Personen mit Notebooks und Bildschirmen bunt quadratiertem Hintergrundscusi/123RF

Mit zunehmender Bedeutung für die Meinungsbildung geraten Algorithmen bei Onlinemedien in den Fokus von Forschung und Regulierung

Ergebnisse aus dem TA-Projekt
gezeichnete Umrisse von vier Personen mit Tastatur und Bildschirmen scusi/123RF

In den vergangenen Jahren nahm die Nutzung digitaler Medien für Nachrichtenzwecke und damit die Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung kontinuierlich zu. Bei diesen Formaten, die über das Internet aufgerufen und über Informationsintermediäre (große Onlineplattformen) verbreitet werden, bestimmen Algorithmen die Auswahl und Strukturierung der Inhalte, die den Nutzer/innen angezeigt werden. Sie sind hinsichtlich der Zielstellungen und Vorgehensmodelle der Betreiber von Onlineplattformen und der verwendeten Daten selbst für Fachleute meist weder transparent noch in ihrer Ergebnisfindung nachvollziehbar. Doch welchen Einfluss haben Onlineplattformen auf die Meinungsbildung? Was kennzeichnet den medienrechtlichen Rahmen und welche gesetzgeberischen Weichenstellungen können dazu beitragen, die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung als Fundament demokratischer Gesellschaften zu stärken? 

Auf einen Blick

sprungmarken_marker_1789

Die zunehmende Nutzung von Informationsintermediären bringt Umbrüche bei der Vermittlung von Nachrichten mit sich

Tablet mit News und Mikrofon

Den Massenmedien Fernsehen, Radio und Presse kam in den letzten Jahrzehnten die für die öffentliche Meinungsbildung wichtige Schleusenfunktion zu. Sie bestimmten, welche Meldungen in der Öffentlichkeit zu sehen bzw. zu hören waren. Rundfunk und Presse orientieren sich dabei an journalistischen Prinzipien zur Information der Öffentlichkeit und üben in der Demokratie Funktionen der (politischen) Kontrolle aus. Die journalistisch-redaktionellen Nachrichten sind für alle Mitglieder der Gesellschaft grundsätzlich zugänglich. Sie unterscheiden sich somit grundlegend von Meldungen, wie sie von Privatpersonen oder Gruppen in sozialen Medien gepostet werden.

Die Rolle der Informationsvermittlung wurde von Onlineplattformen nicht nur immer stärker übernommen, sondern dabei auch verändert. Insbesondere die großen, international agierenden Informationsintermediäre wie Google, YouTube, Facebook, Twitter oder Instagram vermischen öffentliche und persönliche Nachrichtenvermittlung. Mithilfe von Algorithmen wird darüber entschieden, welche Meldungen welchen Personen in welcher Reihenfolge angezeigt werden. Die Selektionskriterien orientieren sich dabei nicht unbedingt an Werten der Sorgfalt und Vielfalt, sondern an den Interessen und der Aufmerksamkeit der Nutzer/innen sowie am Gewinnstreben der Informationsintermediäre.

Von Auswirkungen algorithmischer Systeme auf die individuelle Meinungsbildung ist auszugehen, weitere Forschung ist erforderlich

Algorithmischen Systemen wird ein Einfluss auf die Meinungsbildung zugeschrieben. Denn Plattformen, die solche Systeme einsetzen, werden von vielen Menschen häufig und alltäglich zur Information genutzt, beispielsweise über Smartphones. Durch algorithmische Selektion können potenziell die Bedeutung von Themen in der öffentlichen Debatte (Themensetting), die Vermittlung von Faktenwissen (Wissenserwerb) sowie des Spektrums von Meinungen (Meinungsvermittlung) zu einem Thema beeinflusst werden. Es liegen derzeit jedoch nur wenige belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vor, wie sich algorithmisch personalisierte Informationsangebote auf die individuelle Meinungsbildung auswirken. Diskutiert werden u.a. die Rolle von Falschnachrichten, Echokammern und Filterblasen für die öffentliche Kommunikation.

Falschnachrichten können dank digitaler Medien öffentliche Meinung und politische Entscheidungen beeinflussen

Desinformierende Inhalte werden in der öffentlichen Diskussion meist als Falschnachrichten (Fake News) bezeichnet. Der Begriff umfasst manipulierende, irreführende oder (nachweislich) falsche Texte oder Bilder, die aufgrund ihres oft reißerischen Inhaltes und ihres Neuigkeitswertes bei den Leser/innen hohe Aufmerksamkeit erregen. Sie werden oft weitergeleitet. In der Folge werden sie auch von den algorithmischen Verfahren priorisiert. Über Onlineplattformen verbreiten sich Falschnachrichten daher schnell und oft noch bevor der Wahrheitsgehalt überprüft und der Inhalt richtiggestellt wird.

In großflächigen Desinformations- und Manipulationskampagnen werden Falschnachrichten auch absichtlich gestreut. Teils werden sogar Gruppen von Nutzer/innen gezielt adressiert. So sollen Meinungen und letztlich auch politische Entscheidungen beeinflusst werden.

Eine genaue Quantifizierung des Ausmaßes solcher Falschnachrichten bei Informationsintermediären in Deutschland ist mangels genügender Studien nicht möglich. Fachleute schätzen, dass insbesondere verzerrte Darstellungen, Behauptungen ohne Faktenbasis sowie suggestive Deutungen verbreitet vorkommen.

