Neue Materialien zur Energieeinsparung und zur Energieumwandlung
- Projektteam:
Torsten Fleischer (Projektleitung), Dagmar Oertel
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Analyseansatz:
TA-Projekt
- Starttermin:
1998
- Endtermin:
1999
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Die Entwicklung, Herstellung und Verarbeitung von neuen Werkstoffen/Materialien für innovative Anwendungen hat herausragende Bedeutung für viele Technologiefelder und Wirtschaftsbranchen. Neue Werkstoffe bilden die Grundlage für Weiterentwicklungen in praktisch allen wichtigen Technologiebereichen. Die künftige wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland steht in engem Zusammenhang mit Innovationen im Werkstoffbereich. Zudem hat die Entwicklung neuer Werkstoffe und der zugehörigen Produktions- und Verarbeitungstechniken auch erhebliche ökologische Auswirkungen (Schadstoffminderung, Ressourcenschonung, etc.).
Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung
Auf Anregung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sollten Stand, Aussichten, Chancen und Risiken der Entwicklung und des Einsatzes neuer Materialien für die Energieeinsparung und -umwandlung untersucht werden. Als Schwerpunkt wurden Materialien für Solarzellen, supraleitende Materialien und Hochtemperaturwerkstoffe für Gasturbinen gewählt. Da die verfügbaren bzw. zu entwickelnden Fertigungstechniken für die Realisierung von anwendungsreifen Lösungen von erheblicher, manchmal sogar entscheidender Bedeutung sind, wurde die Betrachtung nicht auf die einzusetzenden Materialien beschränkt.
Ergebnisse
Der heutige Kenntnisstand der Werkstoffentwicklung erlaubt zunehmend eine maßgeschneiderte Herstellung oder Verbesserung von Werkstoffen. Hierbei bestimmen nicht länger die Eigenschaften des Werkstoffes seine Nutzung, vielmehr werden aus den gewünschten Funktionen von Systemen oder Produkten Zielvorgaben für den Entwicklungsprozess abgeleitet. Auf der Basis der Definition einer angestrebten technologischen Dienstleistung wird ein Nutzungsprofil entworfen, das die Anforderungen an die eingesetzten Werkstoffe beschreibt und das Entwicklungsziel definiert. Maßgeschneiderte Werkstoffe reflektieren damit einen wesentlichen qualitativen Fortschritt im Werkstoffbereich.
Neue Entwicklungen im Werkstoffbereich zeigen nicht nur Auswirkungen in den direkt werkstoffbasierten Technologiefeldern. Auch Fortschritte bei Technologien, die nicht auf den ersten Blick mit neuen Werkstoffen in Verbindung gebracht werden, beruhen in erheblichem Maße auf neuen Werkstoffentwicklungen. Die Bedeutung neuer Materialien für Anwendungen in klassischen Technologiefeldern kann anhand ihrer Anwendung im Energiesektor verdeutlicht werden. Besonders anschaulich kann ihr Querschnittscharakter an der gebräuchlichen Zuordnung zu Funktions- und Strukturwerkstoffen dargestellt werden. Neue thermisch und chemisch höher belastbare Strukturmaterialien (v. a. Strukturkeramiken und Strukturmetalle) sollen Wirkungsgrade und Wirtschaftlichkeit konventioneller Energietechniken, vor allem bei der Umwandlung fossiler Energieträger in elektrische Energie, verbessern. Besondere physikalische Eigenschaften von Funktionsmaterialien macht man sich für neue Umwandlungstechniken (etwa die Umwandlung von Sonnenlicht in elektrische Energie, die Photovoltaik) oder für eine Reduktion von Verlusten bei der Energieübertragung und -anwendung (beispielsweise durch die technische Anwendung der nahezu verlustfreien Stromleitung, der sogenannten Supraleitung) und damit für die Einsparung elektrischer Energie zunutze.
