Maßnahmen für eine nachhaltige Energieversorgung im Bereich Mobilität
- Projektteam:
Reinhard Grünwald (Projektleitung), Dagmar Oertel, Herbert Paschen
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
Monitoring
- Starttermin:
2001
- Endtermin:
2002
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Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung
Ausgehend von den Ergebnissen des Ende 2000 abgeschlossenen Projekts „Elemente einer Strategie für eine nachhaltige Energieversorgung“ hat das TAB dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages vorgeschlagen, ein langfristiges Monitoring zu wichtigen Aspekten und Problemen einer „Nachhaltigen Energieversorgung“ zu beschließen. Weiter wurde vorgeschlagen, als erste Studie in diesem Rahmen eine Untersuchung zur Thematik „Instrumente und Maßnahmen zur Realisierung einer nachhaltigen Energieversorgung“ durchzuführen und diese Untersuchung im Wesentlichen auf die Analyse und Bewertung von Maßnahmenbündeln für das Aktivitätsfeld „Mobilität“ zu konzentrieren. Diese Vorschläge wurden unterstützt von der Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung“, die das TAB um Beiträge zu ihrer Arbeit, insbesondere bei der Behandlung der Instrumentenproblematik, gebeten hatte. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung stimmte in seiner Sitzung vom 06. Dezember 2000 diesem Vorgehen zu.
Ziel dieses Berichtes im Rahmen des Monitoring „Nachhaltige Energieversorgung“ ist es, Instrumente und Maßnahmen zu analysieren, mit denen mittel- und langfristig erreicht werden kann, dass auch das Verkehrssystem einen signifikanten Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung leistet.
Stand der Arbeiten
Im Juni 2002 wurde das Projekt mit der Vorlage des Endberichtes (TAB-Arbeitsbericht Nr. 79) abgeschlossen. Die Ergebnisse stützen sich wesentlich auf drei in Auftrag gegebene Gutachten: Eines der Gutachten enthält einen breit angelegten Vergleich energiepolitischer Instrumente und Maßnahmen im Hinblick auf ihre Relevanz für die Realisierung einer nachhaltigen Energieversorgung. Ausführlich wird ein entwickeltes Kriterienraster im Hinblick auf die Instrumente Garantiepreisregelung und Quotenregelung zur Förderung erneuerbarer Energieträger in der Stromversorgung diskutiert.
In einem weiteren Gutachten werden zur quantitativen Analyse der Wirkungen solcher Maßnahmenbündel im Mobilitätsbereich ein Trendszenario und ein Nachhaltigkeitsszenario bis 2020 definiert. Für den Zeitraum 2020 bis 2050 werden qualitative Überlegungen angestellt.
In einem dritten Gutachten werden zentrale fiskalische und preispolitische Maßnahmen zur Realisierung einer nachhaltigen Energieversorgung auf ihre Kompatibilität mit Verfassungs- und Europarecht untersucht. Dazu gehören Maßnahmen, wie sie im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsszenario für den Mobilitätsbereich diskutiert und konkretisiert werden.
Ergebnisse
Eine wirksame Verkehrsbeeinflussung kann grundsätzlich nicht durch ein einzelnes Instrument oder durch wenige Instrumente erreicht werden. Vielmehr ist hierfür ein abgestimmtes Bündel von Maßnahmen aus allen verkehrspolitischen Bereichen (Investitionspolitik, Preispolitik, Ordnungspolitik, organisatorische Maßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit) notwendig. Dadurch wird gewährleistet, dass die Erreichung der angestrebten Ziele nicht durch gegenläufige Wirkungen behindert wird. Die Wirkungen einzelner Maßnahmen müssen sich ergänzen und gegenseitig verstärken. Solche Synergieeffekte wiederum gestatten es, die Intensität von einzelnen Maßnahmen, z.B. der Preispolitik, vergleichsweise gering zu halten und damit Anpassungsschocks zu begrenzen.
Zur quantitativen Analyse der Wirkungen solcher Maßnahmenbündel werden ein Trendszenario und ein Nachhaltigkeitsszenario bis 2020 definiert. Für den Zeitraum 2020 bis 2050 werden lediglich qualitative Überlegungen angestellt.
Überwiegend besteht heute Konsens, dass bei „nachhaltiger Entwicklung“ die Ziele ökologische Verträglichkeit, wirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit gemeinsam zu realisieren sind. Aus Gründen der Praktikabilität ist hier jedoch die Analyse zunächst auf die ökologische Dimension – mit dem Leitindikator CO2-Emissionen – fokussiert. Ökonomische und soziale Aspekte werden als Folgeprobleme analysiert.
Verkehrsentwicklung in den Szenarien
Trendszenario
Im Trendszenario wird die Verkehrsentwicklung, abhängig von den sozioökonomischen und demografischen Leitdaten, unter der Annahme prognostiziert, dass die heutige Verkehrspolitik auf allen beteiligten Ebenen im Wesentlichen beibehalten wird. Es wird als Referenzfall für das Nachhaltigkeitsszenario zugrunde gelegt.