Filterblasen und Echokammern spielen in der öffentlichen Debatte eine Rolle, wissenschaftlich ist eine Bedeutung für die Meinungsbildung nicht belegt

Viele bunte Punkte schweben um einen geschlossenen Kreis mit blauen Punkten, in dess Mitte der Text "Ich" steht

Filterblasen und Echokammern werden in den Massenmedien und in der Politik als griffige Schlagworte für Informationsauswahlen benutzt, in denen die angezeigten Inhalte die Sichten der Akteure stets bestätigen und diese nicht durch Alternativen hinterfragt oder diskutiert werden. Während sich Filterblasen – so die These – bilden, wenn Nutzer/innen bevorzugt innerhalb einer Gruppe kommunizieren, entstehen Echokammern dann, wenn Nutzer/innen mit gleichen Meinungen nur einander folgen und so andere Kommunikationspartner und damit auch Ansichten ausschließen.

Die Bedeutung von Filterblasen ist zumindest mit Bezug zu Suchmaschinenanzeigen wissenschaftlich jedoch nicht belegt. Mit Bezug zu sozialen Medien sind die Bewertungen uneinheitlich, aber vor allem in den auf Europa bezogenen Veröffentlichungen überwiegend skeptisch. Die große Mehrheit der Nutzer/innen sozialer Medien kommt durchaus regelmäßig mit konträren Meinungen in Kontakt.

Roboterjournalismus dürfte zukünftig an Bedeutung gewinnen, nötig ist eine Kennzeichnung automatisch generierter Texte

Stilisierter Roboter umgeben von Icons vielfältiiger Medienformate (Bild, Ton, Grafik)

Unter Roboterjournalismus wird die Erstellung von journalistisch-redaktionellen Inhalten mittels automatischer Verfahren verstanden. Es sind algorithmische Prozesse, die strukturiert vorliegende Daten in erzählende Nachrichtentexte umwandeln. Nur die anfängliche Programmierung wird von Menschen vorgenommen, die Texte selbst werden jeweils aktuell aus den zugrundeliegenden Daten (z.B. zu Sportereignissen) erstellt. Immer mehr Redaktionen setzen automatisch erzeugte Nachrichtentexte beispielsweise zur Erstellung von Wetter- und Finanzberichten ein und können so in kurzen Zeitabständen Updates veröffentlichen. Die resultierenden Texte oder auch Videos werden aufgrund des hohen Aktualitätswerts in Suchmaschinen als relevanter bewertet und auf den vorderen Rangplätzen der Ergebnislisten angezeigt.

Algorithmische Systeme werden im Journalismus auch eingesetzt, um zu testen, welche Schlagzeilen von Nutzer/innen am ehesten angeklickt werden. Nachrichtenmagazine oder Zeitungen erhoffen sich von solchen Optimierungen höhere Werbeeinnahmen aus Onlineanzeigen. Im Bereich der automatischen Sprach-, Text- und Videogenerierung werden technische Fortschritte verzeichnet, sodass in den kommenden Jahren von einer Zunahme des automatisierten Journalismus auszugehen ist. Die Leser/innen automatisierter Texte können diese nicht ohne Weiteres von manuell erstellten Beiträgen unterscheiden.

Erste Schritte zur Regulierung von Informationsintermediären wurden in Deutschland und der EU unternommen

Mit dem Medienstaatsvertrag haben die deutschen Bundesländer, die für die Medienregulierung zuständig sind, 2020 erstmals auch Medienintermediäre in den Anwendungsbereich aufgenommen. Die darin formulierten Transparenzpflichten stellen einen ersten Schritt der gesetzgeberischen Kontrolle dar, algorithmische Intermediäre fallen bislang allerdings weder unter das rundfunkzentrierte Modell der Konzentrationskontrolle noch unter die medienstaatsvertragliche Plattformregulierung, die die Medienordnung in Deutschland prägen.

Das Europäische Parlament und der Europäische Rat nahmen 2022 das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte an. Damit sollen in der EU mehr Sicherheit im digitalen Raum geschaffen, Grundrechte der Nutzer/innen geschützt und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen gefördert werden. Die Gesetze gelten ab dem 2. Mai 2023 (Gesetz über digitale Märkte) bzw. dem 17. Februar 2024 (Gesetz über digitale Dienste) unmittelbar auch in Deutschland.

Insbesondere das Gesetz über digitale Dienste soll Risiken und Gefahren entgegenwirken, die sich für Einzelne und die Gesellschaft insgesamt aus der Nutzung, aber auch der Abhängigkeit von großen Onlineplattformen ergeben. Die Transparenzmaßnahmen betreffen auch die algorithmischen Systeme der großen Onlineplattformen mit dem Ziel, aufzuzeigen, wie algorithmische Entscheidungen getroffen werden und welche Effekte diese Entscheidungen auf die Gesellschaft haben.

Kontakt

Weitere Publikation


Wie bewerten junge Menschen personalisierte Onlinemedien? Ergebnisse einer Repräsentativbefragung
Kluge, J.; Oertel, B.; Evers-Wölk, M.
2018, August. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) VolltextVolltext der Publikation als PDF-Dokument

Im Bundestag