Biobanken für die humanmedizinische Forschung und Anwendung
- Projektteam:
Christoph Revermann (Projektleitung), Arnold Sauter
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
TA-Projekt
- Starttermin:
2005
- Endtermin:
2006
sprungmarken_marker_2133
Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Im Fokus der Öffentlichkeit stehen vor allem solche Biobankprojekte, die sehr umfassend angelegt sind, d.h. besonders viele Daten und Proben von besonders vielen Probanden bzw. Spendern sammeln, deren Initiatoren den genetischen Aspekt herausstellen und/oder besonders weitreichende (neue) medizinische Nutzungsmöglichkeiten als Ziel formulieren. Solche Biobanken sollen primär der Forschung an den weitverbreiteten Volkskrankheiten dienen. Das TAB-Projekt konzentriert sich auf diesen Typus von Biobanken, versucht aber gleichzeitig die Vielfalt von Biobanken zu erfassen und mit Blick auf die wissenschaftliche Bedeutung und den möglichen medizinischen Nutzen zu behandeln. Mit der Entwicklung, dem Aufbau und dem Betrieb von Biobanken ist eine Vielzahl von Fragen verbunden, welche vor allem die Erhebung, Speicherung, Nutzung und Weitergabe von Proben und Daten betreffen. Die mögliche besondere wissenschaftliche und medizinische Bedeutung, aber auch die mit der Nutzung von Biobanken verbundenen vielfältigen rechtsethischen und -politischen Aspekte, waren Anlass für den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, das TAB mit einer Untersuchung dieses Themas zu beauftragen.
Ergebnisse
Der Endbericht
- beinhaltet eine überblicksartige Bestandserhebung und Charakterisierung von Biobanken in Deutschland und diskutiert anhand ausgewählter internationaler Beispiele bisherige Erfahrungen mit großen Biobankprojekten;
- nimmt die Darstellung der unterschiedlichen Herangehens- und Nutzungsweisen von Biobanken als Ausgangspunkt für die Diskussion der wissenschaftlichen Bedeutung von Biobanken sowie die Einbindung in forschungs- und gesundheitspolitische Strategien und Fördermaßnahmen;
- analysiert die rechtlichen, politischen und ethischen Fragen im Zusammenhang von Aufbau und Betrieb von Biobanken in Deutschland (und Europa);
- gibt einen Ausblick auf Handlungsoptionen für die deutsche Politik und diskutiert diese im Blick auf allgemeinen gesellschaftlichen Klärungsbedarf.
Vielzahl und Vielfalt
Biobanken unterliegen in Deutschland keiner generellen Genehmigungspflicht und werden in Abhängigkeit von ihren grundsätzlichen Zielen unterschiedlich organisiert, verwaltet und finanziert. Ein Schwerpunkt liegt im Bereich der vom BMBF geförderten Kompetenznetze der Medizin (KN), in denen Forschungseinrichtungen, Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, Unternehmen und auch Patientenorganisationen zusammengeschlossen sind. Wie die Genomnetze beziehen sich auch die KN auf weit verbreitete und erhebliche Kosten verursachende Krankheiten. Die KN sollen eine Struktur bereitstellen, in der Forschungsergebnisse schneller und besser in die klinische Praxis umgesetzt und umgekehrt praxisrelevante Fragen in die Forschung getragen werden können. Derzeit werden insgesamt 17 KN zu neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen, zu Infektionskrankheiten, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und chronischen Entzündungen gefördert. Im Rahmen dieser Kompetenznetze werden jeweils spezielle Biobanken betrieben. Weitere bedeutende Biobanken in Deutschland sind die populationsgenetischen Biobanken popgen und Koragen sowie die Biobank der Blutspender des Blutspendedienstes des Bayerischen Roten Kreuzes.
In vielen Ländern werden Biobanken mit teilweise völlig unterschiedlichen Voraussetzungen und Intentionen, wissenschaftlichen oder politischen Zielsetzungen aufgebaut. Der Bericht beleuchtet drei Beispiele: Die Biobanken in Estland, Island und Großbritannien haben nicht nur wegen ihrer Größe internationale Aufmerksamkeit erhalten, sondern auch wegen der mit ihnen verbundenen konkreten nationalen wirtschafts- und gesundheitspolitischen Zielsetzungen.
