Industrielle stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe
- Projektteam:
Dagmar Oertel (Projektleitung)
- Themenfeld:
- Themeninitiative:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Analyseansatz:
Monitoring
- Starttermin:
2005
- Endtermin:
2007
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Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Übergreifendes Ziel dieses Vorhabens war ein Überblick über die verschiedenen Forschungs- und Anwendungsfelder im Bereich der industriellen stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Damit sollten der erreichte Stand und die zukünftigen Perspektiven dokumentiert werden. In vergleichender Perspektive wurde die energetische Nutzung nachwachsender Rohstoffe einbezogen. Zum einen sollte damit eine Einordnung der stofflichen in die gesamte Nutzung vorhandener Biomasseressourcen ermöglicht und zum anderen sollten Flächen- und Nutzungskonkurrenzen zwischen den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt werden, da heute bereits eingesetzte und zukünftig angedachte Mengen an nachwachsenden Rohstoffen für eine energetische Nutzung sich potenzialbegrenzend auswirken können.
Neben der Übersicht heute bereits praktizierter und möglicher zukünftiger Verarbeitungspfade wesentlicher Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen (auf der Basis einer Literaturauswertung) wurde für ausgewählte Fälle eine ökologische Bewertung zur Diskussion ins Auge gefasst. Darüber hinaus wurden zukünftige Bioraffinerieansätze analysiert. Des Weiteren wurde geprüft, inwieweit Engpässe bei der verfügbaren Biomasse im Falle eines deutlichen Ausbaus der stofflichen wie auch der energetischen Nutzung auftreten könnten. Abschließend sollte auf marktrelevante Aspekte von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen sowie auf offene Fragen eingegangen werden.
Ergebnisse
Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse vorgestellt.
Zum aktuellen Stand stofflicher Nutzung
Die Einsatzmöglichkeiten von nachwachsenden Rohstoffen sind bereits heute relativ breit gestreut. Das Spektrum reicht von etablierten Verfahren (z.B. Papierherstellung aus Zellstoff) über Nischenprodukte (z.B. Hochleistungsbioschmierstoffe, Biokunststoffe) bis hin zu in der Entwicklung befindlichen Anwendungen (z.B. Verbundwerkstoffe aus thermoplastischen Kunststoffen und Holzfasern oder Holzspänen, sog. Wood-Plastic-Composites). Gerade der Bereich der »neuen Werkstoffe« wird als einer der attraktivsten Zukunftsmärkte eingeschätzt.
Der Marktanteil chemischer Grundstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen liegt in Deutschland derzeit bei ca. 10 % (bezogen auf die eingesetzte Rohstoffbasis). Die wichtigsten Vertreter sind Oleochemikalien (z.B. Tenside, Bioschmierstoffe) und Chemikalien (z.B. Zitronen-, Milch-, Lävulinsäure, Sorbit, Glyzerin und Cellulosederivate). Jährlich werden in Deutschland im industriellen, chemisch-technischen Bereich ca. 2,7 Mio. t nachwachsende Rohstoffe stofflich genutzt. Dabei machten 2005 pflanzliche Öle (0,8 Mio. t) und Stärke (0,64 Mio. t) den Hauptteil aus.
