Technikfolgen-Abschätzung zum Raumtransportsystem »SÄNGER«.
Billiger in den Orbit?
- Projektteam:
Herbert Paschen, Reinhard Coenen, Fritz Gloede, Gerhard Sardemann, Heinrich Tangen
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
TA-Projekt
- Starttermin:
1990
- Endtermin:
1992
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Mit dem Förderprogramm »Hyperschalltechnologie« des Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) soll ein deutscher Beitrag zur technologischen Vorbereitung der »nächsten Generation« von Raumtransportsystemen geleistet werden. »Leitkonzept« für das deutsche Hyperschalltechnologie-Programm ist das Raumfahrzeug SÄNGER. Beim Konzept SÄNGER handelt es sich um ein zweistufiges, horizontal startendes und landendes wiederverwendbares Raumtransportsystem, das in der Lage sein soll, von Europa in den Weltraum zu starten und von dort wieder nach Europa zurückzukehren.
Gegenstand und Ziel des Vorhabens
Die erste Phase des Hyperschalltechnologie-Programms sollte nach ursprünglicher Planung Ende 1992 abgeschlossen werden. Da der für den Übergang in die nächste Phase erforderliche Technologiestand bis Ende 1992 aber offenbar nicht erreicht werden kann, beabsichtigt das BMFT eine Verlängerung der Phase I um voraussichtlich drei Jahre.
Im Mai 1990 beschloss der Ausschuss für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung, vom TAB eine Technikfolgen-Abschätzung zum Raumtransportsystem SÄNGER durchführen zu lassen. Diese wurde im Juni 1992 abgeschlossen, der Endbericht im Oktober 1992 veröffentlicht.
Ziel des Projektes war die Verbesserung der Informationsbasis des Parlaments für die zukünftigen Beratungs- und Entscheidungsprozesse zum Hyperschalltechnologie-Programm und zum Leitkonzept SÄNGER.
Ergebnisse
In einer ersten Phase des Projekts wurden mit Hilfe externer Experten die folgenden zentralen Aussagen erarbeitet.
- Aus heutiger Sicht erfordert ein System SÄNGER mindestens 20 Jahre Entwicklung bis zur operationellen Einführung. Voraussetzung ist, dass die derzeit mit dem deutschen Hyperschall-Forschungsprogramm und den Konzeptstudien zu einem Technologiedemonstrator für die SÄNGER-Unterstufe eingeleiteten ersten Schritte mit hoher Priorität konsequent weiterverfolgt und die erforderlichen Mittelallokationen schon in naher Zukunft langfristig eingeplant werden.
- Insgesamt sind die technologischen Schwierigkeiten bei SÄNGER als nicht unüberwindlich hoch einzuschätzen; die Vielzahl der erforderlichen neuen Technologien, die in einem komplexen System zusammen realisiert werden müssen, lässt aber den Bau eines Demonstrators als ersten Schritt notwendig erscheinen.
- Der anfangs propagierte Zusammenhang mit der Entwicklung von Hyperschall-Transportern (HST) dürfte kein kostensenkender Faktor bei der Entwicklung eines Raumtransportsystems sein, da aus betriebstechnischen Gründen und wegen zu erwartender Umweltbelastungen die Aussichten für ein derartiges Projekt (HST) als äußerst gering anzusehen sind und die technischen Anforderungen, von Gemeinsamkeiten bei den technologischen Grundlagen abgesehen, sehr unterschiedlich sind.
- Die Triebwerke von SÄNGER werden aufgrund ihrer Bauart mehr Lärm machen als die der Concorde. Damit dürfte der Einsatz von SÄNGER nur von Flughäfen aus möglich sein, die in praktisch unbesiedelten Gebieten liegen. Da SÄNGER meist schon aus Missionsgründen von möglichst südlichen Basen in mehr oder weniger südliche Richtung starten muss, dürften mögliche Einsatzorte z.B. an der iberischen Atlantikküste zu finden sein. Was andere Umweltbelastungen betrifft, insbesondere die Auswirkungen auf die Ozonschicht, so werden diese zur Zeit in einer speziell mit den Umweltauswirkungen von SÄNGER befassten, vom BMFT vergebenen Studie untersucht.
- Aktuell werden die Entwicklungskosten für SÄNGER auf ca. 23 Mrd. Accounting Units (AU) geschätzt und liegen damit gut doppelt so hoch wie die zur Zeit für die Entwicklung von Ariane 5 und HERMES angegebenen Kosten (10,5 Mrd. AU).