Das Thema "Neue Materialien für die Energieeinsparung und Energieumwandlung" verknüpft verschiedene Themen- und Technologiebereiche sowie Materialgruppen. Die vorliegende Studie vertieft hierzu drei ausgewählte Anwendungsbereiche neuer Materialien, in denen bereits vereinzelte Anwendungen stattfinden und z. T. sich noch im Stadium der Forschung befinden, mit dem Ziel, den aktuellen Entwicklungsstand sowie Besonderheiten der Herstellung/Fertigung hierfür ausgewählter Materialien zu analysieren:
- Hochtemperatur-Werkstoffe für Gasturbinen,
- Materialien für die Photovoltaik,
- supraleitende Materialien für energietechnische Anwendungen.
Das verbindende Element besteht im angestrebten Ziel, (elektrische) Energie effizient, kostengünstig sowie umwelt- und ressourcenschonend zu erzeugen, zu transportieren, zu speichern oder anzuwenden. Hierzu werden zahlreiche Ansätze verfolgt.
Stationär betriebene Gasturbinen haben in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung in der weltweiten Stromerzeugung gewonnen. Sie sind heute eine Standardtechnik in der Erzeugung elektrischer Energie. Gasturbinen sind im Sinne einer preiswerten, brennstoffvariablen und schnell verfügbaren Energieversorgung vielseitig einsetzbar und in einer dynamischen Entwicklung begriffen. Auch wenn ihr Wirkungsgrad nicht beliebig steigerungsfähig ist, so ist doch ein weiteres "Heranrücken" an die thermodynamisch definierte Grenze - und damit eine effizientere Brennstoffausnutzung und eine Emissionsreduktion - möglich.
Bei der Umsetzung einer Wirkungsgradsteigerung spielen neu- und weiterentwickelte Materialien eine wesentliche Rolle. Der Schwerpunkt liegt auf vier Werkstoffklassen: Metallische Werkstoffe (Superlegierungen und intermetallische Phasen), keramische Werkstoffe (Strukturkeramiken), Verbundwerkstoffe mit keramischer Matrix (kohlenstofffaserverstärkte Kohlenstoffe) sowie Oberflächenbeschichtungen (Wärmeschutzschichten). Dabei wird von neuen Hochtemperaturwerkstoffen mindestens ein gleichwertiges, eher ein gegenüber konventionellen Werkstoffen deutlich verbessertes Eigenschaftsprofil erwartet, das möglichst kostengünstig erreichbar sein soll. Auffallend ist, dass bei neuen Hochtemperaturwerkstoffen derzeit an vielen Einzelfragen geforscht wird. Wesentliche Verbesserungen wurden bei einzelnen Gebrauchs- und Fertigungseigenschaften erreicht (wobei Materialentwicklungen im Gasturbinen-Bau bisher wesentlich von Entwicklungen im Flugturbinenbau profitiert haben), eine Überlegenheit im gesamten Eigenschaftsprofil konnte jedoch noch nicht nachgewiesen werden.
Mit gerichtet bzw. einkristallin erstarrten Superlegierungen lassen sich bereits auf der Materialoberfläche Temperaturen von ca. 1.000°C realisieren. Eine Steigerung der Oberflächentemperatur auf ca. 1.100°C wird noch mit metallischen Komponenten, wie weiterentwickelten bzw. oxiddispersionsverstärkten (ODS-)Superlegierungen, realisierbar sein. Für eine signifikante Steigerung der Temperaturen auf der Materialoberfläche auf ca. 1.400°C ist bereits die Entwicklung keramischer Strukturwerkstoffe erforderlich. Eine weitere Temperatursteigerung bedeutet in der Materialauswahl ein Wechsel in Richtung Verbundwerkstoffe (z.B. kohlenstofffaserverstärkte Kohlenstoffe). Unter Berücksichtigung einer zeitlichen Entwicklungskomponente bedeutet dies:
- Relativ kurzfristig und mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit ist eine Weiterentwicklung eingesetzter Superlegierungen auf Nickelbasis zu erwarten. Verfahren zur gerichteten bzw. einkristallinen Erstarrung verleihen Bauteilen in ihrer Hauptbeanspruchungsrichtung günstige Eigenschaften. Stabilisierende Zusätze, z.B. von Oxiden, verbessern deren Hochtemperaturtauglichkeit weiter. Bei oxid-dispersionsverstärkten Superlegierungen ist die Fertigung deutlich aufwendiger, da diese z.B. nicht für kostengünstige Gießverfahren geeignet sind. Einsatzgrenzen von Superlegierungen sind durch deren Schmelzpunkte sowie durch spezifische Schadensszenarien, wie die Rissbildung entlang der Korngrenzen bei einkristalliner Erstarrung, gegeben.