Bedeutung für Forschungs- und Gesundheitspolitik
Die Heterogenität von Biobanken bedingt, dass übergreifende Einschätzungen der bisherigen und möglichen zukünftigen wissenschaftlichen Bedeutung von Biobanken kaum seriös erfolgen können. Die Konzentration des TAB-Berichts auf den stärker »genetisch orientierten« Typ folgt der wissenschaftlichen und forschungspolitischen Debatte der vergangenen Jahre. Innerhalb der »genetisch orientierten« Biobanken wird häufig zwischen krankheitsbezogenen und populationsbezogenen Biobanken unterschieden, wobei eine Trennlinie nicht scharf gezogen werden kann. Es wird angenommen, dass krankheitsbezogene Biobanken tendenziell klarer benennbare wissenschaftliche Erkenntnisfortschritte, aber »thematisch« begrenzt, erbringen können, während die populationsbezogenen den »großen«, aber eher unsicheren Erkenntniszuwachs bieten könnten. Insgesamt erscheint es plausibel, dass Biobanken durch das Zusammenführen klinischer Daten mit Informationen über genetische und nichtgenetische Expositionen helfen werden, die Entstehung von Erkrankungen besser zu verstehen. Die größte wissenschaftliche und auf lange Sicht auch medizinische Bedeutung dürften mögliche Erkenntnisfortschritte bei der Wirkungsweise der verschiedenen Genvarianten bzw. den von ihnen beeinflussten biochemischen, zellulären und physiologischen Vorgängen bei Gesundheit und Krankheit haben, woraus sich langfristig Ansatzpunkte für bessere Therapiestrategien ergeben können.
Rechtspolitische und rechtsethische Aspekte
Eine Frage an Politik und Gesellschaft lautet, ob die durch das bisherige Recht gestalteten Rahmenbedingungen ausreichen, um den Schutz der in Biobanken gespeicherten höchstpersönlichen Daten und zugleich ihre angemessene Nutzung zu gewährleisten. Im TAB-Bericht werden die aktuellen Rahmenbedingungen für die Gründung und den Betrieb von Biobanken für den deutschen Rechtsraum dargestellt, die Möglichkeiten sowie Vor- und Nachteile der jeweiligen Trägerschaft und Rechtsform erläutert sowie die grundlegenden rechtlichen und ethischen Anforderungen, die an den Betrieb und die Erhaltung von Biobanken zu stellen sind, benannt.
Eigentum, Nutzungsrechte, Einwilligung
Die Konsequenzen einer Übertragung des Eigentums an einer Probe auf eine Biobank sind juristisch nicht unumstritten. Es stellen sich Fragen nach Umfang und Reichweite einer Übertragung von Nutzungsrechten an den Proben/Daten vom Patienten/Probanden auf die Biobank. Zu unterscheiden ist dabei grundsätzlich zwischen dem Behandlungskontext, in dem die Entnahme von Biomaterialien zum unmittelbaren Nutzen des Patienten selbst geschieht, und dem Forschungskontext, in dem eine Entnahme von Proben für allgemeine Zwecke und allenfalls indirekt zum Nutzen des Spenders erfolgt. Zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Forschung mit personenbezogenen Daten zählen aufseiten der Forschenden die Freiheit von Forschung und Lehre und aufseiten der Patienten/Probanden das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die (mögliche) Kollision dieser Grundrechte kann durch eine Einwilligungserklärung aufgelöst werden. Damit die Nutzung der Biomaterialien auch aus datenschutzrechtlicher Sicht rechtskonform erfolgt, müssen die zentralen Punkte einer Einwilligung – Information des Betroffenen, Freiwilligkeit der Einwilligung und Einsichtsfähigkeit des Probanden – dauerhaft gewährleistet sein.