- Ohne Amortisation der Entwicklungskosten ergeben sich für SÄNGER bei 12 Starts pro Jahr Startkosten von 23 Mio. AU pro Start gegenüber 277 Mio. AU für einen von zwei HERMES-Starts pro Jahr. Die spezifischen Transportkosten für die unbemannte Version SÄNGER/HORUS-C belaufen sich auf 3.000 bis 4.000 Dollar/kg Nutzlast gegenüber ca. 11.ooo Dollar/kg bei Verwendung der Ariane 44L.
- Werden die Entwicklungskosten in die zu amortisierenden Kosten eingeschlossen, so ergeben sich extrem lange Amortisationszeiten, bevor sich deutlich niedrigere Transportkosten im Fall des vorliegenden Projektvorschlags SÄNGER einstellen. Dabei ist der aus gegenwärtigen Programmen abschätzbare Transportbedarf unterstellt. Erste Abschätzungen ergeben, dass die im Bereich der ESA-Aktivitäten - der ESA-Langzeitplan reicht allerdings nur bis 2000 - konservativ ableitbaren Bedarfszahlen von etwa 12 bis 14 SÄNGER-Starts pro Jahr vermutlich zu klein sind, um die mit SÄNGER prinzipiell möglichen Vorteile realisieren zu können.
- Eine spürbare Kostenentlastung könnte durch Erweiterung der Nutzerbasis und breitere Verteilung der Entwicklungskosten eintreten. Dies würde gleichzeitig ein Schritt in Richtung stärkerer internationaler Kooperation sein, was aber unter Umständen im Widerspruch zur Forderung nach europäischer Autonomie steht. Wenn Deutschland bei der Entwicklung von SÄNGER die Systemführung anstrebt, ist davon auszugehen, dass es mindestens 40 % der Entwicklungskosten tragen müsste, um sowohl die Projektführung als auch eine starke technologische Beteiligung zu erreichen.
In einer zweiten Phase wurden die bislang vorliegenden Ergebnisse nochmals überprüft und fortentwickelt und in einen weiteren raumfahrtpolitischen Zusammenhang gestellt. Der Abschlussbericht bietet zunächst eine Übersicht über die heute verfügbaren Raumtransportsysteme und eine Analyse ihrer Hauptdefizite. Aus dieser Defizitanalyse werden Anforderungen an zukünftige Raumtransportsysteme abgeleitet. Abschließend werden die wichtigsten derzeit diskutierten Konzepte für Raumtransportsysteme der nächsten Generation - darunter das Konzept SÄNGER - dargestellt.
Danach werden Konzeption, Ablauf und Organisation des deutschen Hyperschalltechnologie-Programms und die mit diesem Programm bzw. einem zukünftigen Raumtransportsystem vom Typ SÄNGER verfolgten Ziele beschrieben. Bei diesen Zielen handelt es sich fast überwiegend um Optimierungsziele - Raumtransporte sollen in Zukunft z.B. wirtschaftlicher, sicherer, umweltfreundlicher werden -, die den Bedarf nach Raumtransporten und Raumtransportsystemen voraussetzen.
Anschließend werden - nach der kontroversen Diskussion um den gesellschaftlichen Nutzen der Raumfahrt - raumfahrtpolitische Nutzungsszenarien beschrieben und diskutiert, insbesondere auch im Hinblik auf darin enthaltene mögliche zukünftige Marktsegmente für ein Raumtransportsystem vom Typ SÄNGER.
In der Folge werden die mit dem Hyperschalltechnologie-Programm bzw. einem zukünftigen System SÄNGER verfolgten Zielsetzungen eingehend analysiert, u.a. Reduzierung der Kosten, Erhöhung der Sicherheit und Zuverlässigkeit, Verbesserung der Umweltverträglichkeit, Durchführung des Raumtransports von europäischen Flugplätzen, Verbesserung der technologischen Basis für zukünftige Projekte der Luft- und Raumfahrt sowie für andere Gebiete der Hochtechnologie (Spin-off), technologische Vorbereitung der nächsten Generation von Raumtransportsystemen.
Abschließend wird der politische Entscheidungsbedarf bezüglich des Hyperschalltechnologie-Programms und des Leitkonzepts SÄNGER zusammenfassend dargestellt. Schließlich werden politische Handlungsoptionen diskutiert.
Publikationen
Gloede, F.
1994. Technikbeurteilung in der Raumfahrt: Anforderungen, Methoden, Wirkungen. Hrsg.: A. Grunwald, H. Sax, 125–141, edition sigma
Paschen, H.; Coenen, R.; Gloede, F.; Sardemann, G.; Tangen, H.
1992. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000133239
TAB (Hrsg.)
1991. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000133257