- Eher mittelfristig ist mit einem Einsatz vollkeramischer Turbinenschaufeln zu rechnen. Bei keramischen Materialien kann weitestgehend auf Kühlung und das Aufbringen von Wärmedämmschichten verzichtet werden. Ein mittelfristiges Einsatzpotenzial unter industriellen Gesichtspunkten ergibt sich auch für die zwischen metallischen und keramischen Werkstoffen einzuordnenden intermetallischen Phasen, welche sich durch Temperaturbeständigkeit und geringes spezifisches Gewicht auszeichnen. Bei beiden Materialklassen wirkt sich ihre Sprödigkeit negativ auf Einsatz und Herstellung aus. Die Neigung keramischer Materialien zum Sprödbruch kann zwar vermindert, jedoch nicht grundsätzlich beseitigt werden. Daher ist eher davon auszugehen, dass deren Vorteile erst in keramikspezifisch konstruierten Bauteilen voll zur Geltung kommen.
- Eher längerfristig ist das Einsatzpotenzial von Turbinenbauteilen aus Verbundwerkstoffen, wie kohlenstofffaserverstärkten Kohlenstoffen, einzuordnen. Der Charme dieser Werkstoffklasse liegt darin, "maßgeschneiderte Materialien" herstellen zu können. Einsatzbegrenzend wirken sich Sprödigkeit und Oxidationsempfindlichkeit der Fasern aus. Hoffnungen werden daher in die Entwicklung neuer Oberflächenschutzsysteme gesetzt.
Oberflächenbeschichtungen als Wärmeschutzschichten aufgebracht spielen bei fast jedem Hochtemperaturwerkstoff eine ergänzende, zumeist korrosive Bedingungen ausgleichende und damit stabilisierende Rolle. Dadurch wird eine Steigerung der Einsatztemperaturen einzelner Bauteile um bis zu 100°C möglich. Praxisrelevante Probleme, wie Stabilität und Haftung der Beschichtungen etwa bei Mehrschichtsystemen, erscheinen mittelfristig lösbar.
Den relativ hohen Erwartungen an neue Materialien steht bei den betrachteten Hochtemperaturwerkstoffen für Gasturbinen noch ein umfangreicher FuE-Bedarf, beispielsweise bei der Verbesserung des theoretischen Verständnisses des Materialaufbaus und Materialverhaltens, bei der Optimierung der Materialgefüge, der Weiterentwicklung von gängigen Herstellungsverfahren und der Entwicklung von neuen, kostengünstigen Fertigungsverfahren sowie der Entwicklung geeigneter Prüfverfahren zur Qualitätssicherung im Fertigungsprozess insbesondere im Hochtemperaturbereich gegenüber.
Die Nutzung der Solarenergie durch Photovoltaik oder Solarthermie zählt mittlerweile zum Stand der Technik. Der energiewirtschaftliche Durchbruch, insbesondere der Photovoltaik, wird bislang u.a. durch die verhältnismäßig hohen Herstellungskosten der photovoltaischen Solarzellen und deren geringen Wirkungsgrad sowie die aufwendigen Maßnahmen zur Systemeinbindung gehemmt. Lediglich der PV-Einsatz bei Insellösungen hat sich als schon heute wirtschaftlich erwiesen. Neben Arbeiten zur Verbesserung von Solarzellen-Konzepten auf Basis des "klassischen" Zellenmaterials Silizium wird deshalb weltweit nach neuen Materialien für photovoltaische Zellen gesucht. Diese Materialien sollen einen hohen Wirkungsgrad der Solarzellen ermöglichen, kostengünstig herstellbar und langlebig sein und zu geringen Umweltbelastungen bei Herstellung, Nutzung und Entsorgung/Rezyklierung führen.