Daten- und Persönlichkeitsschutz
Der Umgang mit Proben in Biobanken betrifft stets die eigentliche Probe in ihrer physikalischen Form und die begleitenden Daten. Es liegen personenbeziehbare Informationen vor, die noch nicht umschrieben und hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Verwendung wie datenschutzrechtlicher Gefahrenpotenziale nicht exakt zu beurteilen sind. Darüber hinaus kann deren zukünftige Verwendung bei Biobanken i.d.R. weder hinsichtlich konkreter Forschungsvorhaben und methodischer Vorgehensweisen noch der exakten Festlegung der Personen, die zukünftig mit der Probe arbeiten, antizipiert werden.
Die rechtliche und ethische Beurteilung des Einsatzes von Biobanken fokussiert dementsprechend darauf, ob diese spezifischen und neuartigen Gefährdungen des Persönlichkeitsschutzes bzw. das Risiko der Diskriminierung mit sich bringen könnten, beispielsweise wenn mit den aus genetischen oder Proteinuntersuchungen gezogenen Daten Informationen über die Lebensführung verknüpft werden sollen. Dann könnte sich eine Situation ergeben, dass in einem Datenpool die verschiedenartigsten Daten zu einem mehr oder weniger umfassenden Bild eines Einzelnen oder einer Gruppe zusammengefasst und die Firewalls, die sonst zwischen den einzelnen Datenarten und ihrer Übermittlung an Dritte existieren, zum Teil umgangen werden. Problembehaftet könnte auch die Situation bei Verwendung der Daten durch Dritte (z.B. Arbeitgeber, Versicherungen, Krankenkassen, Staat) sein.
Gemeinwohlorientierung
Im Kontext des Umgangs mit menschlichen Biomaterialien und -daten wird oft argumentiert, dass diese auch ein öffentliches Gut darstellen, dessen Wahrung und Schutz dem Staat als Verpflichtung aufgegeben sei, woraus entsprechende Zielsetzungen und Aufgaben im Sinne eines Gemeinwohls resultieren. Da von der Bevölkerung erwartet wird, dass sie Proben und Daten spendet, sollten z.B. auch mögliche Vorteile und Nutzen für die Spender in die Diskussion einbezogen werden. Dies gilt zum Beispiel für die Rückmeldung von Ergebnissen der Forschung an die Spender. Zum einen resultiert ein solch berechtigtes Interesse aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, d.h. wissen zu dürfen, welche Informationen zum Beispiel gesundheits- bzw. krankheitsbezogen vom einzelnen Spender genutzt werden könnten. In der Regel wird sich ein solch unmittelbarer Nutzen aber erst nach vielen Jahren der Forschung und der Erprobung der Ergebnisse dieser Forschung einstellen. Generell unverzichtbar ist die Aufklärung der Patienten/Probanden über kommerzielle Verwendungsabsichten. Von Bedeutung bzw. notwendig ist zudem die Gewährung eines allgemeinen und nicht exklusiven Zugangs zu den in den unterschiedlichen Biobanken gesammelten Materialien und Daten.
Handlungsoptionen
Eine grundsätzliche Handlungssicherheit im Kontext von Biobanken sowie im institutionellen Umgang mit ihnen ist für alle Beteiligten von wesentlicher Bedeutung. Diesbezüglich können einige generelle Maßnahmen genannt werden, insbesondere:
- Standards zur technischen Sicherheit von Biobanken; Qualitätsprüfung und Durchführung eines kontinuierlichen Monitorings;
- Erfassung aller Biobanken und Ausweis der Qualitätsprüfung in einem zentralen, öffentlich zugänglichen Biobankenregister;
- verpflichtende Lizenzierung bzw. Akkreditierung von Biobanken;
- Festlegung und unbedingte Beachtung des Persönlichkeitsschutzes sowie der Notwendigkeiten des Datenschutzes.
