Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten -
Internet und Demokratie
- Projektteam:
Armin Grunwald (Projektleitung), Gerhard Banse, Christopher Coenen, Leonhard Hennen (Projektleitung)
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Kultur und Medien
- Analyseansatz:
TA-Projekt
- Starttermin:
2003
- Endtermin:
2005
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Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Auf Anregung des Ausschusses für Kultur und Medien wurde das TAB 2003 vom Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung beauftragt, ein TA-Projekt zum Thema »Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten« durchzuführen, wobei an das TA-Projekt »Neue Medien und Kultur« (TAB-Arbeitsbericht Nr. 74, November 2001) angeknüpft wurde.
In der Hauptphase des Projekts standen zwei Themen im Mittelpunkt: die Nutzung des Internets durch staatliche Akteure (auf nationaler Ebene) für den Dialog mit Bürgern und zur Stimulierung bürgerschaftlicher politischer Onlinediskussionen sowie Wandlungsprozesse politischer Öffentlichkeit und zivilgesellschaftlichen Engagements durch das Internet.
Der Endbericht des Projekts bietet einen Überblick über verschiedene soziotechnische Formen und kulturelle Aspekte netzbasierter Kommunikation. Er stellt vergleichend die Programmatik und Praxis politischer Institutionen zur E-Demokratie dar und setzt sich mit Auswirkungen des Internets auf politische Öffentlichkeit auseinander.
Ergebnisse
Durch netzbasierte Kommunikation werden Individuen und Gruppen befähigt, sich zu bestimmten Anlässen politisch zusammenzuschließen. Sie verschärft aber auch das Entscheidungsdilemma auf der individuellen Ebene, denn die Bürger müssen noch häufiger entscheiden, welche Aktivitäten sie verfolgen wollen. Im transnationalen Bereich deuten sich Entwicklungen an, die es rechtfertigen, von einem transnationalen Demokratiepotenzial des Internets zu sprechen, auch wenn bisher keine umfassende europäische oder gar globale Netzöffentlichkeit besteht.
Das Internet eröffnet als interaktives Medium neue Kommunikationsmöglichkeiten und ist damit auch demokratietheoretisch relevant. Dies betrifft vor allem die Konstituierung von Öffentlichkeit und politischer Information, Deliberation und Partizipation. Betont wird die Möglichkeit der Intensivierung der Kommunikation zwischen Bürgern untereinander und zwischen Bürgern und Politik – unter Einschluss der Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung von Kommunikation und Informationsversorgung.
Internet und Politik
Die Politik öffnet sich in den letzten Jahren hin zu Netzöffentlichkeit und Netzkultur und reagiert dabei auch auf die Ansprüche von Bürgern, die das Netz als ein Mittel einfacher und direkter Kommunikation schätzen. Durch Fördermaßnahmen, Vernetzung der eigenen Webangebote mit denen nicht staatlicher Akteure, Teilnahme an Onlinediskussionen, dem eigenen Experimentieren mit verschiedenen Onlineformaten und die zunehmende Bereitstellung von Informationen spielt die Politik mittlerweile eine wichtige Rolle in der Netzöffentlichkeit.
Das Netz wird auch vielfältig für die Kommunikation mit Bürgern genutzt, an verschiedenen Orten sind Routinen entstanden. Trotzdem lässt sich insgesamt gesehen immer noch von einer Experimentierphase sprechen. Besonders weit entwickelt ist die Nutzung von Onlinebefragungen im Rahmen von Anhörungen, allerdings vor allem außerhalb Deutschlands. Onlinediskussionsformate werden vielfach genutzt und das inhaltliche Niveau der Diskussionen ist häufig hoch. Erfolg versprechen vor allem Themen, die im speziellen Interesse von Fachleuten und besonders gut informierten Bürgern liegen, oder solche, bei denen bestimmte Bevölkerungsgruppen politisch besonders stark betroffen sind. Im Vergleich zu den Nutzerzahlen der klassischen Massenmedien ist die Zahl der Nutzer staatlicher Onlinediskussionsangebote aber gering, weshalb die Diskussionsergebnisse nicht für den Zweck plebiszitärer Legitimation genutzt werden sollten. Trotz vieler positiver Erfahrungen weist die Politik zu diesem Bereich digitaler Demokratie Verbesserungsbedarfe und Inkonsequenzen auf. Es fällt z.B. auf, dass viele der Diskussionsangebote nicht durchgängig den Empfehlungen entsprechen, die von der OECD, der Bundesregierung und anderen relevanten Akteuren selbst entwickelt worden sind. Neue Möglichkeiten der Kommunikation führen überdies auch hier nicht notwendig zu einem verstärkten Engagement der Nutzer.
