Genome Editing am Menschen
- Projektteam:
Steffen Albrecht (Projektleitung), Arnold Sauter,
Harald König (KIT/ITAS) - Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
Monitoring
- Starttermin:
2017
- Endtermin:
2021
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Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Die jüngste Generation gentechnischer Verfahren, das sogenannte Genome Editing (mit Methoden wie CRISPR-Cas9), hat aufgrund ihrer einfachen und vielfältigen Anwendbarkeit seit einigen Jahren einen Forschungs- und Entwicklungsboom sowohl in der Pflanzen- und Tierzucht als auch in der Humanmedizin ausgelöst. Viele Forschende erwarten durch das zielgenaue Einsetzen von Genen und die nun möglich werdende Modifikation endogener (zelleigener) Gene eine relevante Verminderung unerwarteter und unerwünschter Nebeneffekte sowie Lösungen für niedrige Effizienzen mancher Ansätze, die im Bereich der somatischen (d. h. auf Körperzellen gerichteten und nicht die Vererbung beeinflussenden) Gentherapie die Entwicklung bislang gebremst haben. Insbesondere über die Möglichkeit, zelleigene Gensequenzen zu verändern, wird eine Erweiterung genbasierter Therapiemöglichkeiten auf bisher nicht adressierbare Erbkrankheiten erwartet. Auch eine Keimbahnintervention, also ein dauerhafter, vererbbarer Eingriff in das menschliche Genom, ist durch Genome Editing erstmals möglich geworden. Im Herbst 2018 verkündete ein chinesischer Wissenschaftler die Geburt von Zwillingen, deren Genom bei der künstlichen Befruchtung gezielt verändert worden war. Dies löste eine intensive ethische, (wissenschafts)politische und auch öffentliche/mediale Debatte aus, die weit über den - von einem Gericht in China inzwischen als unethisch und illegal eingestuften - Fall hinausgeht und den zukünftigen Umgang mit der Möglichkeit von Keimbahneingriffen insgesamt thematisiert.
Ziel des Monitoringprojekts des TAB war eine interdisziplinäre Darstellung des aktuellen Sachstands zu den Anwendungsbereichen möglicher Keimbahntherapien sowie der somatischen Gentherapie mithilfe von Genome-Editing-Verfahren. Während bei der Keimbahntherapie eine Analyse des bisherigen und laufenden ethischen und rechtlichen, fachwissenschaftlichen und öffentlichen Diskurses im Vordergrund stand, sollte bei der somatischen Gentherapie vor allem der naturwissenschaftlich-medizinische Sachstand erhoben werden. In der Studie wurden auch parallele Untersuchungen zu unterschiedlichen Aspekten des Themas berücksichtigt, die von Ethikräten auf nationaler wie europäischer Ebene, im Rahmen der Förderprogramme des BMBF zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der Genomeditierung, durch wissenschaftliche Akademien sowie von TA-Institutionen im Ausland durchgeführt wurden. Um die Abgeordneten möglichst zeitnah zu informieren, wurde im Frühjahr 2018 im Deutschen Bundestag ein Fachgespräch zu den Zwischenergebnissen der Untersuchung durchgeführt.
Zentrale Ergebnisse
Keimbahneingriffe
Die Möglichkeit, das Genom eines Menschen bereits in Keimzellen oder befruchteten Eizellen zu verändern, wird in Wissenschaft und Öffentlichkeit besonders stark diskutiert. Die bis dahin theoretische Debatte über die medizinischen, rechtlichen und ethischen Implikationen von Keimbahneingriffen flammte erneut auf, als 2015 die Ergebnisse erster Laborexperimente an ganz frühen (einzelligen) Embryonen veröffentlicht wurden. Weltweit nahezu einhellig verurteilt wurde ein noch weiter gehender Versuch in China im Jahr 2018, der zur Geburt von Zwillingen führte. Die Kinder sollten durch einen Keimbahneingriff vor HIV-Infektionen geschützt werden. Allerdings stehen die Verhältnismäßigkeit und der Erfolg des Eingriffs infrage, zudem waren bei diesem Versuch eine Vielzahl ethischer Grundsätze und offenbar auch Gesetze verletzt worden.