Die Schlussfolgerungen der Analyse können wie folgt zusammengefasst werden:
- In der Kostenbilanz von Photovoltaik-Anlagen ist die Solarzelle nur eine Komponente. Weitere Reduktionspotenziale, die bislang nicht ausgeschöpft sind, liegen in der Modulfertigung, in der Systemtechnik sowie in der Integration. Es ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten, dass allein zur Senkung der spezifischen Kosten der Zellen führende Innovationen den Kostennachteil der Photovoltaik in absehbarer Zeit wettmachen werden. Vielmehr sind auch Verbesserungen in den anderen Bereichen notwendig und ggf. sogar mit weniger Aufwand zu erreichen.
- Für die eigentliche Solarzelle sind neben dem PV-Material auch das Zell-Design, die eingesetzten Fertigungstechniken und ggf. das Substrat- bzw. Superstrat-Material von Bedeutung. Innovationen bei den Solarzellen sind also nicht nur durch die Einführung neuer bzw. Modifikation bekannter Materialsysteme zu erreichen. Auch durch neue Zellkonzepte, neue bzw. modifizierte Fertigungsverfahren oder durch Verwendung neuer "Hilfsmaterialien" lassen sich Wirkungsgradverbesserungen und/oder Kostenreduktionen erreichen.
- Derzeit und wohl auch für die nächsten 10 Jahre bleibt kristallines Silizium das wichtigste Material für die Solarzellenherstellung, da es viele Vorteile aufweist und von dem hohen Technologiestand der Mikroelektronik profitiert. Daneben sind Dünnschicht-Technologien mit amorphem Si bereits auf dem Markt, ausgewählte neue CdTe-, CIS- und Sibasierte Dünnschicht-Techniken stehen kurz vor ihrer Einführung.
- Die kristalline Si-Solarzelle birgt noch erhebliche Verbesserungspotenziale sowohl im Hinblick auf die Effizienz als auch auf die Fertigungskosten. Durch neue Fertigungstechniken bei der Waferherstellung sollen die Materialverluste und die Fertigungszeiten reduziert werden, zudem sind auch in der Weiterverarbeitung zu Solarmodulen noch erhebliche Rationalisierungspotenziale nachgewiesen worden. Neue Zell-Designs, sogenannte High-Efficiency-Zellen, versprechen Steigerungen bei den Wirkungsgraden. Inwieweit diese Zellen allerdings für die Serienproduktion geeignet sind und bei welchem Wirkungsgrad der Mehraufwand in der Fertigung in einer sinnvollen Relation zur höheren Energieausbeute steht, wird derzeit untersucht.
- Längerfristig könnten - wegen des großen Materialverbrauchs von kristallinem Silizium und wegen der aufwendigen Si-Wafertechnologie - Dünnschichttechnologien mit großflächiger Abscheidung die Solarzellentechnologien der Zukunft werden. Bis diese Dünnschichtzellen die c-Siliziumzellen in Bezug auf Wirtschaftlichkeit übertreffen werden, ist aber noch ein erheblicher Entwicklungsaufwand notwendig.
- Die verschiedenen konkurrierenden Dünnschichtzellenkonzepte befinden sich in einem sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadium. Derzeit ist es nicht möglich, einer Technologie für die Zukunft einen eindeutigen technisch-ökonomischen Vorteil gegenüber den anderen zuzusprechen. Neben technischen und ökonomischen Fragestellungen spielen zudem die Verfügbarkeit der Ressourcen sowie die Toxizität der eingesetzten Materialien - und damit deren Akzeptanz - in einem gegenwärtig eher "grünen" Markt eine wichtige Rolle bei Produktions- wie bei Kaufentscheidungen.
- Auf absehbare Zeit sollten Forschung und Entwicklung weiter "breitbandig" durchgeführt werden, um nicht eine wichtige Option zu verlieren. Es besteht noch auf zahlreichen Gebieten ein erheblicher FuE-Bedarf:
- Die "etablierten" Technologien der kristallinen Silizium-Solarzellen müssen so weiterentwickelt werden, dass die Solarzellen (i) einen höheren Wirkungsgrad aufweisen, (ii) weniger Material benötigen und (iii) kostengünstiger gefertigt werden können.