Für die Verkehrsentwicklung im Personenverkehr im Trendszenario sind die getroffenen Annahmen für die Kraftstoffpreise von besonderer Bedeutung. Die gesamten Personenverkehrsleistungen nehmen zwischen 1997 und 2020 deutlich zu (Steigerung um 28 %). Die bei weitem größte Steigerung hat unter den Verkehrsarten der Luftverkehr aufzuweisen. Im Trend wird eine Steigerung der Verkehrsleistung des Güterverkehrs insgesamt um 66 % erwartet. Dabei wird im Straßengüterverkehr eine Straßenmaut für schwere Lkw auf Bundesautobahnen angenommen. Der Straßengüterfernverkehr wächst dennoch um 93 %.
Nachhaltigkeitsszenario
Im Nachhaltigkeitsszenario werden die Möglichkeiten ausgelotet, durch ein geeignetes Spektrum von Maßnahmen – bei konstant gehaltenen soziodemographischen und sozioökonomischen Rahmendaten – die im Referenzfall (Trendszenario) ermittelten CO2-Emissionen zu verringern. Es werden Einzelmaßnahmen aus verschiedenen Politikbereichen zu effizienten Maßnahmenbündeln zusammengefasst, die verkehrsverlagernde (Veränderung des Modal Split zu Gunsten umweltverträglicher Verkehrsabläufe), transportvermeidende (wie Ausschöpfung der Rationalisierungspotenziale) sowie die Technik der Fahrzeuge verbessernde (wie Energieeinsparung) Wirkungen haben. Ein verstärkter Einsatz alternativer Antriebe (Brennstoffzelle und Kraftstoffe) soll durch gezielte Förderung erreicht werden.
Das wichtigste Element des Nachhaltigkeitsszenarios ist die Verkehrsverlagerung. Hier wird ein gegenüber dem Trendfall alternativer, fiskal- und verkehrspolitischer Rahmen definiert, der die Wettbewerbssituation der mit dem Straßenverkehr (motorisierter Individualverkehr und Straßengüterverkehr) konkurrierenden Verkehrsträger (öffentlicher Straßenpersonenverkehr, Eisenbahn und nicht motorisierter Verkehr im Personenverkehr bzw. Eisenbahn und Binnenschifffahrt im Güterverkehr) erheblich verbessert.
Im Personenverkehr vermindern sich die über alle Verkehrsarten zusammengefassten Verkehrsleistungen im Nachhaltigkeitsszenario gegenüber der Trendentwicklung um 6 %, die des motorisierten Individualverkehrs gehen um 14 % zurück. Eisenbahn und öffentlicher Straßenpersonenverkehr steigen um jeweils rund ein Drittel. Damit die angestrebte Verkehrsverlagerung erreicht werden kann, ist entscheidend, dass das Angebot der öffentlichen Verkehrsarten sowie des nicht motorisierten Verkehrs qualitativ und quantitativ so ausgebaut wird, dass die Aufnahmefähigkeit dieser Systeme für verlagerte Fahrten vom Pkw gewährleistet wird und darüber hinaus auch ein eigener „pull“-Effekt vom öffentlichen und vom nicht motorisierten Verkehr ausgehen kann.
Im Güterverkehr sinkt die gesamte Güterverkehrsleistung im Nachhaltigkeitsszenario gegenüber dem Trend nur leicht um 2,6 %, gegenüber dem Stand von 1997 bedeutet das immer noch eine Zunahme um über 60 % bzw. von durchschnittlich 2,1 % jährlich. Transportverlagerungs- und -vermeidungseffekte führen beim Straßengüterfernverkehr zu einer Verringerung der Verkehrsleistung um fast ein Fünftel gegenüber dem Trend.
CO2-Emissionen
Im Trendszenario steigen die gesamten Kohlendioxidemissionen des motorisierten Verkehrs in Deutschland inklusive des von Deutschland ausgehenden Flugverkehrs zwischen 1997 und 2020 um 13 %. Dieser Anstieg ist fast ausschließlich eine Folge der Zunahme des Lkw- und Flugverkehrs.
Im Nachhaltigkeitsszenario vermindern sich die Kohlendioxidgesamtemissionen des motorisierten Verkehrs zwischen 1997 und 2020 um etwa 20 %. Dabei wird eine höhere Minderung in einzelnen Sektoren durch den Luftverkehr zum Teil wieder ausgeglichen.
Wirtschaftliche und soziale Folgewirkungen
Die gesamten Ausgaben der Haushalte für Verkehrsleistungen steigen im Trend von 1997 bis 2020 um 21 %. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Zunahme um 0,8 %, die weit unter der mittleren Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes (knapp 2 %) liegt. Damit ergibt sich eine unterdurchschnittliche Zunahme der Verkehrsausgaben innerhalb des gesamten Ausgabenbudgets der privaten Haushalte.
