"TA im Dialog" am Weltmalariatag
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Yvonne Magwas eröffnete die Veranstaltung im Foyer des Paul-Löbe-Hauses. Sie verwies angesichts von ca. 600.000 Menschen, vor allem kleinen Kindern, die jährlich an Malaria sterben, auf die globale Dimension der Krankheit und ihrer Bekämpfung. Zugleich müsse die Verpflichtung der Länder des globalen Nordens im Rahmen der Agenda 2030, ihre wissenschaftlichen Ressourcen zu nutzen, um Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung zu entwickeln und bereitzustellen, wieder stärker in den Fokus rücken.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (ABFTA), Kai Gehring, betonte, dass parlamentarische Technikfolgen-Abschätzungen, also die Befassung mit technologischen Entwicklungen und den damit verbundenen Chancen und Herausforderungen sowie deren situativen Nutzenabwägungen, vielschichtig und komplex sind. TAB-Berichte wie der zur Arzneimittelentwicklung zu armutsassoziierten vernachlässigten Krankheiten bildeten eine solide Wissensbasis nicht nur für politische Entscheidungsträger und seien ein Beleg für eine evidenzbasierte Politikberatung auf der Höhe der Zeit und der wissenschaftlichen Erkenntnis. Mit dem neuen Veranstaltungsformat "TA im Dialog" werde die zusätzliche Möglichkeit eröffnet, aktuelle Forschung und technologische Entwicklungen zeitnah aufzugreifen und auch unterschiedliche technologische Ansätze vergleichend zu diskutieren. In der Auftaktveranstaltung solle neben dem derzeitigen Stand der Malariaimpfstoffentwicklung auch eine Einordnung der Gene-Drive-Technologie und ihrer Potenziale zur Malariamückenbekämpfung vorgenommen werden.
Einführend blickte die TAB-Projektleiterin Dr. Katrin Gerlinger zurück auf 60 Jahre Malariabekämpfung. Diese habe seit jeher zwei Stoßrichtungen: Eine sei die Vermeidung und Behandlung der Infektionskrankheit, die andere die Bekämpfung der Malariamücken. Zur Nutzenbewertung jeder diesbezüglichen Maßnahme gab und gebe es unterschiedliche Positionen, die im Zeitverlauf immer wieder angepasst wurden. Da es mit den derzeit verfügbaren Mitteln nicht gelinge, die hohen Krankheitslasten in Subsahara-Afrika substanziell zu senken, würden mit neuen biotechnologischen Ansätzen zur Malariabekämpfung stets neue Hoffnungen verbunden.
Um Potenziale und Herausforderungen aktueller Ansätze zu diskutieren, hatte das TAB mit Prof. Dr. Francine Ntoumi, einer herausragenden afrikanischen Malariaexpertin, Prof. Dr. Benjamin Mordmüller, einem der renommiertesten deutschen Malariaimpfstoffforscher, Dr. Volker Öppling, der die diesbezügliche Studien- und Impfstoffzulassung am Paul-Ehrlich-Institut leitet, sowie Prof. Dr. Ernst Wimmer, der als Mikrobiologe an neuartigen Ansätzen zur Schädlingsbekämpfung forscht, ausgewiesene Fachexpertise aufs Podium geholt. Leider fiel die für Gene-Drive-Ansätze zuständige Fachgebietsleiterin beim Bundesamt für Naturschutz, Dr. Margret Engelhard kurzfristig aus.
Nach thematischen Kurzeinführungen moderierte Dr. Marc Bovenschulte vom TAB-Konsortialpartner VDI/VDE-IT eine lebendige Fachdiskussion, in der u. a. die Hintergründe für die langen Entwicklungszeiträume bei Malariaimpfstoffen hinterfragt, die Akzeptanz einer Impfung mit begrenzter Wirksamkeit angesprochen und die Potenziale sowie Herausforderungen der Gene-Drive-Technologie diskutiert wurden.