Ausgangsstoffe und wesentliche Einsatzbereiche
Gewonnen werden pflanzliche Öle und Fette unter deutschen Klimabedingungen hauptsächlich aus (Winter-)Raps, Öllein, Sonnenblumen und Senf. Weltweit machen allerdings nichtheimische Ölsorten wie Palmöl und »Laurinöl« (Kokos- und Palmkernöl) mit 27 % den Hauptteil an der Ölproduktion aus; bei Hinzunahme von Sojaöl liegt der Anteil sogar bei 52 %. Die Bedeutung von Raps- und Sonnenblumenöl ist mit 17 % deutlich geringer (für 2003). Stärke wird in Deutschland v.a. aus Kartoffeln (3 Mio. t verarbeitet), gefolgt von Weizen (0,9 Mio. t) und Mais (0,6 Mio. t) gewonnen. Im Jahr 2004 wurden ca. 640.000 t an Stärke für technische Anwendungen genutzt. Die Zuckergewinnung erfolgt in Deutschland (und in der EU) aus der Zuckerrübe; weltweit eher aus Zuckerrohr. Als Industrierohstoffe werden Einfachzucker wie Glucose und Fructose, aber auch polymerisierte Zucker sowie Zuckerderivate genutzt. Als Rohstoffe für pflanzliche Naturfasern sind weltweit vor allem Baumwolle, Jute, Flachs und Sisal von Bedeutung. In Deutschland werden aufgrund klimatischer Gegebenheiten hauptsächlich Flachs und Hanf angebaut. Färberpflanzen spielen in Deutschland eine untergeordnete Rolle. Holz ist ein traditionell verwendeter nachwachsender Rohstoff, welcher in der holzverarbeitenden sowie in der Papier- und Zellstoffindustrie verwendet wird. Neue Nutzungen von Holz(bestandteilen) beziehen sich z.B. auf den Einsatz von Lignocellulose, einem Gemenge aus Cellulose und Lignin.
Produkte
Die wichtigsten Vertreter chemischer Grundstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen sind Oleochemikalien, aber auch Chemikalien. Die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in der chemischen Industrie erfolgt sowohl durch chemische als auch fermentative Konversion. Charakteristisch für die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen im chemisch-technischen Bereich sind vergleichsweise geringe Produktionsmengen.
Tenside stellen die mengenmäßig bedeutendste Stoffgruppe dar, die heute bereits in der chemischen Industrie in relevanten Anteilen auf nachwachsenden Rohstoffen basiert. Sie werden sowohl aus petrochemischen (Erdölbasis) als auch aus oleochemischen (NaWaRo-Basis) Grundstoffen gewonnen (derzeit anteilig zu jeweils 50 %). Auch Bioschmierstoffe werden auf Basis von Fetten und Ölen hergestellt, wobei hier aufgrund ihrer besseren Schmiereigenschaften vorrangig langkettige Fettsäuren eingesetzt werden. Biokunststoffe sind ausschließlich oder anteilig aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellte Polymere, die in relativ kurzer Zeit biologisch abbaubar sind. Stärke ist der wichtigste nachwachsende Rohstoff für die Herstellung von Biokunststoffen; eingesetzt werden jedoch zumeist Stärkeblends (Kunststoffmischungen). Im Bericht werden weiterhin Ausführungen zu Naturfasern (z.B. naturfaserverstärkte Werkstoffe), Naturdämmstoffen, Lacke und Druckfarben gemacht.
Bei Aussagen zu den ökologischen Aspekten der betrachteten Produkte und Verfahren steht als Grundannahme zumeist im Raum, dass auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen hergestellte Produkte tendenziell ökologisch besser abschneiden, als solche aus fossilen Rohstoffen. Im Bericht werden Aussagen verfügbarer Studien für drei heute bereits genutzte Bioproduktgruppen – Bioschmierstoffe, Biokunststoffe und Faserprodukte – zu den gängigen Kategorien einer Ökobilanz zusammengestellt. Dabei werden auch Aspekte der Flächeneffizienz berücksichtigt.
Zukünftige stoffliche Nutzung – Bioraffinerien
Nachwachsende Rohstoffe könnten zukünftig in sog. »Bioraffinerien« verarbeitet werden. Das Konzept der Bioraffinerien steht für die Gesamtheit von Technologien zur Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe bis hin zu industriellen Zwischen- und Endprodukten. Nachwachsende Rohstoffe sollen dabei in einer integrierten Produktion zu einer umfangreichen Produktpalette – z.B. in Futtermittel, biogene Werkstoffe, Kraftstoffe, Chemikalien – umgewandelt werden. Ziel ist die Fraktionierung und Weiterverarbeitung von nachwachsenden Rohstoffen zu Produkten, die konkurrenzfähig solche ersetzen können, die derzeit petrochemisch hergestellt werden. Der visionäre Gedanke besteht darin, die heute bekannten komplex vernetzten und historisch gewachsenen Strukturen der Kohle- und Erdölchemie (sog. Stammbaumsysteme) auf nachwachsende Rohstoffe zu übertragen. Solche vernetzten Strukturen existieren für nachwachsende Rohstoffe in vergleichbarer Weise derzeit noch nicht, erscheinen jedoch prinzipiell technisch umsetzbar.