Im Nachhaltigkeitsszenario 2020 steigen die Verkehrsausgaben gegenüber der Trendentwicklung um 7 %. Bezogen auf das Ausgangsjahr 1997 ergibt sich eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 1,1 %. Auch mit dieser Steigerung dürfte die Zunahme der Verkehrsausgaben gemessen am gesamten Ausgabevolumen der privaten Haushalte noch unterdurchschnittlich verlaufen.
Die vor allem bei den Kraftstoffen zugrunde gelegten Verteuerungen werden also zu einem großen Teil durch die Reduktion der Verbrauchswerte kompensiert. Auf diese Weise wird u.a. durch die Preispolitik eine technische Entwicklung mit angestoßen, die über eine verbesserte Energieverwertung auch zu einer Begrenzung der Kostenerhöhung führt.
Die Transportkosten des Straßengüterfernverkehrs sind im Nachhaltigkeitsszenario 2020 um etwa 35–40 % höher als im Trendszenario. Dennoch erhöht dies die Kostenbelastung der Wirtschaft nur um rund 0,5 %. Nur wenige Wirtschaftssektoren sind von Transportkostensteigerungen derart betroffen, dass spürbare wirtschaftliche Folgen zu befürchten sind.
Tendenzen im Zeitraum 2020 bis 2050
Qualitative Überlegungen zu möglichen Entwicklungen bis 2050 zeigen, dass ein möglicher Rückgang der Personenverkehrsleistung nicht so signifikant ausfallen dürfte, dass eine wesentliche Annäherung an das Nachhaltigkeitsziel für 2050 (Reduktion der CO2-Emissionen um 80 % gegenüber dem Stand von 1990) im Personenverkehr gewissermaßen im Selbstlauf zu erreichen wäre. Daher werden auch nach dem Jahre 2020 Maßnahmen zur Beeinflussung und Gestaltung des Verkehrs notwendig sein.
Der Beitrag von Verhaltensänderungen der Verkehrsteilnehmer zu einem „nachhaltigen“ Verkehrssystem wird vermutlich auch nach dem Jahr 2020 begrenzt bleiben. Der größere Teil der Verminderung von CO2-Emissionen wird auch in der ferneren Zukunft durch technische Verbesserungen erbracht werden müssen. Dazu wird es zwingend notwendig sein, die technischen Möglichkeiten, den Verbrauch von fossiler Energie einzuschränken, soweit wie möglich auszuschöpfen. Ohne eine begleitende Preispolitik als Anreiz, energiesparende Technik zu verwenden, dürfte dies kaum möglich sein.
Die Tendenzen zur Globalisierung und Internationalisierung von Produktion und Handel als auch zur nationalen und internationalen Intensivierung der Arbeitsteilung setzen sich auch nach 2020 fort. Dies führt unmittelbar zu einer Steigerung der Transportintensität des Wirtschaftssystems und bewirkt einen weiteren Anstieg der Verkehrsleistungen. Auf den Güterverkehrsmärkten sind nach 2020 keine autonomen Entwicklungen absehbar, die signifikant zu einer Verminderung der CO2-Emissionen beitragen würden.
Auch für die technischen Potenziale zur Verringerung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen gilt, dass Aussagen für den Zeitraum nach 2020 nicht unproblematisch sind. Zur Erreichung der Emissionsziele ist eine erhebliche Effizienzsteigerung – verbesserter Motorenwirkungsgrad, Downsizing von Fahrzeugen und Motoren, Energierückgewinnung, Elektromotoren, Verzicht auf Komfortsteigerungen – mit dem Ziel des „1-Liter-PKW“ erforderlich. Gleichzeitig ist der verstärkte Einsatz regenerativer bzw. kohlenstoffarmer Energieträger unverzichtbar. Kurz- und mittelfristig könnte der Ersatz von Otto- bzw. Dieselkraftstoffen durch Erdgas sinnvoll sein. Bioenergieträger (Biodiesel, Pflanzenöle, Bioethanol oder Biogas) und der Einsatz regenerativ erzeugten Stroms, direkt und via regenerativem Wasserstoff in Verbindung mit Brennstoffzellen, bieten Potenziale zur Emissionsminderung im Verkehr.
Kompatibilität verkehrspolitischer Maßnahmen mit Verfassungs- und Europarecht
Verfassungsrechtlich ist das Verhältnis zentraler fiskal- und preispolitischer Maßnahmen, wie sie im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsszenario diskutiert werden, zu Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) besonders problematisch. Was das europäische Sekundär-, aber auch das europäische Primärrecht betrifft, so wird der Spielraum für einen Instrumenteneinsatz auf nationaler Ebene immer geringer.
Diskutiert werden hier eine mögliche weitere Erhöhung der Mineralölsteuer, die Abschaffung der Entfernungspauschale, die Einführung einer Straßennutzungsgebühr für Lkw sowie lenkende Maßnahmen im Luftverkehr (Einführung einer Kerosinsteuer).
Publikationen
Grünwald, R.; Oertel, D.; Paschen, H.
2002. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000102280
Grünwald, R.; Oertel, D.; Paschen, H.
2002. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137639