Mehrere Ethikräte, darunter der Deutsche Ethikrat sowie der britische Nuffield Council on Bioethics, sehen zwar die Voraussetzungen für die Durchführung von Keimbahneingriffen bisher nicht als gegeben an. Sie sprechen sich jedoch nicht prinzipiell gegen Keimbahneingriffe aus. Allerdings ist die Zahl realistischer Anwendungsszenarien sehr gering und die Ungewissheit bezüglich ihrer Realisierungsmöglichkeiten groß. Falls in Deutschland Forschung angegangen werden sollte, die den Weg zu Keimbahneingriffen weisen könnte, müsste zunächst das gesetzliche Verbot von Experimenten an Embryonen geändert werden. Einem solchen Schritt müssten eine breite gesellschaftliche Debatte und Meinungsbildung vorausgehen. Auf der internationalen Ebene könnte auf Vereinbarungen hingewirkt werden, die Forschung zu Keimbahneingriffen durch kompetente Institutionen zu beobachten und begleiten und bis zur Erfüllung der Anforderungen hinsichtlich der medizinischen Sicherheit, der ethischen Vertretbarkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz keine klinischen Versuche durchzuführen.
Somatische Gentherapie mittels Genome Editing
Bei der somatischen Gentherapie wird die Anwendung von Genome-Editing-Verfahren bisher vor allem in Fachkreisen diskutiert. Erste klinische Studien beispielsweise zur Therapie monogener Erkrankungen oder bestimmter Krebsarten wurden bereits gestartet, in Deutschland wird eine Patientin mit β-Thalassämie behandelt. Mit Genome Editing sollen durch den zielgenaueren Einbau von Genen ins Genom die Therapien effizienter und sicherer werden. Außerdem ergeben sich neue Anwendungsmöglichkeiten bei Erkrankungen, die sich mit bisherigen Gentherapien nicht behandeln lassen (z. B. Huntington-Krankheit oder Leber'sche kongenitale Amaurose Typ 10, die häufigste Form vererbbarer Erblindung). Weiterhin stellt allerdings der (in)effiziente Gentransfer eine Herausforderung dar, zudem kann es bei den Genome-Editing-Ansätzen zu unbeabsichtigten, potenziell folgenschweren Schäden im Genom (Off- bzw. On-Target-Effekte) und zu Immunreaktionen gegen die (aus Bakterien stammenden) Editingwerkzeuge kommen. Neben diesen Fragen der Sicherheit der Anwendung stellt sich die Frage des gerechten Zugangs zu den voraussichtlich weiterhin hochpreisigen Gentherapien.
Politische Handlungsoptionen bestehen in Bezug auf gentherapeutische Anwendungen des Genome Editings darin, entsprechende Forschung und Entwicklung (FuE) mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Neben direkter Forschungsförderung kann dies etwa durch Steuervorteile für FuE-Investitionen sowie Mega-Fonds-Modelle zur Finanzierung risikoreicher, aber möglicherweise hochprofitabler Vorhaben geschehen. Mit Blick auf die hohen Kosten der Therapien ließen sich bestehende Erstattungsmodelle durch erfolgsabhängige Modelle ergänzen und die Wirkung von Innovationsanreizen auf die Arzneimittelentwicklung für seltene Erkrankungen genauer untersuchen.
Publikationen
Albrecht, S.; König, H.; Sauter, A.
2021. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000141083
Albrecht, S.; König, H.; Sauter, A.
2021, September. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)
Albrecht, S.; König, H.; Sauter, A.
2021, September. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)
Im Bundestag
- Vorgang - Bericht, Gutachten, Programm im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien (DIP)