Auf dem Weg zu einem möglichen Kernfusionskraftwerk – Wissenslücken und Forschungsbedarfe aus Sicht der Technikfolgenabschätzung
- Projektteam:
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
- Starttermin:
2023
- Endtermin:
2024
Die TA-Kompakt-Studie wurde vom Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 4. Dezember 2024 abgenommen und am 9. Januar als TA-Kompakt Nr. 1 veröffentlicht.
In Kürze
- Beim gezielten Verschmelzen von Atomkernen, der Kernfusion, werden große Mengen an Energie freigesetzt. Diese Energie nutzbar zu machen, ist seit jeher das Ziel der Fusionsforschung. In jüngster Zeit erzielte Fortschritte geben Anlass zu der Hoffnung, dass die technische Realisierbarkeit eines Energie liefernden Fusionsplasmas in Kürze bevorstehen könnte.
- Allerdings ist der Weg zur Stromerzeugung in möglichen kommerziellen Kernfusionskraftwerken noch weit und jahrzehntelange Anstrengungen in der Grundlagen- und angewandten Forschung wie auch bei ingenieurstechnischen Entwicklungsleistungen sind hierfür notwendig.
- Damit um die Mitte des Jahrhunderts kommerzielle Fusionskraftwerke ans Netz gehen können, ist die wissenschaftliche-technische Machbarkeit der Energiegewinnung aus kontrollierter Kernfusion eine notwendige, aber beileibe keine hinreichende Bedingung.
- Aus Perspektive der Technikfolgenabschätzung stellen sich grundlegende Fragen, von deren Beantwortung der Erfolg oder Misserfolg der Fusionstechnologie entscheidend abhängt.
- Dies betrifft vor allem Fragen der Wirtschaftlichkeit, die Integration in ein von erneuerbaren Energien geprägtes Energiesystem, Umwelteigenschaften (z.B. Beitrag zum Klimaschutz, Ressourcenbedarfe und radioaktives Inventar, Emissionen und Abfälle), aber auch Themen der sozialen Nachhaltigkeit etwa Verteilungs- und Akzeptanzfragen. Darüber hinaus bestehen auch Fragen hinsichtlich Dual-use und der Weiterverbreitung von Kernwaffen.
Zwölf Fragen – zwölf Antworten
Vor dem Hintergrund der seit 2023 erneut intensivierten Debatte über mögliche kommerzielle Fusionskraftwerke wird in dieser TA-Kompakt-Studie die Frage erörtert, welche Herausforderungen für den Bau und den Betrieb solcher zukünftigen Kraftwerke noch zu meistern sind und welche Eigenschaften Fusionskraftwerke voraussichtlich aufweisen werden.
Welche Materialien eignen sich zum Bau von Fusionskraftwerken?
- Diejenigen Komponenten eines Fusionskraftwerks, die dem Plasma zugewandt sind, müssen extremen Bedingungen widerstehen, vergleichbar denen auf der Sonnenoberfläche.
- Der intensive Beschuss mit Fusionsneutronen kann Materialien schädigen und radioaktiv werden lassen.
- In der Kombination stellen die zu erfüllenden Kriterien eine enorme Herausforderung für die Materialentwicklung dar.
- Um widerstandsfähige Materialien zu entwickeln und zu testen, sind Bestrahlungstests unabdingbar. Die hierfür geplante Versuchsanlage (IFMIF-DONES) ist dringend erforderlich.
Wie werden Fusionskraftwerke mit dem Brennstoff Tritium versorgt?
- Weltweit steht nur eine sehr begrenzte Menge an Tritium für zivile Zwecke zur Verfügung. Für den Betrieb von ITER reicht sie aus. Aber bereits für DEMO ist dies mit Stand von heute nicht gewiss.
- Für zusätzliche Anlagen, die Tritium verbrauchen, steht sehr wahrscheinlich kein Tritium zur Verfügung.
- Zusätzliche Tritiumquellen zu erschließen, ist schwierig und benötigt einen Vorlauf von mindestens 10 Jahren.
- Fusionskraftwerke müssen im Betrieb mehr Tritium durch sogenanntes Brüten erzeugen, als sie verbrauchen. Die dafür nötigen Technologien sind kaum entwickelt und erprobt.
- Die Frage, ob eine Selbstversorgung von Kraftwerken mit Tritium technisch überhaupt möglich ist, sollte prioritär beantwortet werden.