- Die innovativen Dünnschichtzelltechnologien müssen diese drei Anforderungen natürlich auch erfüllen. Zunächst aber muss für alle (bis auf das amorphe Silizium) der Nachweis erbracht werden, dass sie großflächig und homogen hergestellt werden können
Prinzipiell neue Solarzellenkonzepte und -materialien können zwar generell für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, sind aber gegenwärtig nicht in Sicht. Viele spektakulär angekündigte Neuerungen der letzten Jahre sind aufgegeben worden, noch ehe sie das Laborstadium verlassen haben.
Während Photovoltaik systematisch im Bereich der Energieumwandlung angesiedelt werden könnte, ist die Anwendung von Supraleitern in der Energiewirtschaft anders einzuordnen. Supraleiter können - theoretisch - im Rahmen der Elektrizitätswirtschaft auf allen Produktionsstufen (Umwandlung, Transport und Verteilung) eingesetzt werden. Die Energietechnik wird seit geraumer Zeit als ein wesentliches Anwendungsgebiet für supraleitende Materialien angesehen. Neben Verbesserungen bei bekannten technischen Systemen (supraleitende Generatoren, Transformatoren, Kabel), wo sich aufgrund der geringen elektrischen Verluste der Supraleiter höhere Wirkungsgrade erzielen lassen und die hohe Leistungsdichte reduzierte Volumina und Gewichte ermöglicht, werden auch neue Konzepte (bspw. Fehlerstrombegrenzer auf der Basis supraleitender Materialien und der Einsatz supraleitender magnetischer Energiespeicher) diskutiert. Allerdings sind insbesondere für die Kühlung der Supraleiter aufwendige Techniken notwendig, die durch ihren Eigenverbrauch die energetischen Vorteile der verlustarmen Leitung reduzieren oder überkompensieren. Zudem ist die Fertigung der Leiter verglichen mit konventionellen Kupferleitern erheblich schwieriger und aufwendiger, die Systeme selbst sind häufig komplizierter, so dass erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um die gleiche Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit wie bei den heute verfügbaren konventionellen Alternativen zu erzielen, was wiederum zu höheren Anlagenkosten führt.
Bereits mit den klassischen Supraleitern wurden seit den sechziger Jahren zahlreiche energietechnische Anwendungen im Labor realisiert, sie gelangten jedoch nie zur Markteinführung. Die Entdeckung von hochtemperatursupraleitenden Materialen Mitte der achtziger Jahre ließ alte Erwartungen bezüglich des baldigen Einsatzes supraleitender Techniken in der Elektrizitätswirtschaft wiederauferstehen.
Es wurden in den letzten Jahren zahlreiche Verfahren zur Fertigung von Leitern auf der Basis von HTS-Materialien entwickelt. Jedes davon weist spezifische Stärken und Schwächen auf. Auch ist das Verständnis der wichtigsten Materialien inzwischen ausreichend. Eine akzeptierte physikalische Theorie der Hochtemperatur-Supraleitung ist jedoch - trotz verbreiteter Anstrengungen und zahlreicher origineller und stimulierender Ideen - bislang nicht in Sicht. Weitere Grundlagenforschung erscheint hier notwendig.
Der entscheidende Durchbruch für energietechnische HTS-Anwendungen bei 77 K wird erst dann eintreten können, wenn sich diese in geeigneten technischen Konfigurationen fertigen lassen. Unklar ist, mit welchen elektrischen Parametern und zu welchen Kosten geeignete technische Supraleiter auf HTS-Basis tatsächlich in industriellem Maßstab gefertigt werden können. Festzuhalten ist, dass es den "Allzweck"-Supraleiter für energietechnische Anwendungen nicht geben wird. Vielmehr werden technisch-ökonomische Optimierungen bei der Wahl des supraleitenden Materials wie auch der Leiterkonfiguration zu vielfältigen Konzepten führen.