Ende 2021 empfahl die WHO erstmals einen Malariaimpfstoff für Kleinkinder, der innerhalb von zwei Jahren viermal verabreicht werden muss, um die Zahl der schweren Infektionen und der Todesfälle um 30 % zu senken. Volker Öppling betonte, dass trotz der begrenzten Wirksamkeit Kinderleben gerettet werden können. Francine Ntoumi wies darauf hin, dass es jetzt wichtiger sei, die Impfung in kluge Informationskampagnen einzubetten, als die Impfung möglichst schnell massenhaft zu verabreichen. Die Mütter müssten darauf hingewiesen werden, dass die Impfung keine anderen Schutzmaßnahmen, wie die Verwendung von Bettnetzen oder das schnelle Testen und Behandeln, ersetzen kann. Auch das brauche Zeit, mit schnellen Erfolgen sei kaum zu rechnen. Auf die Frage, wann der nächste Durchbruch in Sachen Impfstoff zu erwarten sei, sagte Benjamin Mordmüller, dass es unterschiedliche Ansätze gebe und derzeit zwei davon „nahezu in Covid-Manier durchexerziert werden“. Er schloss sich der Meinung an, dass der Kampf gegen Malaria nur Erfolg haben könne, wenn verschiedene Maßnahmen kombiniert würden.
Bezüglich der Gene-Drive-Technologie dominierte die Einschätzung, dass diese derzeit mehr Vision als Wirklichkeit sei. Noch sei unklar, ob malariaverursachende Mückenpopulationen mit derartigen Ansätzen überhaupt maßgeblich dezimiert oder gänzlich ausgerottet werden könnten. Die größten Bedenken gebe es in Bezug auf die Rückholbarkeit veränderter Mücken, wie auch ein Statement aus dem Auditorium zeigte. Da derartige Risiken nicht auszuschließen seien, brauche es zweifellos Regularien. Ernst Wimmer formulierte aber eher Bedenken, dass Gene-Drive-Ansätze technisch nicht funktionierten, als dass sie nicht kontrollierbar seien.
Auf die Frage, welche politischen Beiträge hilfreich sein könnten, wurde insbesondere die Forschungsförderung angesprochen. Man wünsche sich vereinfachte Antragsverfahren. Professor Mordmüller investiert derzeit ca. 70 % seiner Arbeitszeit in das Formulieren von Förderanträgen und nicht in die Entwicklung neuer Impfstoffe.
Nach der lebendig geführten Podiumsdiskussion vor Ort war sich das Veranstaltungsteam einig, dass das neue Veranstaltungsformat "TA im Dialog" eine informative Ergänzung zu laufenden und abgeschlossenen TA-Projekten darstellt und durch die Übertragung im Parlamentsfernsehen und die Beteiligungsmöglichkeit via Internet neue Zugänge für Abgeordnete und Mitarbeitende des Bundestags ebenso wie für die interessierte Öffentlichkeit bietet. Selbstverständlich können dabei komplexe biotechnologische Prozesse, unterschiedliche Ansätze zum Ausbau von internationalen Forschungskooperationen oder zur Veränderung von Finanzierungsmechanismen nicht in der Tiefe dargestellt und diskutiert werden. Für eine umfassende Meinungsbildung bleiben daher aus Sicht des TAB die ausführlichen Analysen in Form von TA-Studien unerlässlich. Die Veranstaltung hat auch gezeigt, dass der TAB-Bericht zur Arzneimittelentwicklung gegen armutsassoziierte vernachlässigte Krankheiten an Relevanz und Aktualität wenig verloren hat, weil die dort beschriebenen gesellschaftlichen Herausforderungen und Lösungsansätze im Kampf gegen Malaria detailreich, umfassend und vorausschauend beschrieben sind. Und auch was Gene Drives angeht: Die Chancen und Risiken von Technologien zur Verbreitung genetischer Veränderungen in Populationen werden im derzeit laufenden TAB-Projekt bei weitem umfassender behandelt, als dies in 90 Minuten möglich war.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „TA im Dialog“ möchte das TAB gemeinsam mit dem ABFTA auch in Zukunft aktuelle Forschung und technologische Entwicklungen aufgreifen und im Foyer des Paul-Löbe-Hauses diskutieren, um den Austausch von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft zu stärken.
2. Mai 2022Weitere Informationen und Mitschnitt
- Veranstaltungsseite TA im Dialog: Impfungen und Gene Drives gegen Malaria