- Das aktuell vorgesehene Testprogramm reicht nicht aus, um die Tritiumselbstversorgung von DEMO zu erproben.
Werden privat finanzierte Start-ups deutlich schneller bei der Entwicklung von Fusionskraftwerken sein als öffentlich geförderte Vorhaben?
- Eine Vielzahl an privat finanzierten Start-ups hat begonnen, alternative Ansätze für die Kernfusion zu erproben und damit den Weg zu einem Fusionskraftwerk zu ebnen.
- Start-ups versprechen häufig, in 8 bis 10 Jahren Fusionsstrom ins Netz einspeisen zu können.
- Zentrale technische Herausforderungen werden dabei allerdings oft ausgeblendet.
Wie wirtschaftlich kann Strom aus Kernfusion werden?
- Konkrete Prognosen zu den Kosten der Erzeugung von Fusionsstrom können derzeit nur spekulativ sein.
- Fusionskraftwerke werden einen hohen Investitionsbedarf und lange Kapitalbindung aufweisen.
- Die Komplexität von Fusionskraftwerken dürfte dazu führen, dass Kostensenkungen durch Lerneffekte eher klein ausfallen werden.
- Investitionen in Fusionskraftwerke werden in liberalisierten Energiemärkten schwer zu realisieren sein, wenn das damit verbundene unternehmerische Risiko nicht durch die öffentliche Hand abgemildert wird.
- Anforderungen des Netzbetriebs und der Strommärkte stellen für die ersten Fusionskraftwerke voraussichtlich sehr hohe Hürden dar.
Welche Rolle könnten Fusionskraftwerke in einem von erneuerbaren Energien geprägten Stromsystem spielen?
- Um die fluktuierende Einspeisung von Solar- und Windstrom auszugleichen, sind schnell regelbare Kraftwerke mit niedrigen Investitionskosten erforderlich.
- Fusionskraftwerke können diese Aufgabe absehbar nicht erfüllen.
- Als Pilotmärkte für Fusionsenergie könnten sich Anwendungen wie Meerwasserentsalzung, industrielle Prozesswärme oder Wasserstoffherstellung ggf. besser als der Stromsektor eignen.
Könnten Fusionskraftwerke helfen, die Energiearmut in Entwicklungsländern zu bekämpfen?
Sind kleine Reaktoren besser als große?
- Kleine Reaktoren versprechen Vorteile, wie einen deutlich geringeren Investitionsbedarf sowie eine mögliche Kostenreduktion durch Serienfertigung.
- Voraussetzungen für die Realisierung dieser Vorteile ist der verlässliche Absatz von größeren Stückzahlen.
- Ob kleine Fusionskraftwerke technisch machbar sein werden, ist ungeklärt.
Welchen Beitrag können Fusionskraftwerke zum Klimaschutz leisten?
Stehen benötigte Rohstoffe in ausreichender Menge zur Verfügung?
- Für Fusionskraftwerke werden hochspezialisierte Struktur- und Funktionsmaterialien benötigt. Die Beispiele Helium, Beryllium und Lithium illustrieren unterschiedliche mögliche Engpässe:
- Helium als Nebenprodukt der Erdgasförderung könnte sich bei zurückgehender Erdgasförderung verknappen.
- Beryllium steht für ein breit angelegtes Fusionsausbauprogramm nicht in ausreichender Menge zur Verfügung.
- Lithium ist zwar in genügender Menge verfügbar, allerdings könnten sich die fehlenden Produktionskapazitäten für das benötigte Isotop Li-6 als bedeutendes Hindernis erweisen.
Entstehen radioaktive Abfälle?
- Es wird angestrebt, dass beim Betrieb von Fusionskraftwerken keine langlebigen und hochradioaktiven Abfälle entstehen.
- Ob dieses Ziel erreicht werden kann, hängt davon ab, welche Fortschritte bei der Materialentwicklung in den nächsten Jahren erzielt werden.
- Anders als bei der Kernspaltung entstehen bei der Fusionstechnologie keine langlebigen, hochradioaktiven Abfälle aus abgebrannten Kernbrennstoffen.
- Es besteht Bedarf an einer vorausschauenden und umfassenden Strategie für die Vermeidung und für die Entsorgung radioaktiver Abfälle.
Welche Risiken bestehen hinsichtlich der Weiterverbreitung von Kernwaffenmaterialien und Know-how?