Obwohl heute bereits mehr als 100 Verbindungen bekannt sind, die als Hochtemperatur-Supraleiter bezeichnet werden können, sollte die Suche nach weiteren Materialen fortgesetzt werden. Dabei sollte das Hauptaugenmerk weniger auf Materialien mit höheren kritischen Temperaturen gelegt werden. Für die meisten energietechnischen Anwendungen wird es vielmehr darauf ankommen, Supraleiter zu finden, die
- sich fertigungstechnisch vergleichsweise einfach in die für die Anwendung notwendige Form (vor allem lange Drähte) bringen lassen,
- in der Lage sind, auch bei starken Magnetfeldern, bei höheren Temperaturen (mindestens des flüssigen Stickstoffs) sowie ggf. bei moderaten mechanischen Beanspruchungen die Supraleitung aufrechtzuerhalten,
- geringe Probleme im Hinblick auf Ressourcenverfügbarkeit, Toxizität und Entsorgbarkeit aufweisen.
Dabei wird die empirische Suche nach neuen Materialien - auch wenn in Zukunft eine geeignete theoretische Erklärung des Mechanismus der Hochtemperatur-Supraleitung gefunden werden sollte - weiter die zentrale Rolle einnehmen.
Für die Einsatzmöglichkeiten der einzelnen Anwendungen lässt sich - die Verfügbarkeit geeigneter und "bezahlbarer" Leiter vorausgesetzt - aus heutiger Sicht zusammenfassend feststellen:
- Rotierende Maschinen (große Motoren und Generatoren) erreichen heute Wirkungsgrade um 98 %, der Einsatz supraleitender Materialen lässt Steigerungen von 1-1,5 %-Punkten erwarten. Dies kann - vor allem bei den großen Motoren, von denen größere Stückzahlen in Deutschland betrieben werden - gesamtwirtschaftlich durchaus relevant sein. Allerdings liegen wesentlich höhere Effizienzpotenziale bei den mit den elektrischen Maschinen verbundenen Systemen, etwa den Dampfturbinen bei den Generatoren bzw. Pumpen oder Lüftern bei den Motoren. Supraleitende Generatoren sind erst bei Baugrößen von mehreren hundert MVA wirtschaftlicher als konventionelle Systeme, die Nachfrage nach Generatoren dieser Größenordnung ist angesichts der momentanen Entwicklung im Kraftwerksbereich eher klein. Inwieweit weitere Eigenschaften wie geringere Baugröße, reduziertes Gewicht und verbesserte betriebliche Eigenschaften tatsächlich vom Markt honoriert werden, ist offen.
- Die nahezu widerstandsfreie Stromleitung in supraleitenden Kabeln gilt in der Öffentlichkeit als die attraktivste Anwendung der Supraleitung. Zahlreiche Projekte auf der Basis von HTS-Materialien werden gegenwärtig durchgeführt. Dabei liegt die kurzfristige Perspektive der meisten Arbeiten beim Einsatz solcher Kabel für den Stromtransport in Ballungsgebieten (vor allem bei der Leistungserhöhung ("Retrofit") bestehender Systeme). Längerfristig wird ihr Einsatz in einem - noch zu konzipierenden und vor allem auf seine über die reine Funktionalität hinausgehenden Aspekte zu diskutierenden - weltumspannenden Elektrizitätsnetz gesehen, wobei hier Hochspannungsgleichstromübertragung in beträchtlichem Umfang Anwendung finden dürfte.
- Auch bei supraleitenden Transformatoren spielen Effizienzverbesserungen - auch wenn sie durchaus nicht vernachlässigbar sind - aus Anwendersicht eine geringere Rolle als ihre verbesserten betrieblichen Eigenschaften, die Vorteile durch den Wegfall des Isolierstoffes Öl sowie die spezifische Gewichts- und Volumenreduktion, die Märkte vor allem im Retrofitting-Bereich in dicht besiedelten Räumen eröffnen könnte. Gegenwärtig befinden sich mehrere Protypen in der Felderprobung.
- Die Energiespeicherung in supraleitenden Spulen (SMES) ist mit kleinen Anlagen für Zwecke der Sicherung der Qualität der Stromversorgung bereits kommerziell verfügbar. Mehrere LTS-Anlagen befinden sich im Regelbetrieb, mehrere Unternehmen arbeiten an LTS- oder HTS-basierten Systemen. Solche Systeme können in Zukunft wachsende Bedeutung erlangen.
