letztlich zu einer Ertragsdepression führen. Dies macht nicht das Konzept als solches unbrauchbar, bestimmt aber die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den konventionellen bzw. alternativen Quellen (nicht gentechnisch veränderte Pflanzen, mikrobielle Produktionssysteme oder z.B. aus Erdöl gewonnene chemische Erzeugnisse). Theoretisch am plausibelsten wirken Ansätze der Herstellung von speziellen und hochpreisigen Inhaltsstoffen, die nur in kleineren Mengen benötigt werden und exklusiv in bzw. mit transgenen Pflanzen produziert werden können – doch dafür gibt es bislang kaum Beispiele.
Risiko und Nutzen
Die möglichen Risiken nutzungsveränderter GVP können derzeit fast ausschließlich theoretisch diskutiert werden, weil noch kaum Erfahrungswerte vorliegen. Trotzdem kann die These formuliert werden, dass die nächsten Generationen transgener Pflanzen die Situation der Risikoregulierung gegenüber der bisherigen Situation fundamental verändern, und zwar mit folgender Begründung: Voraussetzung einer Zulassung bei den GVP der 1. Generation ist die Feststellung, dass vom Anbau (und meist auch vom Verzehr) der jeweiligen GVP keine Gefahr für Umwelt und Gesundheit ausgeht, zumindest im Vergleich mit konventionell eingebrachten Eigenschaften. Die neuen Genprodukte, welche die Insekten- oder Herbizidresistenz vermitteln, liegen einerseits nur in geringen Konzentrationen vor und beeinflussen daher die molekularen Eigenschaften der Pflanzen(zellen) nur geringfügig. Andererseits sollen sie – z.B. bei einem Verzehr der Pflanze – nachweislich keine Wirkungen auf den menschlichen Organismus ausüben.
Die neuen Inhaltsstoffe der 2. und 3. Generation, z.B. der Pharmapflanzen, aber auch von Functional-Food-GVP, sollen nun sowohl in möglichst hoher Konzentration enthalten sein als auch explizit physiologische bzw. medizinische Wirkung haben. Die bisherige Risikoabschätzungsstrategie, die immer auf einen Vergleich mit herkömmlichen Pflanzen abhob, wird daher in vielen Fällen nicht mehr greifen. Auch für das Risikomanagement bedeutet es eine ganz neue Herausforderung, einen möglichen Anbau von risikobehafteten GVP zu ermöglichen. Absehbar ist, dass mindestens für Pharmapflanzen umfassende Sicherheitsauflagen für Anbau und Verarbeitung entwickelt werden müssen, wie dies in den USA und Kanada bereits geschehen ist. Gleichzeitig, und auch dies stellt ein Novum dar, wird die Nutzendiskussion einen neuen, einen höheren Stellenwert erhalten.
In der EU und damit in Deutschland greift die bestehende Regulierung angesichts der neuartigen Risikofragen vermutlich unzureichend. Die jetzigen Regularien zielen vorrangig auf frei handelbare Pflanzensorten zum unbeschränkten Anbau – gerade hoch»spezialisierte« und wertvolle transgene Pflanzen werden aber mit Sicherheit so nicht vermarktet und gehandhabt werden. Hieraus folgt ein Bedarf an Anpassung bzw. Ergänzung.
Handlungsfelder der Forschungspolitik
Einen Katalog einzelner Forschungsfragen bietet der TAB-Bericht bewusst nicht – diesen zu entwickeln ist Sache aller Beteiligten. Vielmehr wird ein konkreter Vorschlag für einen »Fortschrittsbericht der Bundesregierung zum Stand öffentlich finanzierter Aktivitäten im Zusammenhang von Erforschung, Zulassung, Anbau und Vermarktung von GVP« gemacht. Dieser könnte möglicherweise eine Basis bzw. zumindest einen Bezugspunkt für eine konstruktive und nachhaltige Weiterentwicklung der Forschungspolitik zur Grünen Gentechnik und zu alternativen Strategien bilden.
Vor allem bei der Diskussion und Gestaltung der kommenden Forschungsrahmenprogramme der EU bestehen derzeit Gestaltungsspielräume und -herausforderungen. Der TAB-Bericht plädiert für eine Integration umfassender Technikfolgen-Abschätzung in zukünftige große Gentechnik-Entwicklungsprojekte, und zwar nicht nur als Begleitforschung, sondern als eine Art Voraussetzungsforschung, z.B. zu Anbau- und Koexistenzszenarien. Und er befürwortet eine stärkere gesellschaftliche Öffnung bereits in frühen Forschungsstadien.
Publikationen
Sauter, A.
2005. Petermann, T. [Hrsg.] Technikfolgen-Abschätzung für den Deutschen Bundestag : Das TAB - Erfahrungen und Perspektiven wissenschaftlicher Politikberatung Berlin : edition sigma, 2005, 116–46
Sauter, A.; Hüsing, B.
2005. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137993
Sauter, A.; Hüsing, B.
2005. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103728
Sauter, A.
2003. TAB-Brief, (25), 22–23