Im ersten Schritt einer Bioraffinerie werden präkursorhaltige Biomassen einer physikalischen Stofftrennung unterworfen. Die Haupt- und Nebenprodukte werden nachfolgend mikrobiologischen und/oder chemischen stoffwandelnden Reaktionen ausgesetzt. Die Folgeprodukte können weiterkonvertiert oder in einer konventionellen Raffinerie weiterverarbeitet werden. Im Bericht werden das grüne Bioraffineriesystem, die Lignocellulose-Feedstock- und die Getreide-Ganzpflanzen-Bioraffinerie sowie Zwei-Plattformen-Systeme vorgestellt. Diese Systeme befinden sich in einem sehr frühen Entwicklungsstadium.
Die augenblickliche Informationsbasis für eine ökologische Bewertung von Bioraffineriesystemen ist auch deshalb sehr lückenhaft. Im Rahmen des TAB-Projekts wurden dennoch erstmalig für drei Bioraffineriesysteme auf Basis heute verfügbarer Informationen Übersichtsökobilanzen erstellt: für die grüne Bioraffinerie, die LCF- und die Getreidebioraffinerie. Alternative Optionen der Flächennutzung für die jeweiligen Ausgangsstoffe wurden berücksichtigt.
Verfügbarkeit von Biomasse
Sowohl für die Bereitstellung von Biokraftstoffen als auch für den Ausbau der Strom- und Wärmeerzeugung aus Biomasse sind in Deutschland und Europa ehrgeizige Ziele gesteckt worden. Geht man davon aus, dass mittelfristig auch die Bereitstellung von nachwachsenden Rohstoffen für die stoffliche Nutzung größere Bedeutung erlangen wird als bisher, wird der Flächenbedarf dann weiter zunehmen, wenn die benötigten Flächen möglichst nicht in Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion stehen oder zu einem Import von Nahrungsmitteln führen sollen.
Aus den in der Literatur dargestellten möglichen Entwicklungspfaden von Angebot und Nachfrage ergeben sich unterschiedliche Flächen- und Nutzungskonkurrenzen: Bei Fortschreibung der gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen wäre sowohl 2015 als auch 2030 ein ausreichendes Biomasseangebot vorhanden. Bei der Etablierung weiter gehender politischer Rahmenbedingungen in der Energiewirtschaft einerseits und in der Landwirtschaft andererseits dürfte bereits im Jahr 2015 die Nachfrage das Angebot an nachwachsenden Rohstoffen überschreiten.
Marktaspekte
Die Durchdringung des Marktes mit Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen bleibt in den meisten Fällen noch weit hinter den heutigen technischen Einsatzmöglichkeiten zurück. Zu differenzieren ist zwischen Produkten, deren heutige Marktstellung auch durch gezielte Fördermaßnahmen bewirkt wurde (z.B. Bioschmierstoffe), und solchen, die bisher ohne diese, z.B. aufgrund ihrer ökologischen Vorteile, am Markt bestehen mussten (z.B. Biokunststoffe). Ein Haupthemmnis für die breitere Markteinführung von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen ist ihr deutlich höherer Preis gegenüber herkömmlichen (auf fossiler Basis hergestellten) Produkten. Ein weiteres Hindernis stellen fehlende Informationen bei industriellen und privaten Verbrauchern über die Vorteile aktueller Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen dar.