- Größere SMES-Anlagen zum Zwecke des Tageslastausgleichs sind aus heutiger Sicht nicht wirtschaftlich. Abhängig von der elektrizitätswirtschaftlichen Struktur, in die die Speichertechnik eingebunden wird, könnten sie zudem ökologische Nachteile bringen. Langfristig könnte - unter der Voraussetzung starker Veränderungen in den Organisationsstrukturen der Elektrizitätswirtschaft und in der Zusammensetzung des Kraftwerksparks - verstärkter Bedarf an Speichertechnologien entstehen. Der gegenwärtige Stand der Technik zeigt allerdings für den Tagesspeichereinsatz keine eindeutige technische oder wirtschaftliche Überlegenheit von SMES gegenüber anderen konventionellen Speichertechniken. Es sind keine Pläne für die Entwicklung großer SMES bekannt.
- Eine denkbare Alternative zu den kleinen SMES sind Schwungmassenspeicher (Schwungräder) mit supraleitenden Lagern. Grundsätzlich für die gleichen Anwendungen wie kleine SMES einsetzbar, wird die weitere Entwicklung entscheiden müssen, welche Technik aus wirtschaftlicher und betrieblicher Sicht attraktiver ist.
- Unter den supraleitenden Techniken stoßen derzeit allein die supraleitenden Strombegrenzer auf größeres Interesse. Man verspricht sich von ihnen vor allem eine Verbesserung der Spannungsqualität und geringere Netzrückwirkungen. Unklar ist bislang jedoch noch, welches Funktionsprinzip die günstigen Realisierungschancen hat und in welchem Konzept es tatsächlich umgesetzt wird. Hier sind noch weitere Entwicklungsarbeiten vonnöten.
Bei den komplexen energietechnischen Systemen und deren langen Entwicklungs- und Erprobungszeiten sowie den derzeit ungewissen Aussichten auf einen kommerziellen Erfolg von supraleitenden Systemen erscheint es unwahrscheinlich, dass eine rein industrielle Forschung und Entwicklung in diesem Bereich in größerem Umfang realisiert wird. Im Wettbewerb mit den über lange Zeit erprobten und weiterentwickelten konventionellen Betriebsmitteln in der elektrischen Energietechnik sind neue Techniken beim Nachweis der Funktionalität, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit immer im Nachteil. Staatliche Unterstützung wäre - neben der Grundlagenforschung - vor allem bei Pilotprojekten und Demonstrationsanlagen unumgänglich, sollen diese Techniken weiterentwickelt und erprobt werden.
Eine ökologische Bewertung des Einsatzes neuer Werkstoffe in der Energietechnik ist gegenwärtig nur in Ansätzen möglich. Einerseits lassen beispielsweise hochtemperaturfeste Werkstoffe für den Einsatz in Gasturbinen eine Steigerung des Wirkungsgrades und damit reduzierte Energieverbräuche und Emissionen erwarten. Die gewünschte - und erzeugte - hohe Widerstandsfähigkeit dieser Materialien gegenüber thermischen und chemischen Einflüssen könnte jedoch deren Recycling-Fähigkeit reduzieren. Materialen für Solarzellen leisten einen Beitrag zur im Betrieb emissionsfreien Stromerzeugung, jedoch sind für ihre Herstellung erhebliche Energieeinsätze aufzuwenden. Generell kann festgehalten werden, dass - bis auf Ausnahmen - zurzeit Forschungsergebnisse und aufgearbeitete Informationen fehlen, um die ökologischen Folgen des Einsatzes neuer Werkstoffe befriedigend beurteilen zu können. Für das Erstellen von Ökobilanzen fehlen vielen - vor allem kleinen und mittleren - Unternehmen sowohl Bilanzdaten konventioneller und vor allem neuer Werkstoffe sowie häufig auch personelle Kapazitäten. Es wäre wünschenswert, Aspekte der ökologischen Bewertung der Werkstoffentwicklung stärker als bisher in die FuE-Aktivitäten einzubeziehen.
Kontakt
Torsten Fleischer
+49 721 608-24571
torsten fleischer∂kit edu
Publikationen
Fleischer, T.; Oertel, D.
1999. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000101776
Fleischer, T.; Oertel, D.
1999. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137908