Zur Erreichung der angesprochenen Ziele bzw. zur Umsetzung dieser Maßnahmen könnte die Einrichtung einer zentralen Regulierungsinstitution in Betracht gezogen werden, ggf. auch unter Bestellung eines »nationalen Beauftragten für Biobanken«. Da es bisher keine (generalisierte) Anlaufstelle für Patienten bzw. Probenspender gibt, bei der diese Informationen oder Beratung über den Gebrauch (oder Missbrauch) ihrer Proben/Daten erhalten können, wäre zudem für Biobanken an einen Beauftragten für Probandenschutz/Patientenschutz zu denken. Dies könnte entweder durch die Etablierung einer zentralen Beratungsstelle oder als lokales »Ombudsmodell« in den Kliniken bzw. (angeschlossenen) Biobanken erfolgen.
Unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes bedarf es der gesetzlichen Regelung, wie Biobanken in Deutschland aufgebaut werden sollten und welche rechtlichen Anforderungen sie erfüllen müssen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht gehören hierzu insbesondere eine verbindliche Vorgabe von Datenschutzleitlinien, ein gesetzliches Verbot einer unberechtigten Depseudonymisierung, ein angemessener Offenbarungsschutz, ein Beschlagnahmeschutz im Strafverfahren sowie ein Zeugnisverweigerungsrecht der Forschenden.
National und international besteht weitgehend Konsens, dass die Zustimmung in die Erhebung und Speicherung von biomedizinischen Proben und Daten im Kontext von Biobanken seitens der Probanden/Patienten nur in Form einer informierten Einwilligung erfolgen kann. Bisher ist allerdings nicht eindeutig geklärt, wie dies in der Praxis zu realisieren wäre. So scheint die Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der Betroffenen mit einer einmaligen Einwilligungserklärung zum Zeitpunkt der Proben- und Datenerhebung bzw. zum Beginn des Aufbaus einer Biobank nach bisher in Deutschland üblichen datenschutzrechtlichen Maßstäben noch nicht in allen Fällen ausreichend zu sein.
Nach Ansicht des Nationalen Ethikrates und der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern wäre ein allgemeines Forschungsgeheimnis im Bereich der biomedizinischen Forschung wünschenswert, da in diesem Fall Forschende einer speziellen strafrechtlich relevanten Schweigepflicht bezüglich personenbezogener Daten unterlägen und eine Kenntnisnahme personenbezogener Daten durch Dritte (z.B. Behörden) rechtlich ausgeschlossen wäre. Zugleich könnte ein Forschungsgeheimnis für Forschende auch die Möglichkeiten zur sicheren Verarbeitung sensitiver Daten erweitern.
Die wesentlichen Aspekte des Einsatzes von Biobanken für die humanmedizinische Forschung und Anwendung könnten ggf. im Rahmen eines »Nationalen Biobankgesetzes« geregelt werden, das u.a. rechtliche Vorgaben macht zu Definition von Biobanken, Verfahrensregelungen für Insolvenzfälle, Zuständigkeitsregelungen für Ethikkommissionen und zur Nutzung von im Behandlungszusammenhang gewonnenen Proben zu Forschungszwecken.
Ausblick
In der Gesamtschau zeigt sich, dass die Verwendung von menschlichen Biomaterialien (zu Forschungszwecken) im Kontext von Biobanken nicht frei von Problemen ist. In der Praxis werden entsprechende Rechtsfragen zum Teil erst ansatzweise erfasst, und es ist zu erwarten, dass sich diesbezüglich auch die relevante rechtswissenschaftliche und rechtsethische Diskussion der Nutzung von menschlichen Biomaterialien künftig detaillierter und intensiver widmen wird.
Wesentliche Ziele der exemplarisch genannten Handlungsoptionen lägen darin, insbesondere den Schutz von Persönlichkeitsrechten der Probanden und Patienten, die ihre Proben, Daten und weitere Informationen zur Verfügung stellen, zu erhöhen. Darüber hinaus könnte das Potenzial des Forschungs- und Wirtschaftsfeldes Biobanken in kontrollierter, qualitätsgesicherter und ökonomisch nutzbringender Weise erschlossen sowie letztlich auch der Forschungsstandort Deutschland auf diesem Feld gestärkt werden.
Publikationen
Revermann, C.; Sauter, A.
2007. edition sigma
Revermann, C.; Sauter, A.
2006. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137986
Revermann, C.; Sauter, A.
2006. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103526