FuE-Bedarf, Umwelt- und Folgenanalysen
Die technischen Möglichkeiten, nachwachsende Rohstoffe stofflich zu nutzen, sind derzeit noch nicht ausgeschöpft. Mögliche Handlungsfelder zur Erschließung ihrer ökonomischen und ökologischen Potenziale sind u.a.:
- Festlegung konkreter Zielsetzungen für die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe: So wäre etwa eine »Roadmap für die stoffliche Nutzung« hilfreich, um Ziele klarer zu definieren und entsprechende Schwerpunkte, z.B. in Form von Forschungs- und Förderstrategien, zu setzen.
- Verbesserung der technischen Möglichkeiten zur stofflichen Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe: Hierzu müssten Forschung, Entwicklung und Demonstration angesichts der spezifischen Unreife der Entwicklung in ausgewählten Bereichen gezielt vorangetrieben werden.
- Weiterentwicklung und gezielte Förderung des zukünftigen Schlüsselbausteins – einer stofflichen industriellen Nutzung nachwachsender Rohstoffen der Bioraffineriekonzepte: Dort besteht noch enormer Entwicklungsbedarf hinsichtlich der Auslegung der Basiskonzepte, technischer Umsetzungsmöglichkeiten sowie entsprechender Demonstrationsanlagen.
- Weiterentwicklung spezifischer Verfahren der energetischen Nutzung, da diese etwa über die Synthesegaserzeugung oder die Ethanolherstellung (als potenzielle Plattformchemikalie) eine »technische Verbindung« zur stofflichen Nutzung eröffnen.
- Anbau- und züchterische Anpassungen von Pflanzen: Entsprechende Versuche und Forschungsanstrengungen wären für die stoffliche (Inhaltsstoffe) als auch energetische Nutzung (Energiepflanzen) auszubauen.
- Verbesserung der Datenbasis zur statistischen Erfassung von Produktionsmengen und Produkten: Eine industrienahe Informations- und Datenerfassung würde mehr Transparenz bringen und zudem die notwendige Basis für die Ermittlung makroökonomischer Effekte liefern.
- Etablierung einer Begleitforschung wie etwa die Durchführung von entsprechend ausgelegten Öko- und Folgenanalysen: Diese könnte helfen, den Stellenwert der industriell stofflichen Nutzung präziser zu bestimmen und Prioritätensetzung bei FuE sowie der Förderung vorbereiten.
- Etablierung einer Markt- und Akzeptanzforschung für Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen: Sie könnte dazu beitragen, bei Herstellern, Anwendern und Verbrauchern Vorbehalte und damit derzeitige Markthemmnisse abzubauen.
- Absehbare Flächen- und Nutzungskonkurrenzen der stofflichen und energetischen Verwendung nachwachsender Rohstoffe vorausschauend analysieren und in eine strategische Ausrichtung integrieren.
- Erfassung zusätzlicher Indikatoren: Für eine umfassende Bewertung wäre es sinnvoll, als Bilanzgröße CO2-Vermeidungskosten für ausgewählte Produktpfade zu integrieren.
- Berücksichtigung der konkreten Bereitstellungs- und Anbaubedingungen importierter nachwachsender Rohstoffe (Umwelt- und Sozialstandards) bei Bewertungsverfahren.
Publikationen
Oertel, D.
2007. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000137984
Oertel, D.
2007. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103108
Alle Berichte aus dem Monitoring "Nachwachsende Rohstoffe"
Meyer, R.
1994. Agrarpolitischen Informationsveranstaltung “Nachwachsende Rohstoffe auf dem Prüfstand” der Evangelischen Jugend auf dem Lande (ejl) (1994), Berlin, Deutschland, 25.–27. Februar 1994
Oertel, D.
2007. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103108
Rösch, C.
1999. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103627
Rösch, C.
1997. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103628
Rösch, C.; Wintzer, D.
1997. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103657
Rösch, C.; Wintzer, D.; Leible, L.; Nieke, E.
1996. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). doi:10.5445/IR/1000103658