Informationen und Debatten im Netz
Die individuellen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten lassen es gerechtfertigt erscheinen, vom Internet als politischem Kommunikationsraum mit eigenen, von den Massenmedien unterscheidbaren Merkmalen zu sprechen – womit allerdings über die weitreichende These der Mobilisierung und politischen Aktivierung der Bürger durch das Netz noch wenig ausgesagt ist.
Die Forschung zur aktuellen Bedeutung der Netzkommunikation für zivilgesellschaftliche Gruppen zeigt, dass der netzbasierten Kommunikation insbesondere für die Organisation transnationalen Protestes und transnationaler Solidarisierung offenbar eine wichtige Funktion zukommt. Andererseits zeigen Untersuchungen zu Internetangeboten transnational agierender NGOs, dass diese eher konventionell gehalten sind und das Interaktionspotenzial nur wenig genutzt wird. Für eher lose thematisch diversifizierte Netzwerke scheint netzbasierte Kommunikation eine »conditio sine qua non« ihres Funktionierens zu sein. Veränderungen der innerorganisatorischen Kommunikationsstrukturen bei eher hierarchisch organisierten NGOs sind hingegen durch die erweiterte Nutzung der Möglichkeiten netzbasierter Kommunikation nicht zu erwarten. Von wesentlicher Bedeutung scheint die Möglichkeit zu sein, Informationen zu sammeln und an Mitglieder und die interessierte Öffentlichkeit via Website oder Mailinglisten zu verbreiten.
Zwei im Rahmen des Projekts durchgeführte empirische Untersuchungen von Strukturen und Inhalten politischer Debatten im Netz (zu den Themen Urheberrecht und genetisch modifizierte Nahrungsmittel) zeigen, dass das Informationsangebot zu diesen Themen im Netz groß ist, wobei die Sichtbarkeit der Angebote von Staat und Parteien eher gering ist. Die Masse der angebotenen Informationen macht es gerade für den einfachen Nutzer nahezu unmöglich, sich einen eigenen Überblick über die Breite der Argumente und Meinungen zu verschaffen. Insbesondere die Untersuchung zum Thema »Genfood« stützt die Annahme, dass sich im Internet ein breiteres Spektrum von Akteuren öffentlichkeitswirksam artikulieren kann als in den Massenmedien. Zwar dominieren »starke«, gut organisierte Akteure, aber auch Akteuren, die kaum Zugang zu den Massenmedien haben, bietet sich die Chance, im Netz wahrgenommen zu werden. Deutlich wird auch die im Vergleich zur Presse stärker ausgeprägte internationale Ausrichtung der Netzkommunikation.
Widersprüchliches erbrachten die Untersuchungen zur Qualität der Onlinedebatten. Obwohl sich z.B. die Nutzer über das Urheberrecht recht gut informiert zeigten und die meisten Nutzer gerade die interaktiven Möglichkeiten des Netzes schätzen, wurde die schlechte Qualität der Diskussionen in den vorhandenen Onlineforen beklagt. Offensichtlich werden die thematisch einschlägigen Foren von urheberrechtskritischen Nutzern dominiert, die sich in oft emotionalisierter Art und Weise in ihrer Position selbst bestärken. Bezüglich der argumentativen Qualität der im Netz einfach per Suchmaschinenrecherche auffindbaren Texte zeigte sich aber im Falle der »Genfood«-Debatte kein relevanter Unterschied zur Behandlung des Themas in der Presse. Die Bandbreite von Texttypen und Formaten ist im Netz größer und das argumentative Spektrum zumindest nicht enger als in der Presseberichterstattung. Es fanden sich relativ oft Stellungnahmen oder Dokumente von Akteuren selbst und eher selten Beispiele für journalistische Berichterstattung. Es lässt sich vermuten, dass es netzbasierte Kommunikation stärker als die Rezeption der massenmedialen Berichterstattung erlaubt, nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem öffentlichen Meinungsspektrum wahrzunehmen bzw. überhaupt erst aufzusuchen.