- Tritium ist als Sprengkraftverstärker ein Bestandteil fortgeschrittener Kernwaffendesigns.
- Um zuverlässig zu verhindern, dass militärisch relevante Mengen Tritium aus Fusionskraftwerken abgezweigt werden, ist ein äußerst hoher apparativer und administrativer Aufwand erforderlich.
- Die Erbrütung von waffenfähigem Plutonium in einer für Sprengköpfe ausreichenden Menge ist in Fusionskraftwerken technisch möglich.
- Die hierfür notwendigen Umrüstungen (etwa die Installation von uranhaltigen Brutblankets) sind leicht detektierbar. Voraussetzung ist, dass Überprüfungsmaßnahmen entwickelt und international umgesetzt werden.
- Experimentelle Einrichtungen der Laser-/Trägheitsfusion und der dazu entwickelten Simulationsmethoden sind geeignet, Know-how für die Entwicklung von Kernwaffen zu generieren.
- Nichtkernwaffenstaaten könnten auf diese Weise versuchen, die Einschränkung zur Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Kernwaffen durch den umfassenden Teststoppverbotsvertrag zu umgehen.
Wie könnte eine international verbindliche Regulierung aussehen?
- Es wird derzeit eine intensive Fachdebatte darüber geführt, welcher der verschiedenen international existierenden Regulierungsansätze für zukünftige Fusionskraftwerke sinnvoll und angemessen ist.
- Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass eine transnationale gemeinsame Regulierung von Fusionskraftwerken erreicht werden kann. Denkbar ist hingegen, gemeinsame Schutzniveaus zu definieren.
Methodisches Vorgehen
Methodisch stützt sich die vorliegende Studie auf eine Auswertung der wissenschaftlichen Fachliteratur sowie auf explorative Interviews mit zehn Expertinnen und Experten, die im Zeitraum von November 2023 bis Februar 2024 durchgeführt wurden.
Da für die Erstellung dieser TA-Kompakt-Studie nur eine Bearbeitungszeit von 10 Arbeitswochen zur Verfügung stand, konnten nicht alle Themenbereiche umfassend analysiert, sondern teilweise nur schlaglichtartig beleuchtet und skizzenhaft dargestellt werden.
In den Medien
-
faz.net(+) (12.01.2025), TAB-Studie zur Kernfusion: Wann kommen die ersten Fusionskraftwerke?
-
elperiodicodelaenergia.com (11.01.2025), La fusión nuclear no puede equilibrar la fluctuación de las energías renovables.
-
fr.de (11.01.2025), CDU-Flirt mit der Kernenergie: Merz-Vorschläge für die gepriesene Kernfusion von Experten zerlegt.
-
taz.de (10.01.2025), Energieerzeugung: Noch viele Hürden für Fusionskraftwerke.
-
edison.media (10.01.2025), Energieerzeugung: Noch viele Hürden für Fusionskraftwerke.
-
deutschlandfunk.de (09.01.2025), Der lange Weg zum Kraftwerk: Neuer Bericht bremst Erwartungen an die Kernfusion.
-
nzz.ch(+) (09.01.2025), Studie aus Deutschland: Strom aus Fusionskraftwerken verträgt sich schlecht mit Erneuerbaren.
-
energate-messenger.ch(+) (09.01.2025), Studie: Noch viele Hürden für Fusionskraftwerke.
-
zeit.de(+) (09.01.2025), Energieversorgung: Kernfusion in Deutschland? Zu teuer, zu kompliziert, zu spät. Die Kernfusion löst bald unser Energieproblem, klimaneutral und günstig: Damit werben FDP und Union im Wahlkampf. Ein Expertenbericht ordnet die Technik realistisch ein.
- stern.de(+) (09.01.2025), Fusionsenergie: Sonnenfeuer soll Deutschlands Energieprobleme lösen. Kann das klappen? Werden Kernfusionskraftwerke uns bald gigantische Mengen Energie liefern oder ist die Technik zu teuer und kommt zu spät? Ein neuer Bericht gibt Antworten.
- focus.de (09.01.2025), "Eher ein Lückenfüller". Warum selbst die Kernfusion keine Chance gegen Solar und Wind hat.
- sciencemediacenter.de (09.01.2025), Kernfusionskraftwerke: Herausforderungen und Einsatzmöglichkeiten. Expert/innen-Statements zur Einordnung der Kompakt-Studie des TAB.