Schlussfolgerungen und Handlungsoptionen
Die Integration des Internets in das politische Leben verläuft tatsächlich oft weder bruchlos noch unspektakulär. Praktiken der Netznutzung haben sich noch nicht verfestigt, vieles wirkt vorläufig oder dem Internet unangemessen. Dennoch ist netzbasierte Kommunikation bereits ein integraler Bestandteil von Politikprozessen und weitreichende Ziele sind in nationalen und internationalen politischen Programmen festgeschrieben.
Auf Seiten politischer Akteure wird das Netz als Medium (interner wie externer) politischer Kommunikation und auf Seiten der Nutzer als Quelle politischer Information an Bedeutung gewinnen. Die Massenmedien werden ihre Bedeutung nicht einbüßen, aber politische Prozesse werden verstärkt auch im Internet stattfinden und in Form von Themen, Debatten, politischen Aktionen auf die massenmediale Öffentlichkeit ausstrahlen. Die Ausbildung »virtueller« politischer Kommunikationsgemeinschaften wird durch das Internet erleichtert. Die Ansprüche politisch interessierter und gut informierter Bürger hinsichtlich des Zugangs zu politischen Informationen, der Transparenz politischer Prozesse und auch der Teilhabe an der Entscheidungsfindung über das Netz werden wachsen. Für Nutzergruppen mit geringer Kompetenz im Umgang mit den Möglichkeiten politischer Kommunikation und Information im Netz kann das Internet als Mittel der Information und Teilhabe verschlossen bleiben.
Unter dem Gesichtspunkt einer lebendigen und deliberativen Demokratie mit möglichst aktiven und gut informierten Bürgerinnen und Bürgern ist es zu begrüßen, wenn diejenigen Strukturen und Prozesse gefördert und unterstützt werden, die neue Formen politischen bürgerschaftlichen Engagements ermöglichen. Soweit möglich sollte auch negativen Tendenzen entgegengewirkt werden. Neben der Gewährleistung eines Netzzugangs für alle Interessierten, stellt sich mindestens ebenso dringlich die Aufgabe, einem »digital divide« entgegenzuwirken, der sich aus den individuell unterschiedlichen, sozialstrukturell oder kulturell bedingten Fähigkeiten ergibt, das Internet sinnvoll und medienkompetent zu nutzen. Kommerzialisierung und Massenmedialisierung der Netzkommunikation sowie die Entstehung von Teilöffentlichkeiten sind Entwicklungen, die die Vielfalt, Transparenz und gesellschaftliche Bedeutung politischer Netzkommunikation einzuschränken drohen. Die Unterstützung der Webpräsenz schwach organisierter Gruppen und vernachlässigter Themen wie auch die Förderung und staatliche Bereitstellung von Webportalen als Knotenpunkte und Wegweiser für politische Kommunikation können Mittel zur Förderung politischer Vielfalt im Netz sein.
Ein direkter Weg der Einflussnahme der Politik auf die Netzöffentlichkeit ergibt sich durch die eigenen Websites. Die Diskussionsangebote sollten so konzipiert, ausgestattet und betreut sein, dass vermeidbaren Enttäuschungen der Bürger entgegengewirkt wird. Die dafür notwendigen Maßnahmen unterscheiden sich im Einzelfall, zentral sind aber eine klare Zweckbestimmung der Diskussionen, Transparenz in Bezug auf die Beteiligung der Politiker und Nutzung der Ergebnisse, den Diskussionen angemessene Moderationsleistungen und Maßnahmen zur Werbung und Zielgruppenansprache. Die Weiterentwicklung staatlicher Angebote zur digitalen Demokratie ist nicht die Aufgabe einzelner Akteure. Ein Konsens der relevanten politischen Akteure und deren Kooperation bestimmen maßgeblich den Erfolg in diesem Bereich.
Publikationen
Grunwald, A.; Banse, G.; Coenen, C.; Hennen, L.
2005. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137536
Grunwald, A.; Banse, G.; Coenen, C.; Hennen, L.
2005. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000102227